Border
Die nordische Mythologie hält so einige Inspirationen bereit, die viel zu selten ihren Weg auf die große Leinwand finden. Border von Ali Abbasi (Shelley) ist ein solcher Film, der ein Stück weit mehr Aufmerksamkeit genießen darf als manch anderer Film aus Skandinavien: Das Schwedische Filminstitut wählte den Film als schwedischen Beitrag für die Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ für die Oscar-Verleihung 2019 aus. Im Rahmen des Fantasy Filmfests 2018 war Border das “Centerpiece”, also der Hauptfilm des Festivals. Und auch ein regulärer Kinostart in Deutschland im April 2019 war dem Film nicht vergönnt. Border ist Phantastik pur und das ganz abseits von Fantasy-Blockbustern. Die schwedische Produktion vereint Mystery mit nordischer Fantasy um eine Geschichte voller Tiefe und Wucht zu erzählen.
Tina (Eva Melander, Real Humans – Echte Menschen) arbeitet als Grenzbeamtin an der schwedischen Grenze. Sie verfügt über eine ungewöhnliche Gabe: Sie kann menschliche Gefühle wie Angst, Schuld und Scham riechen. Diese Fähigkeit ist ihr beruflicher Trumpf, denn so überführt sie Schmuggler und Diebe. Eines Tages begegnet sie mit Vore (Eero Milonoff) einem Mann, mit dem sie einiges gemeinsam hat: Beide haben einen Chromosomfehler und daher ein entstelltes Gesicht mit Narben. Doch da ist noch etwas anderes, das Vore von anderen Menschen unterscheidet: Tinas Geruchssinn funktioniert bei ihm nicht. Dafür wirkt er auf sie umso anziehender und obwohl Tina in einer platonischen Beziehung lebt, kommen sich beide in den Wäldern Schwedens näher…
Der Geist des Waldes
Originaltitel | Gräns |
Jahr | 2018 |
Land | Schweden |
Genre | Fantasy, Drama |
Regisseur | Ali Abbasi |
Cast | Tina: Eva Melander Vore: Eero Milonoff Roland: Jörgen Thorsson |
Laufzeit | 110 Minuten |
FSK |
Der erste Drehbuchentwurf zu Border stammte aus der Feder des schwedischen Horror-Schriftstellers John Ajvide Lindqvist. Er dürfte Genrekennern durch So finster die Nacht bekannt sein. Doch die Geschichte ist zunächst einmal Nebensache. Das Offensichtlichste ist wohl ein Punkt, um den man nicht herumkommt: Tinas Optik. Entstellt möchte man sie nicht nennen. Doch sie sieht merkwürdig aus: die Nase wulstig, der Mund erinnert ein wenig an eine Schnauze. Ihre Haare sind strähnig und ihre Haut wirkt dicklich. Die Maske leistete hier volle Arbeit, was dem Film auch eine Oscar-Nominierung für das beste Make-up einfuhr. Trotzdem ist Tina keine Person, die man auf ihre Visage reduziert. Denn sie ist erfolgreich in ihrem Beruf und es gibt keine Anzeichen von Ausgrenzung. Nur privat ist sie nicht gesellschaftlich integriert und lebt abgeschieden mit ihrem Freund im Wald. Der Wald ist ein wichtiger Ort, denn immer gedanklich mit einem Ohr am Boden hört und fühlt Tina, was die Natur ihr sagt.
Tina, eine Protagonistin mit Ecken und Kanten
Um die Geschichte zusammenzuhalten, wurde um sie herum ein Kriminal-Korsett gesponnen, welches ganz im Stile skandinavischer Krimis daherkommt und auch eine düstere Thematik behandelt. So richtig in Fahrt kommen will dieser Erzählstrang trotz seiner Brisanz jedoch nicht und als Zuschauer ist ohnehin viel interessanter, wie sich Tinas Privatleben entwickelt. Für ihre Rolle als Tina nahm Eva Melander 20 Kilo zu. Versteckt unter einer dicken Makeup-Schicht sind ihre Gefühle nur an ihren Augen abzulesen. Es dauert eine Weile, sich mit ihr als Hauptfigur anzufreunden, da auf ihr Aussehen kaum eingegangen wird, man allerdings unbedingt wissen möchte, was die Ursache dafür ist. Dennoch lässt sich leicht eine Beziehung zu ihr aufbauen, da Tina sich vor allem durch ihren Gerechtigkeitssinn auszeichnet. Diese wird dann wieder unterbrochen, wenn Tinas Geruchssinn ins Spiel kommt. Dieser mutet beinahe animalisch an, zumal sich ihr Riechen je nach Emotion gleich in mehreren Facetten widerspiegelt. Dabei wirkt sie aber noch immer menschlicher als ihre Begegnung Vore. Als Zuschauer ahnt man bereits vor der Enthüllung, wie der Hase läuft:
Ein modernes Märchen
Der Titel des Films ist natürlich auf den ersten Blick eine Beschreibung von Tinas Beruf als Grenzbeamtin. Je weniger man über den Film weiß, desto besser. Doch soviel sei verraten: Die metaphorische Ebene lässt sich nach Sehen des Films schnell erschließen. Ohnehin fällt es nicht schwer, die Produktion als modernes Märchen anzuerkennen. Dafür sind alle wichtigen Bestandteile enthalten, die Entwicklung der Geschichte ist rätselhaft und vage. Nur die Moral der Geschichte muss sich jeder selbst zusammensuchen. Genug Andockstellen zu zeitgenössischen Diskursen sind zahlreich vorhanden.
Fazit
Border ist ein Film über das Hinterfragen der eigenen Existenz und das Finden zu sich selbst. Außenseitertum, Identität, Ausgrenzung, Schönheit, Mensch und Natur, … es lassen sich zahlreiche Motive und Interpretationen in dem Film finden. Alleine das macht ihn bereits sehenswert. Dazu gibt es beeindruckende Natur-Bilder: Wenn es Tina und Vore in die Weiten der Natur zieht, zeigt sich die ganze Brillanz der Bilder. Die breite Masse wird berechtigterweise einen weiten Bogen um den Film machen: Wer nicht von Tinas Erscheinungsbild abgeschreckt wird, wird sich spätestens dann mit dem Film schwer tun, wenn sich Regisseur Ali Abbasi und Drehbuchautor John Ajvide an allem weiden, was unangenehm ist. Ecken und Kanten sind zuhauf vorhanden, wodurch Border wie eine ungeschliffene Version von Shape of Water anmutet.
© Capelight Pictures