A Haunting in Venice

Hercule Poirot (Kenneth Branagh, gleichzeitig auch Regisseur) wird in seinem dritten Fall durch einen augenscheinlich übernatürlichen Fall aus dem Ruhestand gerissen. In A Haunting in Venice verschlägt es ihn ins nebelumhangene Venedig, wo er es mit einem von Oscar-Preisträgerin Michelle Yeoh (Everything Everywhere All At Once) gespielten Geistermedium zu tun. Lässt sich der Fall trotzdem ganz rational lösen? Seit dem 22. November 2023 sind die Ermittlungen auf Disney+ zu verfolgen.

1947: Hercule Poirot hat sich in Venedig zur Ruhe gesetzt. Neue Fälle nimmt er nicht mehr entgegen und alle Interessenten werden von Bodyguard Vitale (Riccardo Scamarcio, John Wick: Kapitel 2) abgewiesen. Eine Ausnahme-Audienz erhält Poirots alte Freundin, die Krimi-Autorin Ariadne Oliver (Tina Fey, Sisters), die mit einem besonderen Fall daherkommt. Ariadne erzählt dem Meisterdetektiv vom Medium Joyce Reynolds (Michelle Yeoh), das sie für eine Schwindlerin hält, deren Geheimnisse und Tricks sie allerdings nicht entlarven kann. Der streng rationale Poirot erklärt sich daraufhin bereit, bei der Überführung von Reynolds zu helfen, die am Abend in einem lokalen Palazzo eine Séance abhalten soll. Doch dann kommt es plötzlich zu einem Mord. Wer kann der Mörder sein? In Frage kommen viele und nur Poirot scheint den Überblick behalten zu können …

Venedig, so menschenleer wie zur Pandemie

Originaltitel A Haunting in Venice
Jahr 2023
Land USA
Genre Krimi
Regie Kenneth Branagh
Cast Hercule Poirot: Kenneth Branagh
Maxime Gerard: Kyle Allen
Olga Seminoff: Camille Cottin
Dr. Leslie Ferrier: Jamie Dornan
Ariadne Oliver: Tina Fey
Leopold Ferrier: Jude Hill
Nicholas Holland: Ali Khan
Desdemona Holland: Emma Laird
Rowena Drake: Kelly Reilly
Vitale Portfoglio: Riccardo Scamarcio
Laufzeit 104 Minuten
FSK
Veröffentlichung: 22. November 2023 auf Disney+

Nach Mord im Orient-Express (2017) und Tod auf dem Nil (2022) verfilmt der britische Regisseur Kenneth Branagh eine neue Geschichte von Agatha Christie. A Haunting in Venice basiert auf dem Roman Hallowe’en Party und sieht als Protagonisten den altbekannten Ermittler Hercule Poirot vor, den Branagh wieder selbst verkörpert. Die Geschehnisse der Vorlage aus Großbritannien nach Venedig zu verlagern, ist grundsätzlich eine der besten Entscheidungen, schließlich glänzten schon die ersten beiden Filme von Branaghs Poirot-Verfilmungen mit ihren Schauplätzen. Oder besser gesagt: Mit den Ideen dahinter, denn die CGI-Budenzauber erfüllten zwar ihren Zweck, doch ihre Greenscreen-Herkunft war ihnen deutlich anzusehen. Das ist dieses Mal ein wenig anders: Gedreht wurde an Originalschauplätzen. Das ist begrüßenswert, allerdings ist auf den stimmungsvollen Außenaufnahmen kaum ein Mensch zu sehen. So als würde niemand diese Stadt bewohnen, wodurch fast schon wieder die Wirkung entsteht, als würde es sich um künstliche Aufnahmen handeln. Ein Beigeschmack, den die Poirot-Filme nicht abschütteln können. Da die Handlung ohnehin überwiegend in geschlossenen Räumen spielt, wirken die Außenaufnahmen Venedigs künstlich in die Handlung geschnitten, was sie schon wieder unnötig macht. Denn einen Mehrwert bekommt die Handlung nicht durch die Tatsache, dass sich die Ereignisse gerade in Venedig zutragen sollen. Es könnte im Grunde jeder x-beliebige Ort sein.

Gediegener Fall vor Gruselkulisse

Der Schauplatz, an dem sich der Mord zuträgt, ist ein früheres Waisenhaus, in dem Kinder grausig zu Tode kamen, weshalb gemunkelt wird, dass deren Geister noch herumspuken. Nun teilen sich die Glaubenssätze der Anwesenden in zwei Parteien. Während die einen an das Übernatürliche glauben, bildet Poirot wenig überraschend natürlich die faktenbasierte Seite ab. Tatsächlich bildet der Widerstreit zwischen rationalen Erklärungen und übernatürlichen Phänomenen den roten Faden des Films. Wann immer es um Übernatürliches geht, verlassen wir natürlich die klassischen Kriminalwurzeln. Inszenatorisch rückt Branagh mit seinem dritten Film ein Stück näher in Richtung Gothic-Horror. Mit Jump-Scares, Foltermethoden und einem fiesen Mord bewegen wir uns dieses Mal ein deutliches Stück näher im Horror-Genre als zuvor. Natürlich alles im Rahmen einer FSK 12, doch der Kontrast zu den Vorgängern ist deutlich. Wer nun allerdings vermuten könnte, dass zumindest ein Anflug von Grusel entsteht: Einen richtigen Spannungsbogen gibt es trotz der düsteren Elemente und beengenden Kulissen nicht und Erschreck-Momente halten sich im Rahmen. Auch dramatische Spitzen bleiben aus. Sobald sich Branagh als Poirot mit der Aufklärung des Falls beschäftigt, tritt ein gewisser Stillstand ein, der die Erzählung Tempo kostet.

Freude am Mitraten? Naja! 

Poirots Beobachtungen und weitere Informationsweitergaben wirken in der Aufklärung weniger gehetzt als seine Vorläufer, was sicherlich auch daran liegt, dass der Mord dieses Mal deutlich früher im Film geschieht. Ein Teil der Kritik der Vorgänger, dass Poirots Beobachtungen zu weit weg von der Beobachtungsgabe des Publikums liegen, wird dieses Mal etwas ausgehebelt: Mit den richtigen Beobachtungen ist die Person, die den Mord ausübte, einfacher zu identifizieren. Trotz roter Heringe und anderen Subplots. Auch wenn man in dieser Partie nicht augeschlossen wird, sind die Hinweise eher bisslos und die Rätsel nur mäßig spannend. Der Vorteil ist allerdings, dass sich die Handlung so sehr vom Ausgangsmaterial entfernt, dass die wenigsten Zuschauer bereits mit Vorwissen im Saal sitzen.

Kleinere Brötchen backen

Nachdem Tod auf dem Nil nicht das erwartete finanzielle Ergebnis einfuhr, muss A Haunting in Venice mit weniger Budget auskommen. Am schnellsten bemerkbar macht sich das mit einem Blick auf dem Cast, wo das ganz große Star-Schaulaufen, welches gerade noch beim ersten Teil der Reihe so beeindruckte, diesmal ausbleibt. Mehr Platz für Kenneth Branagh selbst, der seinem Star im Rampenlicht, Hercule Poirot, allerdings wenige neue Facetten abgewinnen kann. Dass Tina Fey trotz einiger Spitzen ihrer Figur gegenüber Poirot doch eine ernste Rolle einnimmt, ist so ungewohnt wie gelungen. Es ist jedoch Michelle Yeoh, die als Medium und gequälte Seele Joyce Reynolds abseits der Hauptfigur am stärksten in Erinnerung bleibt.

Fazit

A Haunting in Venice ist ein wenig innovatives Whodunit-Stück, das am meisten davon profitiert, ein bisschen stärker ans Horror-Fach heranzurücken und sich somit von den Vorgängern zu unterscheiden. Der Schauplatz in Venedig eignet sich prima zur Vermarktung, lässt leider jedoch massig Potenzial liegen, auch wenn die visuelle Verbesserung gegenüber Tod auf dem Nil enorm ist. Es ist offensichtlich, dass Kenneth Branagh nicht besonders am detektivischen Aspekt der Geschichte interessiert ist. Stattdessen lenkt er von der Krimihandlung ab und versucht, den Schwerpunkt auf seine eigene Interpretation von Poirot zu legen – ein Ansatz, der auch im dritten Versuch krachend gegen die Wand fährt. Dramatische Momente oder gruselige Atmosphäre kommen quasi zu keinem Zeitpunkt zum Tragen, weil die Handlung viel zu schnell in Richtung Auflösung voranprescht. Da hilft auch der Ausstattungsüberschuss nicht mehr.

Zweite Meinung

Hercule Poirots dritter Fall entpuppt sich als eine Gondelfahrt, die gefühlt immer nur den gleichen Kanal im Kreis abfährt. Denn alle aufkommenden Elemente waren schon Bestandteil der vorangegangenen Fälle. Wieder einmal sind wir mit einem Mörder auf engstem Raum eingeschlossen, während die Uhr tickt und der Detektiv nichts von sich, aber die Motive seiner Gästen freilegt. Leider ist gerade der Fall für Hobby-Sherlockians schnell zu durchschauen, selbst was das Motiv angeht, sodass nur noch ein paar Fragen bis zum Ende hin die Neugier kitzeln. Die Schauspielenden geben ihr Bestes, um aus ihren Rollen alles herauszuholen. Doch da die Riege der Figuren aus wandelnden Klischees besteht, sind es nur die knackigen Dialoge, die in Erinnerungen bleiben. Gerade Jude Hill in der Rolle des leicht gruseligen Jungen Leopold Ferrier bleibt dank seiner Art gut in Erinnerung. Immerhin: Der marode Piazzo und die schönen Straßen Venedigs bieten vollen Genuss für die Augen.

© Disney

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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