Cruella

Wer kann 99 putzigen Hundewelpen die Schau stehlen? Nur eine von Disneys ganz großen Schurkinnen, die bei Kindern wohl mit wohligem Grusel die Frage antriggern, wie es sein könnte, wenn Mama BÖSE wäre. Durch Disneys 101 Dalmatiner von 1961 tobt die teuflische Cruella de Vil, die aus getupften Hundebabies einen Pelzmantel machen will und mit ihrem schwarzweißen Haar und ihren extravaganten Pelzroben einen großen Auftritt nach dem anderen hinlegt. 1996 übernahm Glenn Close die Rolle der exzentrischen Modedesignerin des Teufels und 2021 ist es Zeit für die nächste Verwertungsrunde. Der Titel legt es schon nahe: Cruella interessiert sich kaum noch für Dalmatiner, sondern stellt die Frage, wie ein nettes Mädchen zur Superschurkin heranreifen kann. Am 28. Mai 2021 erschien der Film  auf Disney und kam am 19. August in den Handel.

 

Schon immer hatte die kleine Estella schwarzweißes Haar, den Drang, Kleidung hochindividuell und schrill zu stylen und ein gespaltene Persönlichkeit: Wenn ihre ungezähmte Seite namens Cruella übernimmt, dann verhaut sie fiese Jungs, pimpt ihre Schuluniform mit Sicherheitsnadeln und Tintenflecken auf und bricht jede Regel, die ihr in die Quere kommt. Doch die artige Estella möchte Mama glücklich machen und es im Leben zu etwas bringen. Ohne Cruella. Von der Schule geflogen und plötzlich mutterlos strandet sie in London, wo die die Straßenjungen Jasper (Joel Fry, Game of Thrones) und Horace (Paul Walter Hauser, BlacKkKlansman) sie in ihre Diebesbande aufnehmen. Zehn Jahre später hat Estella (Emma Stone, La La Land) genug von der Kleinkriminalität und möchte es in die Welt der Mode schaffen. Ihr erster Anlauf endet in einem trostlosen Putzjob ohne Aufstiegsschancen, doch immerhin macht ein von Cruella kreativ verwüstetes Schaufenster die legendäre Modedesignerin Baroness Von Hellman (Emma Thompson, Sinn und Sinnlichkeit) auf Estellas Talent aufmerksam. Aber auch die Baroness tyrannisiert ihre Untergebenen und außerdem verbinden sie finstere Geheimnisse mit Estellas toter Mutter. Sodass Estella immer mehr von ihren guten Vorsätzen abkommt und Cruella freie Bahn lässt, die der Baroness den Kampf um die Vorherrschaft in der Welt der Mode ansagt.

Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überall hin

Originaltitel Cruella
Jahr 2021
Land USA
Genre Komödie, Krimi
Regie Craig Gillespie
Cast Estella/Cruella de Vil: Emma Stone
Baroness Von Hellman: Emma Thompson
Jasper: Joel Fry
Horace: Paul Walter Hauser
Boris: Mark Strong
Anita Darling: Kirby Howell-Baptiste
Catherine: Emily Beecham
Laufzeit 134 Minuten
FSK
Veröffentlichung: 19. August 2021

Weiblich Selbstbefreiung also. Solange Estella ihr schwarzweißes Haar unter einem Hut oder einer Perücke versteckt, scheitert sie an fiesen Schulkameraden, unterfordernden Arbeitsbedingungen und bösen Vorgesetzten. Sobald sie ihrer anderen Seite freien Lauf lässt, bricht ihre Kreativität nur so aus ihr hervor und wehe dem, der sich ihr dann in den Weg stellt. Allerdings ist Cruella nicht nur hochbegabt, clever und durchsetzungsfähig, sie ist auch ein Miststück. Genau so rücksichtslos und egozentrisch wie ihre Gegenspielerin, die Baroness, die alles hat, was sich Estella/Cruella wünscht: den kreativen Traumjob, Macht und weltweite Anerkennung. Im Konkurrenzkampf der beiden Frauen gewinnt die Jüngere, indem sie zu dem wird, was sie die ganze Zeit bekämpft. Man freut sich über jeden von Cruellas Triumphen, aber mögen tut man sie dafür immer weniger. Andererseits gibt es durchaus ein diebisches Vergnügen an so viel unverfrorener Bosheit. Was wohl genau die richtige Haltung gegenüber einer überdreht-komödiantischen Disney-Antagonistin ist, zu der sie zum Schluss ja wird. Nur jetzt mit jeder Menge psychologischer Unterfütterung.

Alle, alle sind sie da

Wer darauf gewartet hat, die liebgewonnenen Figuren aus 101 Dalmatiner wieder zu treffen, der wird sie auch finden, mal mehr, mal weniger offensichtlich. Jasper und Horace, die beiden Londoner Ganoven, bekommen hier außer Slapstick-Szenen recht runde Persönlichkeiten als Estellas Kindheitsfreunde, die Estella bei ihrem Weg in die Welt der Mode helfen und Cruellas Rachefeldzug mit ihrem Talent für Einbruch und Diebstahl unterstützen, aber mehr und mehr von Cruellas autoritärem Ton abgestoßen sind. Am Rande des Figurenarsenals tauchen die Figuren auf, die später einmal zu dem netten Ehepaar mit dem Dalmatinerpärchen werden. Auch Dalmatiner kommen vor, allerdings sind sie wahrlich keine Sympathieträger. Sogar der ominöse Mantel aus Dalmatinerfell hat seinen Auftritt, wie es zu dem kommt, sei hier nicht verraten. Wer noch weiter in Details nach Ostereiern sucht, findet auch Figuren, die nur wenige Augenblicke ins Bild kommen, wie etwa die langhaarige Frau mit dem ebenso langhaarigen afghanischen Windhund, ein Paar, wo Frauchen und Vierbeiner sich offensichtlich aneinander angeglichen haben. Der ursprüngliche Film ist in Spurenelementen überall vorhanden, auch wenn Cruella sonst meilenweit davon entfernt ist.

London, Punk, Vivienne Westwood

Nein, in diesem Film geht es nicht um Hunde, auch wenn bis zu fünf von ihnen zuweilen durchs Bild laufen. Es geht um Mode. Genau gesagt, um die Londoner Modeszene der 70er Jahre, als Punk die Musikszene aufmischte und Vivienne Westwood die Welt der Mode auf den Kopf stellte. Schon die kleine Cruella macht tief in den 60ern, lange vor den Sex Pistols eine brave Schuluniform mit Buttons und Sicherheitsnadeln zum Punk-Outfit. Zehn Jahre später hat sie mit ihrem provokanten Stil genau die richtige Waffe gegen ihre arrivierte Konkurrentin in der Hand: sie lässt die Stardesignerin kostbar drapierter Roben mit ihren Entwürfen aus Fetzen und Zeitungspapier alt aussehen. Und stiehlt ihr mit medienträchtigen Events auf offener Straße die Schau. Schluss mit exklusiven Empfängen und pastellfarbenen Sahnetorten, jetzt ist Mode ein Rock-Konzert. Das Thema Mode war schon in der Realverfilmung von 1996 mit Glenn Close (Gefährliche Liebschaften) in den Vordergrund gerückt, diesmal dominiert es den ganzen Film. Das liefert jede Menge Eye Candy und macht umso mehr Spaß, je mehr man sich mit der Materie auskennt. Also definitiv etwas für ein erwachsenes Publikum, Kinder und Jugendliche werden kaum einen Bezug dazu finden. Außer natürlich, dass jede Menge krasse Kostüme auf die Leinwand kommen. Da werden wohl in Zukunft bei entsprechenden Events so einige Cruella-Cosplayerinnen zu sehen sein.

Fazit

Cruella macht auf jeden Fall Spaß. Aber für welche Zielgruppe dieser Film wohl gedacht ist? So wie Joker ein Publikum, das sich auf einen weiteren Superheldenfilm gefreut hat, ziemlich ratlos da stehen lässt, ist Cruella nichts für Grundschulkinder, die süße Hunde und lustige Verfolgungsjagden sehen wollen. Das gibt es zwar auch. Aber eben längst nicht nur. Ideal ist der Film für gescheite, große Mädchen, die schon durch eine dicke Ironiebrille auf ihre Kindheitsfilme schauen und gerade an ihrer Mappe für einen Modedesign-Studiengang arbeiten. Mit Gender Studies im Nebenfach. Ob die Zielgruppe für einen so großen Film wirklich zahlreich genug ist? Toi toi toi, dass Cruella sein Publikum findet, der Film hätte es verdient.

© Disney


Veröffentlichung: 19. August 2021

wasabi

wasabi wohnt in einer Tube im Kühlschrank und kommt selten heraus.

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Ayla
Redakteur
25. August 2021 19:08

Der Moodprint “Stylisch” hat wirklich selten so gut gepasst wie bei Cruella. Heftig, dass Estella/Cruella im Film 47 (!) verschiedene Outfits trägt, aber hier ist wirklich eins besser als das andere, ein wahrer Augenschmaus. Vor allem mit der tollen Inszenierung (die Modenschau, Cruellas Auftritte bei Veranstaltungen der Baroness …) kommen die Kostüme super zur Geltung. Da lohnt es sich, den Film mehrfach zu schauen und genau auf die Kleidung zu achten. Muss ehrlich sagen, wenn der Film keinen Oscar für die Kostüme kriegt, dann weiß ich auch nicht mehr.

Mir hat der Film jedenfalls ausgesprochen gut gefallen, könnte sogar einer meiner Favoriten werden, einfach durch die Kombi aus guter Geschichte und umwerfender Mode. Die Handlung ist interessant und die Entwicklung von Estella zu Cruella ist spannend mitanzusehen. Ich finde sie damit auch nicht zwangsweise unsympathisch (auch wenn es irgendwie bitter ist, dass sie damit der Baroness immer ähnlicher wird), sondern durch diese exzentrische Art verdammt cool. Plus, der Baroness gönnt man es, wenn Cruella so dermaßen über sie triumphiert. Nur dass die Freundschaft zu Horace und Jasper dabei quasi vernichtet und sie wohl zu reinen Handlangern werden, ist sehr schade.

Ich bin schon jetzt gespannt auf den zweiten Teil und denke, dass sie damit einen ganz eigenen Weg gehen werden. Kann mir die exakte Geschichte von 101 Dalmatiner nach dem, was man im Film so gesehen hat, irgendwie so nicht vorstellen und das Bild einer kalten Hundemörderin würde meiner Meinung nach auch nicht zu der Cruella passen, die man hier gesehen hat.