Birds of Passage – Das grüne Gold der Wayuu
Drogenhandel ist in Mode. Nicht nur das reale organisierte Verbrechen boomt, sondern auch zahlreiche Kino- und TV-Produktionen über diverse lateinamerikanische Drogenhändler erfreuen sich einer ungebrochenen Beliebtheit, allen voran Netflix’ Narcos. Ebenfalls im Milieu der kolumbianischen „narcotraficantes“ spielt Birds of Passage, welches am 25. Juli 2019 in Deutschland auf Blu-ray und DVD erscheint. Die bekannte Thematik wird hier aber aus einer neuen Perspektive beleuchtet. Denn Regisseur Ciro Guerra ist darauf spezialisiert, die Geschichte und Kultur der indigenen Völker seines Heimatlandes Kolumbiens auf die große Leinwand zu bringen. Dementsprechend sind seine Protagonisten nicht Pablo Escobar oder die Paten von Cali, sondern das Volk der Wayuu, welches ganz im Norden des Landes auf der teils wüstenähnlichen Guajira-Halbinsel lebt. Deren Einstieg ins Drogengeschäft erzählt er nicht als Genrefilm, sondern als Drama einer tödlichen Modernisierung.
Die Handlung beginnt im Jahr 1968. Rapayet (José Acosta) hat keine Familie mehr. Daher ist er ein Außenseiter in der clanbasierten Gesellschaft der Wayuu. Dennoch möchte er die bildschöne Zaida (Natalia Reyes, Terminator: Dark Fate) heiraten. Doch diese entstammt einer hoch angesehenen Familie, der Brautpreis ist beträchtlich. Um diesen aufzutreiben, handelt er mit seinem Kumpel Moisés (Jhon Narváez, El Piedra) mit verschiedenen Gütern. Eines Tages treffen sie auf amerikanische Entwicklungshelfer, die eine größere Menge Marijuana erwerben möchten. Rapayet hat die richtigen Kontakte zu den Produzenten, kann die Lieferung besorgen und steigt bald zu einem wichtigen Zwischenhändler der begehrten Droge auf. Doch mit den Profiten kommt bald die Gewalt und droht das Leben und die Lebensweise der Wayuu zu zerstören.
Perspektivwechsel
Originaltitel | Pájaros de verano |
Jahr | 2018 |
Land | Kolumbien, Dänemark, Mexiko |
Genre | Drama, Thriller |
Regisseur | Ciro Guerra, Cristina Gallego |
Cast | Rapayet: José Acosta Úrsula: Carmiña Martínez Moisés: Jhon Narváez Zaida: Natalia Reyes Peregrino: José Vincentes Cotes Aníbal: Juan Martínez Leonidas: Greider Meza |
Laufzeit | 125 Minuten |
FSK |
Schon mit Der Schamane und die Schlange hat Ciro Guerra indigene Kultur einzigartig auf Film gebannt. Manchen mag dies problematisch erscheinen, schließlich ist Ciro Guerra kein Angehöriger der porträtierten Völker. Allerdings betrachtet er seine Filme als Begegnung mit dem, auch für ihn, Fremden. Dennoch betonen seine Filme nicht die Distanz zur indigenen Kultur, sondern versuchen vielmehr selbst eine indigene Perspektive zu übernehmen. So wird Birds of Passage zu Beginn nicht durch einen klassischen Erzähler eingeleitet, sondern durch einen Gesang. Denn erzählende Lieder werden in vielen Kulturen genutzt zur mündlichen Überlieferung geschichtlicher Ereignisse. Dementsprechend teilt sich die ganze Handlung nicht in Kapitel, sondern in mehrere Lieder, deren Titel zu Beginn eines neuen Erzählabschnitts eingeblendet werden. Ebenfalls spielen Traumsequenzen und deren Deutung als Teil der Religion der Wayuu eine wichtige Rolle. Darüber hinaus werden verschiedene gesellschaftliche Mechanismen und Rituale dokumentiert. Wir sehen die Umwerbung einer Braut in Form eines kämpferischen Tanzes, die komplizierten Verhandlungen, die einer Eheschließung vorangehen und Trauerzeremonien wie die sogenannte zweite Totenwache und heilige Reinigungsrituale. Eine Schlüsselrolle als Parlamentäre im Drogenkrieg spielen schließlich die sogenannten Wortboten. Unbedingt sollte man den Film in der Originalfassung mit Untertiteln sehen, denn ein Großteil der Dialoge wird in Wayuunaiki geführt und sprachliche Unterschiede spielen in der Handlung eine wichtige Rolle.
Lean statt Scorsese
Doch in erster Linie haben wir es hier natürlich mit einem Gangsterfilm zu tun. Allerdings ist es durchaus irritierend, dass internationale und deutsche Kritiker Parallelen zu Scorsese und Coppola sehen. Denn Guerra hat nicht wirklich einen Genre-Film gedreht. Vielmehr kann seine Arbeit als ein Anti-Gangsterfilm begriffen werden. So hat er in einem Interview geäußert, dass sein Film ein Gegenentwurf zur Glorifizierung der Gewalt in der kolumbianischen Popkultur sei. Diese Intention merkt man seiner Arbeit deutlich an. So gibt es im Film keinen Erzähler, der lässig prahlerisch durch den Film führt, keine coolen Showdowns, aber vor allem kaum Gewaltdarstellungen. Dabei ist die Handlung durchaus brutal. Doch von der Gewalt sehen wir meist nur die Folgen, diese aber in ihrer ganzen Grausamkeit. Dies erinnert viel eher an den Stil David Leans, als an die Gangster-Epen Scorseses. Indem Schießereien gezielt ausgeblendet und übliche Splatter-Effekte vermieden werden, umgeht Guerra das Dilemma, dass fast jede Darstellung von Gewalt mit einer Ästhetisierung einhergeht und als Glorifizierung missverstanden werden kann. Gleichzeitig ist der Film durch die Unterteilung in Lieder eher episodisch angelegt. Dadurch werden bestimmte Entwicklungen einfach übersprungen. Dies hilft der Fokussierung auf das Wesentliche, stört aber gleichzeitig den Erzählfluss. Wer hier einen Genrefilm erwartet, dürfte daher schnell enttäuscht werden. Tatsächlich schafft es Guerra zu keinem Zeitpunkt, die Faszination und Mentalität, die dem Gangsterdasein innewohnt, dem Publikum zu vermitteln. Der Drogenhandel wird hier von keinem Mythos umgeben. Das macht den Film weniger mitreißend, dafür aber realistischer.
„Que viva capitalismo!“
Denn tatsächlich wollen die Filmemacher eine neue, eine andere Geschichte erzählen. Ihr Werk handelt nicht so sehr vom Rausch aus Macht, Reichtum und Adrenalin, den anderen Gangsterfilme oftmals zum Thema haben. Das Interesse gilt der Gesellschaft der Wayuu und den dramatischen Veränderungen, welche diese durchläuft. Dabei lässt der Film zu keinem Moment Zweifel daran aufkommen, wer die eigentlichen Verursacher der gezeigten Misere sind. Denn ohne amerikanische Konsumenten gäbe es keinen Drogenhandel. Und bezeichnenderweise sind die ersten Amerikaner, welche den Drogenhandel anregen, Vertreter des Friedenscorps. Dieses war bekanntlich in der Absicht gegründet worden, Länder, welche den USA als „unterentwickelt“ galten, zu modernisieren und dadurch dem Kommunismus die Grundlage zu entziehen. Durch den Drogenhandel vollziehen die Wayuu in gewisser Weise eben diese Modernisierung nach amerikanischem Vorbild. So begeben sie sich in ein kapitalistisches System, in dem selbst Gewalt zu einer handelbaren Ware wird und Monopole blutig erkämpft werden. Dank des erwirtschafteten Reichtums kaufen sie sich teure Autos und ziehen aus ihren Lehmhütten in klimatisierte Villen um. Doch vom neuen Wohlstand profitieren nur wenige Clans, und mit der traditionellen Lebensweise schwinden gleichsam die überlieferten Werte. Das Recht des stärkeren ersetzt die angestammten Konfliktbewältigungsstrategien und führt zu einer Gewaltspirale, die schließlich alle beteiligten verschlingt. Birds of Passage kann somit als behutsame Modernisierungskritik verstanden werden. Allerdings wird dabei nicht der Fehler begangen, die Wayuu als wehrlose oder naive Opfer einer von außen aufgezwungenen Entwicklung darzustellen. Die Protagonisten des Films wissen, welches Unheil sie anrichten. Gleichzeitig kommen Clan-Vertreterinnen zu Wort, welche den Drogenhandel verdammen und ein stolzes Plädoyer für eine wehrhafte Autonomie der indigenen Völker vorbringen.
Schlichte Schönheit
Doch bei allem Realismus bedienen sich Ciro Guerra und Cristina Callego keines dokumentarischen Stils. Vielmehr erinnert die Bildsprache an das Hollywood-Kino der Studio-Ära. Es wird relativ wenig geschnitten, Einstellungen werden lange gehalten und bestehen oftmals aus Halbtotalen. Das gibt teilweise Gelegenheit zu wunderschönen Bildkompositionen, kann aber manchmal etwas plump wirken. Dadurch wechseln sich wunderschöne mit eher nüchternen Bildern ab. Dies entspricht wohl der Intention des Regisseurs, der hier mit den Mitteln des Kinos anknüpfen möchte an die in Kolumbien entstandene literarische Form des magischen Realismus. Vor allem in der zweiten Hälfte des Films finden sich aber auch surreale Elemente, da die Luxusvillen der Drogenhändler wie Fremdkörper in der Welt der Wayuu wirken. Alle Bilder sind geprägt durch kräftige organische Farben, da auf 35mm-Film gedreht wurde.
Fazit
Birds of Passage ist weder so unterhaltsam wie Narcos noch so berauschend und intensiv wie Guerras Vorgängerfilm Der Schamane und die Schlange. Doch dies ist durchaus beabsichtigt. Sein neuer Film ist eben keine intensive Auseinandersetzung mit der Mystik der indigenen Völker und setzt der Stilisierung des Gangsterfilms eine nüchterne aber gleichsam wunderschöne Chronik entgegen, welche die zerstörerischen Kraft des Drogenhandels dokumentiert.
© MFA+
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