Archive
Eine Frage, die uns seit Anbeginn der Menschheit begleitet, ist die Frage nach Menschlichkeit. Was macht uns zu einer überlegenen Spezies? Mit der Industrialisierung und später der Digitalisierung wurde diese Frage erweitert: Was macht uns ersetzbar? Viele Science-Fiction-Titel haben sich dieser Thematik auf ihre eigene Weise angenähert. Regie-Neuling Gavin Rothery, der seine Erfahrungen als Produktionsdesigner in Duncan Jones’ Moon sammelte, stellt sich diesen Fragen in seinem Erstling Archive. Dieses erinnert auf den ersten Blick frappierend an Alex Garlands Ex Machina, entwickelt sich allerdings stärker in Richtung einer Black Mirror-Episode. Deutsche Zuschauer konnten sich auf dem Fantasy Filmfest 2020 bereits ein Bild von dem Titel machen, können dies aber spätestens am 5. November 2020 nachholen, wenn der Film in den Handel kommt.
Irgendwo in Japan: George (Theo James, Divergent) lebt isoliert von anderen Menschen. Er arbeitet als Robotik-Ingenieur in einem Labor an künstlicher Intelligenz. Seine Firma gab ihm drei Jahre für die Vollendung seines Projekts und zweieinhalb sind bereits verstrichen. Sein erster Prototyp J1 besitzt die Fähigkeiten eines Kleinkind, das Nachfolgemodell J2 denkt und fühlt bereits wie ein Teenager. J3 heißt das Zielbild. Doch die Androidin ist für George weit mehr als nur ein Projekt und seine Firma ahnt nicht, dass sein Antrieb ganz persönlicher Natur ist …
Der Mensch und die K.I., eine niemals endende Geschichte
Originaltitel | Archive |
Jahr | 2020 |
Land | Großbritannien / USA |
Genre | Science-Fiction, Drama |
Regie | Gavin Rothery |
Cast | George Almore: Theo James Jules Almore / J3 / J2: Stacy Martin Simone: Rhona Mitra Tagg: Peter Ferdinando |
Laufzeit | 105 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 5. November 2020 |
Die filmische Aufarbeitung der Beziehung zwischen Mensch und Maschine wird bereits seit den 70ern rege betrieben. Filme wie Blade Runner, Ghost in the Shell, I, Robot oder Chappie konnten im Zusammenspiel zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz besonders Eindruck hinterlassen. Die Grenzen des künstlichen Daseins wurden dabei schon in allen Formen und Varianten ausgetestet und ausgereizt. Es wird also zunehmend schwerer, der Thematik noch einen neuartigen Kommentar hinzuzufügen oder ein neues Highlight zu erschaffen. Die erste halbe Stunde von Archive vermittelt den Eindruck des bereits oft Gesehenen. Trotz manchen Ablenkungsmanövers durchschauen Zuschauer sehr schnell, worum es eigentlich geht – obwohl die Handlung daraus auch nicht wirklich ein Geheimnis macht. Mit der Thematik, menschliche Nähe durch künstliche zu ersetzen, trifft Gavin Rothery trotzdem einen Nerv. Immer wieder unterbrechen Erinnerungsfragmente die Handlung und in Rückblenden ist Protagonist George in Gesprächen mit seiner Frau Jules (Stacy Martin, Vox Lux) zu sehen. Man muss nicht viele Sci-Fi-Produktionen konsumiert haben, um zu erahnen, welchen Weg diese Geschichte wohl einschlagen wird.
Gelungene moralische Ansätze mit Optimierungspotenzial
Der weitaus spannendere Part ist der, der auch den Filmtitel prägt: “Archive” beschreibt eine Ansammlung von Erinnerungen. Ein ganz persönliches Archiv, in dem Gedanken an vergangene Ereignisse abgelegt werden und welches Gegenstand von Georges Forschung ist. Das erinnert ganz entfernt an die Amazon Prime Original-Serie Upload, in der ebenfalls aus gespeicherten Erinnerungen ein neues digitales Bewusstsein erschaffen wird. Unter diesem Aspekt betrachtet, sind sich beide Werke sogar relativ ähnlich, nur dass Archive stärker auf seinen emotionalen Sog setzt. Gavin Rothery erzählt nämlich eine tragische Geschichte, in der für Humor kein Platz ist und in der sich der Protagonist mancher moralischen Frage widmen muss, ohne dass der erzählerische Tiefgang mit der Stärke der Emotionen mithalten kann. Hauptdarsteller Theo James geht in der eigentlichen Wucht der Geschichte völlig unter. Nicht, dass er schlecht spielen würde. Ein Charakterdarsteller ist er allerdings (noch) nicht und kann diese One Man-Show alleine nicht stemmen.
Ein Mann, der sein Handwerk beherrscht
Für sein Filmdebüt kombinierte Rothery Bilder aus der Natur (das Labor liegt irgendwo im Nirgendwo einer japanischen Gebirgskette) mit kühlen Labor-Bildern. Durch die überwiegend bläuliche Farbpalette wird auch die Einsamkeit, die Georges Leben auszeichnet, unterstrichen. Umso emotionaler und lebhafter sind dafür die Erinnerungsszenen, die das Auf und Ab einer Beziehung begleiten. Hat man Moon gesehen, ist Archive leicht anzusehen, dass derselbe Verantwortliche hinter dem Produktionsdesign sitzt. Rothery setzt beispielsweise auf dieselben Kameraperspektiven und stattet das Innendesign seiner Forschungsstation mit kräftigen Farben aus. Visuell punkten auch die Designs seiner K.I.s, die von Modell zu Modell humaner werden. Auf technischer Ebene macht die Produktion somit einen deutlich ausgereifteren Eindruck als auf der inhaltlichen.
Fazit
Archive erzählt auf ruhige Weise eine dramatische Geschichte und fügt sich nach und nach durch Flashbacks zusammen. Der Film würde auf wohlige Weise auch als Black Mirror-Folge durchgehen. Für ihre Spielfilm-Laufzeit ist die Story schließlich aber zu dünn und davon kann auch die non-lineare Erzählweise nicht ablenken. Ein Titel wie Ex Machina hinterlässt im direkten Vergleich auf allen Ebenen einen stärkeren Eindruck. Und wenn man diesen bereits kennt und mag, gibt es wenige Gründe, die für Archive sprechen. Es sei denn, man kann von K.I.-Titeln gar nicht genug kriegen und erfreut sich auch an kleineren Ansätzen. Ohne dass Gavin Rothery mit seinem Film wirklich viel falsch macht.
© Capelight Pictures
Veröffentlichung: 5. November 2020