Arielle, die Meerjungfrau (2023)
Mit den bisherigen Live Action-Adaptionen war es für Disney stets ein Hit-or-Miss-Fall: Entweder handelte es sich um einen echten Finanzkracher wie König der Löwen (2019) oder Aladdin (2019) oder das Ergebnis ging krachend unter. Man denke da nur an Pinocchio (2022) oder Peter Pan & Wendy (2023), die von Fans und Kritik gleichermaßen verschmäht wurden. Eine Adaption von Disneys Klassiker Arielle, die Meerjungfrau besitzt da noch einmal einen ganz anderen Stellenwert. Dieser Film nämlich war es, der für den Maus-Konzern 1989 eine neue Ära einleitete und einen großen Teil dazu beitrug, dass nachfolgende Zeichentrickfilme zu großen Kino- und Kinderzimmer-Hits wurden. Die 2023er Verfilmung unter dem Musical-Experten Rob Marshall (Chicago) trägt also eine schwere Bürde mit sich und wurde bereits im Vorfeld mächtig befeuert. Die Gründe waren wahlweise die diverse Besetzung oder etwaige Änderungen an den Songtexten. Dabei ist eigentlich nur eines wichtig: Kann der am 6. September 2023 auf Disney+ erschienene Film unterhalten? Lohnt er sich, wenn man das Original kennt und mag?
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Die Meerjungfrau Arielle (Halle Bailey) ist fasziniert von der Welt an der Oberfläche und sammelt im Geheimen Gegenstände von Menschen, die ins Meer gespült werden. Als sie eines Tages Prinz Erik (Jonah Hauer-King) vorm Ertrinken rettet, möchte sie ihn näher kennenlernen. Doch Welten liegen zwischen den beiden und Arielles Vater, König Triton (Javier Bardem), warnt vor den Menschen. Dies bekommt auch die Meereshexe Ursula (Melissa McCarthy) mit, die eigennützig Arielle einen unfairen Deal vorschlägt und ihr Beine statt Schwimmflossen im Tausch gegen ihre Stimme schenkt. Nur drei Tage hat Arielle Zeit, an Land einen Kuss von Erik zu bekommen, oder ein schweres Schicksal ereilt sie …
Ein Casting zu Unrecht unter Beschuss
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Originaltitel | The Little Mermaid |
Jahr | 2023 |
Land | USA |
Genre | Fantasy, Romanze |
Regie | Rob Marshall |
Cast | Arielle: Halle Bailey Erik: Jonah Hauer-King Ursula: Melissa McCarthy Triton: Javier Bardem Grimsby: Art Malik Sebastian: Daveed Diggs Fabius: Jacob Tremblay Scuttle: Awkwafina Vanessa: Jessica Alexander |
Laufzeit | 136 Minuten |
FSK | ![]() |
Veröffentlichung: 6. September 2023 auf Disney+ |
Wie so häufig im Hause Disney werden gerade ältere Rollen und Bösewichte meistens namhaft besetzt. Mit Melissa McCarthy (Spy – Susan Cooper Undercover) in der ikonischen Rolle der Meereshexe Ursula und Javier Bardem (James Bond 007: Skyfall) als Triton wurden zwei große Namen der Filmbranche verpflichtet, während die Titelrolle wie so häufig von einer Newcomerin gespielt wird. Die Besetzung von Halle Bailey warf viele Fragen auf und gab sensiblen Gemütern mächtig Anlass zur Kritik. Wie eigentlich immer, wenn es die Vergabe populärer Rollen geht, man denke da nur an Robert Pattinson als Batman. Ärgerlicher ist an der Stelle, dass der Diskurs hässliche Auswüchse aufgrund Baileys Hautfarbe nahm. Dabei spielt die Hautfarbe in der Märchenvorlage von Hans Christian Andersen (1836) gar keine explizite Rolle. Wie so oft erzeugte dies einen großen Rummel vor dem Film, doch wichtig ist das Hinterher. Nach dem Film sollte das wirklich keine Rolle mehr spielen: Halle Bailey spielt die junge, neugierige Meerjungfrau mit solch einer Inbrunst, dass der Disney-Zauber schnell aufkeimt. Die Filmografie von Jonah Hauer-King (Postcards From London) ist noch überschaubar, doch er bringt genügend Präsenz mit, um Prinz Erik mit ein bisschen mehr Tiefe als im Original zu füllen. Arielles tierisches Sidekick-Trio Sebastian, Fabius und Scuttle, gesprochen von Daveed Diggs, Jacob Tremblay und Awkwafina, ist so unterhaltsam wie eh und je. Auch wenn sich die berechtigte Frage stellt, ob Scuttles Geschlecht wirklich eine Rolle spielt und weshalb die Möwe nun weiblich sein muss. Die Dynamik zwischen Menschen und Tieren funktioniert jedenfalls wie im Original. Einzig Fabius geht optisch und charakterlich unter, da seine einzige Aufgabe darstellt, Arielles Begleiter zu sein.
Arielle und Erik
Woran das Verhältnis zwischen Arielle und Erik ein wenig schwächelt, ist letztlich die Glaubwürdigkeit der Romanze. Wie schon im Original besinnt sich die Geschichte darauf, dass der Drang nach Freiheit die große Gemeinsamkeit darstellt. Davon zehrt die gesamte Romanze binnen kürzester Zeit. Auch wenn Eriks Geschichte nun filigraner ausgearbeitet wirkt und seine Probleme und Wünsche jenen von Arielle gleichen – nur eben auf der anderen Seite des Meeresspiegels. Man kann an vielen Disney-Zeichentrickproduktionen kritisieren, dass die Prinzen oftmals weit weniger Charakter abbekommen als die Prinzessinnen. Es scheint, als wisse das Drehbuch um jenen Umstand und wolle bestmöglich verhindern, dass diese Tatsache Erik zum Verhängnis wird. Auch sein Hof spielt eine größere Rolle, inklusive seiner Adoptivmutter, die ähnlich wie Triton einige Bedenken hat. Ansonsten zehrt die Verbindung beider aus den gemeinsamen Szenen, die in Zeitraffer erzählt werden. Denn die dramatische Entwicklung galoppiert voran und will, dass Erik sein Herz doch bitte möglichst bald verschenken möge. Der eigentliche Kritikpunkt steckt im Grunde also schon im Original.
Visuell auf Sparflamme
Ein Film, der unter Wasser spielt, bringt immer das Potenzial mit, viel Augenweide aus der Tiefe des Meeres herauszuholen. Dies erkannten auch die Verantwortlichen hinter Filmen wie Aquaman, Avatar: The Way of Water oder Black Panther: Wakanda Forever. Drei Filme, deren lebendige Unterwasserwelten beeindrucken und mit denen Arielle, die Meerjungfrau nicht im Ansatz mithalten kann. Wie der Zeichentrickfilm ist auch die 2023er Version grundsätzlich farbenfroh, an einigen Stellen aber wesentlich zu dunkel geraten. Das schafft eine Düsternis, die gar nicht einmal unbedingt beabsichtigt scheint. Darüber lässt sich besser hinwegsehen als über die Effekte, wenn es um die Meeresbewohner geht. Gerade in den ersten Szenen, wenn die Meerjungfrauen zu sehen sind, entsteht eine unschöne Uncanny Valley-Wirkung und man wird aus der Illusion gerissen, gerade tief in einem Meeresabenteuer zu stecken. So recht stimmig mag das alles nicht aussehen. Das geschieht nicht unbedingt bei Arielle, die weit aufwendiger designt ist als andere, sondern eher bei ihren Schwestern. Ein anderes visuelles Problem ist die Darstellung der Tiere: Das Vorhaben, Sebastian und Fabius möglichst realistisch aussehen zu lassen, beraubt sie gleichzeitig eines gewissen Charmes und die Tiere sind weniger süß als noch im Original. Die realistische Gestaltung killt den Wiedererkennungswert, da sie aussehen wie x-beliebige Tiere, die man so kennt, wie sie sind.
Ein Mensch zu sein
Die wichtigste Frage: Wie übersteht das Flair der Original-Version die Überfahrt in Live-Action-Gefilde? Die Antwort ist: sehr gut. Arielle, die Meerjungfrau macht sogar eines noch besser: Der Film versteht es, die Welt an der Oberfläche stimmungsvoll auszubauen. Es wird deutlich, dass wir uns irgendwo in der Karibik befinden, was auch gleich die Calypso-Songs des Films gleich viel organischer klingen lässt. Ein echtes Upgrade für die Stimmung! Vor allem ein „Unter dem Meer“ passt einfach zu gut ins maritime Bild, während ein „Küss sie doch“ noch immer ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Die Magie funktioniert, ganz ohne Frage! Umso bedauerlicher, dass das Lied des Kochs ebenso wie die gesamte Sequenz mit ihm und Sebastian gestrichen wurde.
Fazit
Bei Disney weiß man immer, dass am Ende alles gut ausgeht. Und doch bietet Arielle, die Meerjungfrau genügend Szenen zum Mitfiebern. Insgesamt gibt der Film wenig Anlass für echte Kritik her – und ist gleichzeitig auch zu belanglos, um ihn zehn Jahre später noch als Klassiker der Zukunft auf dem Zettel zu haben. Wenn es berechtigt etwas zum Nörgeln gibt, dann die Tatsache, wie der Stoff der 83-minütigen Originals auf satte 135 Minuten aufgeblasen wurde, ohne dass ein echter Mehrwert entsteht. Sonst bleibt die Verfilmung (vielleicht überraschend) nahe am Original und füllt hier und dort ein paar Dinge auf. Wer Schlimmeres befürchtet hat, wird vermutlich einräumen, dass die Umsetzung tatsächlich gelungen und nicht so übel wie befürchtet ausfällt. Insbesondere dank der Besetzung, die die Handlung wahrlich trägt. Halle Baileys unschuldiges Charisma, gepaart mit einer Stimme, die es tatsächlich schafft, dem bekannten Arielle-Soundtrack neue Facetten abzugewinnen, macht Spaß. Gleichwohl handelt es sich um keinen Film, dem man außerordentliche Kreativität nachsagen kann, vor allem nicht angesichts der visuellen Schwächen. Ein grundsolides Remake, das kommerziell durchkalkuliert wurde.
© Disney