Anna und die Apokalypse

Manche Genres gibt es eigentlich schon längst, aber im Mix noch nicht anders. Sonst lässt es sich kaum erklären, dass Anna und die Apokalypse das erste Zombie-Musical (oder sagt man hier besser Grusical?) der Welt für die große Leinwand ist. Zugegebenermaßen muss man allerdings erst einmal auf die Idee kommen, Musicalformate wie Glee oder Highschool Musical mit Zombiehorror zu kombinieren. Was nach einer Parodie oder Trash klingt, ist ein überaus gelungenes Musical, welches unter der Regie von John McPhail (Where Do We Go From Here) entstand und es allemal verdient hätte, jährlich an Weihnachten angesehen zu werden.

Die Kleinstadt Little Haven, ein Tag vor Weihnachten. Bei Anna (Ella Hunt, Les Misérables) ist die Stimmung alles andere als weihnachtlich. Ihr Vater versteht ihre Australien-Auswanderungspläne nicht, ihr Ex-Freund nervt und sogar auf ihren besten Kumpel John, der plötzlich mehr als Freundschaft will, könnte sie gerade eher verzichten. Anna ist derart absorbiert von ihren Problemen, dass sie zunächst gar nicht mitbekommt, dass die Welt um sie herum in ein großes Chaos gestürzt wird… Mit Kopfhörern auf den Ohren bekommt man eben nicht alles mit.

Mehr als nur zwei gepaarte Hypes

Originaltitel Anna and the Apocalypse
Jahr 2018
Land Großbritannien
Genre Musical, Horror
Regisseur John McPhail
Cast Anna Shepherd: Ella Hunt
John: Malcolm Cumming
Steph North: Sarah Swire
Chris Wise: Christopher Leveaux
Lisa: Marli Siu
Nick: Ben Wiggins
Laufzeit 93 Minuten
FSK

Wer sich denkt: War doch klar, dass der seit The Walking Dead anhaltende Zombie-Wahnsinn eines Tages mit der Strahlkraft eines La La Lands gepaart werden würde, irrt. Bereits 2011 entstand der Kurzfilm Zombie Musical des Drehbuchautors und Regisseurs Ryan McHenry. Dieser verstarb traurigerweise 2015 an Knochenkrebs und so machten sich seine Freunde daran, die Vision doch noch auf die Leinwand zu bringen. Selbst wenn man den Film ohne auch nur den Hauch eines Infofetzen ansieht, wird früh klar: Was wie eine weihnachtliche Komödie beginnt, wird im Laufe der 90 Minuten in einem Zombiefilm münden. Ohne Augenzwinkern bricht eine Zombieseuche los, irgendwo zwischen Bowlinghalle und Schultheater.

Bestens aufgelegter Cast mit echten Sympathieträgern

Zu den Stärken des Films zählt die extrem sympathische Charakterbande. Das Drehbuch nimmt sich besonders viel Zeit zur Einführung seiner Figuren und um das Treiben an der Schule zum Leben zu erwecken. Die Charaktere singen und träumen von einem desillusionierten Leben, in dem es eben doch keine hollywoodtypischen Enden gibt. Die Kids sind halt cool: Als Anna und John auf den ersten Untoten treffen, reagieren sie erstaunlich gelassen und mit trockenen Kommentaren. Ella Hunt besitzt eine enorme Leinwandpräsenz. Ihre Anna ist Teil einer frustrierten und orientierungslosen Generation, die trotzdem hoffnungsvoll auf ein Morgen blickt. Diese Rolle füllt sie mit einem hohen Maß an Charme, sodass man Anna einfach mögen muss. Ebenfalls sticht besonders Sarah Swire (God Help the Girl als angehende Journalistin Steph aus dem Cast hervor. Steph fühlt sich ungeliebt und sucht Erfüllung in ihren sozialen Engagements. Sie begeistert, wenn sie ungelenken Smalltalk betreibt, gleichzeitig in Gefahrensituationen aber in die Offensive geht.

No Hollywood Ending

Das Aushängeschild eines jeden Musicals ist der Soundtrack. Anna und die Apokalypse bedient gleich mehrere Musikgenres. Neben den poppigen Stücken und einer beschwingten Cafeteria-Gruppentanzszene (Parallelen zu High School Musical lassen sich nicht von der Hand weisen) gibt es auch ein punkiges Solo des Schulleiters oder eine Rockhymne eines Zombiekämpfertrupps. Und da sich der Film keineswegs ernst nimmt, sind auch Weihnachtslieder doppeldeutig aufgeladen, um den Figuren auf der anderen Seite Raum für persönliche Songs zu geben. Anna, John und ihre Freunde haben eine Menge zu singen, wenn sie den Tag überleben, die Welt retten und auch noch Annas Vater aus den Klauen des durchgeknallten Schuldirektors befreien wollen.

Das Leben ist keine Zuckerstange

So stark das Musical auch ist, erfolgt der Übergang in den dramatischen Teil doch nicht ganz ohne Stolpern. Dabei geht der Schwung ziemlich verloren, denn das Drehbuch versucht plötzlich einen Ernst entstehen zu lassen, dem einfach die Fallhöhe fehlt. Auch wenn es grundsätzlich lobenswert ist, wenn jede Figur sterben kann und nicht nur das typische Kanonenfutter, bleibt die emotionale Wirkung aus. Splatterfans müssen ebenfalls Abstriche machen. Anna und die Apokalypse ist trotz Zombies kein Horrorfilm und der Film zeigt auch kein Gemetzel mit Blutfontänen. Zudem sind die Zombies weit davon entfernt, furchteinflößend zu sein. Der Rest ist auch eher gängige Kost: Ablenkungsmanöver, Töten mit Zuckerstangen und Slapstick. Wenig originell und nicht immer gelungen, aber schließlich wurde der Film kaum erschaffen, um den Zombie-Horror zu revolutionieren. Dass Horrorkomödien und britischer Humor grundsätzlich zusammenpassen, wissen wir allerdings seit Shaun of the Dead.

Wo aber ist jetzt Weihnachten?

Es entbehrt sich eines gewissen Mutes, einen Weihnachtsfilm ganz ohne Schnee abzuliefern. Das kleine schottische Örtchen ist grau und verregnet, nur die aufdringliche Weihnachtsdeko erinnert uns daran, welche Zeit des Jahres wir haben. Damit bewegt sich der Film nicht unbedingt im Standard eines sinnlichen Weihnachtsfilms, was ihn aber genauso auf dem Boden bleiben lässt. Hier geht es nämlich ganz klar nicht um die Inszenierung dessen, was man zuerst erwarten würde: Kitsch trifft auf Blut. Das ist auch völlig gut so.

Fazit

Anna und die Apokalypse ist ein außergewöhnliches Konglomerat aus Weihnachten, Musical und Zombies, welches auch ganz ohne Glühwein in der Blutlaufbahn Spaß macht. Der Film glänzt mit seinem sympathischen Cast, Selbstreflexion und Hintersinn ebenso wie mit seinem Soundtrack. Sicherlich kein zukünftiger Zombieklassiker und auch kein Meilenstein unter den Musicals. Selbst um ein Kultfilm zu werden, fehlt es dem Titel an Mut und Biss. Aber: Anna und die Apokalypse ist das Splatter-Musical, von dem man nicht einmal wusste, dass man darauf gewartet hat. Ein echter Feelgood-Film!

 

Zweite Meinung

Ich glaube, ab einer gewissen Menge an konsumierten Filmen lässt es sich eigentlich schnell einschätzen, ob ein Film gut oder schlecht ist und ob er die Erwartungshaltung enttäuscht, erfüllt oder übertrifft. Persönlicher ist dagegen, ob man einen Film mag. Zumal das etwas ist, das auch nicht zwangsläufig passiert. Ein Film kann rein handwerklich hervorragend sein und auch die gestellten Erwartungen übertreffen, aber es fehlt dann doch letztlich die persönliche Bindung, manchmal auch gerade, weil der Film etwas zu perfekt poliert ist. Spätestens als sich Anna mit einem fröhlich hoffnungsvollen Song durch die von ihr nicht wahrgenommene Zombie-Apokalypse singt und sie und John headbangend und Luftgitarre-spielend über einen Friedhof tanzen, wusste ich, dass ich diesen Film nicht nur mag, sondern ihn mit seinem Übergang von choreographierter Adoleszenz-Serenade hin zum Zombie-Survival sogar liebe. Ich mag die Idee, ich mag die Mischung und die hochsympathischen Figuren und auch der Soundtrack lässt sich gut abseits des Filmes hören. Anna und die Apokalypse hat allerdings ab einer gewissen Stelle einen ziemlichen Schnitt, nach welchem viel von der anfänglichen – auch wundervoll makaberen – Leichtigkeit verloren geht, mehr und mehr Figuren sterben und es auch mit weniger Musik eher melancholisch wird. Aber irgendwie mag ich es auch, dass dieses typische Zombiefilm-Element nicht zugunsten von konsequenter Komik herausgenommen worden ist und der Film auch diesen Aspekt hat.

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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Misato
Redakteur
25. April 2019 20:53

Auf der einen Seite hatte ich gehofft, dass der Film noch etwas schriller ausfällt, auf der anderen bin ich aber positiv überrascht worden, wie schonungslos manche Sachen daher kommen.

Spoiler
Zombiefilme haben nahezu nie ein Happy End (das wäre schon wieder einen Twist wert), dazu wird es sogar extra besungen, dass es keine Hollywood Endings gibt und doch war ich nicht so ganz auf das Ableben aller Personen gefasst. Vor allem die Art und Weise wie es einige trifft.
Das ist schon bombig erzählt und da muss der Film sich nicht hinter Horror-Kollegen verstecken. Das schmale Budget sieht man natürlich, aber dafür ist der Look insgesamt gelungen. Der Kunstschnee ist da wohl noch ein Tiefpunkt, aber der wird nur kurz für die Atmosphäre genutzt und gut ist.

Die Songs gefallen mir gut und decken alles ab. Was schnelles, was dramatisches, Gruppennummer, Duett-Momente, alle Emotionen einmal durch. Als Musical finde ich den Film rundum charmant, manche Zeilen laden beim zweiten Mal sofort zum mitsingen ein. Daumen hoch.

Und ich muss zustimmen, die Schauspieler machen ihren Job einfach gut. Mir ist dadurch keine der Figuren komplett egal. Mehr von Ella Hunt zu sehen würde mich in Zukunft freuen (ich bin ja eh gespannt auf die Miniserie Dickinson).