Dark Glasses – Blinde Angst
Dario Argento (Suspiria) gehört zu den größten Genre-Regisseuren unserer Zeit. Seit über 50 Jahren (einem halben Jahrhundert!) führt er Regie im Horror-Bereich und gilt als einer der prägenden Schöpfer des italienischen Giallo. Seit 2013 (Verdi – McBeth) wurde es ruhig um den mittlerweile 80-jährigen. Mit Dark Glasses – Blinde Angst meldet er sich 2022 zurück und stellt ein Luxus-Callgirl (Ilenia Pastorelli, Vier Gäste) und ihren Stalker in den Mittelpunkt. Uraufgeführt auf der Berlinale 2022 ging es weiter zu den Fantasy Filmfest Nights 2022. Der Kinostart ist auf den 16. Juni 2022, die deutsche Heimkino-Veröffentlichung auf den 28. Juli 2022 terminiert.
Rom im Sommer: Nach einer Sonnenfinsternis eröffnet ein Serienmörder die Jagd auf Prostituierte. Sein viertes Opfer soll die Edelprostituierte Diana (Ilenia Pastorelli) werden. Bei einem Autounfall verliert Diana schließlich ihre Sehkraft. Langsam muss sie lernen, sich wieder im Alltag zurecht zu finden und auch ihre Arbeitssituation wird nicht leichter. Um sich in der Welt der Blinden zurechtzufinden, wird ihr die Schäferhündin Nerea zur Seite gestellt. Sie beschließt zudem, den jungen Chin (Andrea Zhang) aufzunehmen, dessen Familie bei dem Unfall starb. Doch nach all den Ereignissen kann sie sich nicht in Sicherheit wägen. Denn weiterhin hat der Killer es auf sie abgesehen. Ihrer Sehkraft beraubt, beginnt nun ein perfides Katz- und Mausspiel …
Zwischen Selbsthommage und Modernisierung
Originaltitel | Occhiali Neri |
Jahr | 2022 |
Land | Italien |
Genre | Horror-Slasher |
Regie | Dario Argento |
Cast | Diana: Ilenia Pastorelli Rita: Asia Argento Chin: Andrea Zhang Matteo: Andrea Gherpelli |
Laufzeit | 90 Minuten |
FSK | |
Kinostart: 16. Juni 2022, Veröffentlichung: 29. Juli 2022 |
Das Drehbuch von Dark Glasses kann, gerade im Gegensatz zu vielen anderen Produktionen Argentos, beinahe schon als geradlinig bezeichnet werden. Vor allem aber ist es, im Besonderen in seinem Set-up, hanebüchen. Dennoch sind viele Bezüge und Gemeinsamkeiten zu seinen früheren Werken erkennbar. An Bedeutung hingegen verliert das einstige Merkmal Argentos, seine Todesopfer zu stilisieren. Die größte Entwicklung dagegen ist wohl die Zuwendung zu seinen Figuren. Für einen Argento-Film wird Diana ungemein viel Aufmerksamkeit zu teil. Sieht man einmal davon ab, dass er sich ihr geradezu hingebungsvoll widmet, ist Diana eine eindimensionale Figur, die unglaubwürdiger kaum sein könnte. Es gibt keinen Einblick in ihr Innenleben, dafür ist sie immer modisch angezogen und kunstvoll in Szene gesetzt. Wie eine Muse, die vor allem durch ihre Anmut und ihren Stil begeistern soll. Eine großartige Schauspielerin ist Ilenia Pastorelli aber auch einfach nicht, dafür bringt sie eine starke Leinwandpräsenz mit. Zudem werden ihre körperlichen Vorzüge nahezu überbetont, sodass diese Protagonistin kurz und knapp eines wird: fetischisiert. Voyeurismus wird an dieser Stelle groß geschrieben. So richtig zum Leben will sowieso niemand erweckt werden: Diana und Chin besprechen gerade einmal das Nötigste, was für die Handlung Relevanz besitzt und nicht anders verhält es sich mit Diana und ihrer Mobilitätslehrerin Rita (Asia Argento, Land of the Dead).
Surrealer Alptraum
Die Charaktere und ihre sparsam eingesetzten Dialoge zählen nicht zu den Höhepunkten von Dark Glasses. Dafür die dichte Stimmung: Die alptraumhafte Atmosphäre bringt einen besonderen Sog mit sich. Das leergefegte sommerliche Rom wirkt wie ein surrealer Ort, an dem niemand sicher ist. Ein beachtlicher Teil der Laufzeit spielt sich im Dunkeln ab und der Killer könnte nahezu überall lauern. Verstärkt wird das Gefühl durch die Tatsache, dass viele Szenen fragmentarisch wirken und nicht einzuordnen sind. Als handle es sich dabei um eine Art Nacherzählung eines (Alp-)Traums. Übergänge bleiben aus, manche Szenen wollen erst zusammengeschustert werden. Ähnlich verhält es sich mit der Sonnenfinsternis, die zu Beginn noch wichtig erscheint. Letztlich steht sie nur symbolisch für die einschneidende Veränderung in Dianas Leben. Erklärungen sind ohnehin nicht das, worauf der Film hinauslaufen will. Die Motivation des Killers? Egal. Täter-Opfer-Beziehung? Braucht niemand. Und Logik? Auch nichts von Priorität. Vieles, was in Dark Glasses geschieht, ließe sich problemlos damit rechtfertigen, dass eben alles nur ein verstörender Alptraum ist. In der Realität gehen die Sichtweisen dazu sicherlich auseinander, insbesondere in besonders absurden und grotesken Szenen (die sich mitunter auf der Flucht ereignen) muss auch streng hinterfragt werden, was sich der Regisseur dabei wohl (nicht) gedacht hat. So mancher Moment ist zum Schreien komisch und wirkt unbeholfen in Szene gesetzt.
Schweißtreibendes Score-Beben
Ein absolutes Plus ist der wummernde Synthie-Score von Arnaud Rebotini (120 BPM), der sich immer wieder in den Vordergrund schiebt. Wummernde Bässe, die den erhöhten Herzschlag der Protagonistin wiedergeben. Der Techno-Einsatz wirkt, wie so vieles in dem Film, aus der Zeit gefallen. Gleichzeitig ist der Einsatz allerdings so auf den Punkt geraten, dass man sich wundert, dass sonst niemand zu solchen Einfällen greift. Ursprünglich sollte der Soundtrack von dem französischen Duo Daft Punkt entwickelt werden, doch die Bemühungen darum blieben fruchtlos. Vielleicht ist das aber auch gut so, denn der mitreißende Score in seiner finalen Fassung ist eine Wucht.
Fazit
Dario Argento ist sich mit Dark Glasses treu geblieben und setzt auf charakteristische Stilistik und wiederkehrende Motive. Gleichzeitig hat er aber auch seinen Look und einige Elemente der Handlung modernisiert. Auch wenn sich die Produktion inhaltlich nicht von der (imaginären) Staubschicht lösen kann (der Film könnte konzeptionell ebenso aus den Siebzigern sein), ist der Film zumindest zu einem Großteil an die Sehgewohnheiten des heutigen Publikums angepasst. Es ist vor allem aber eine Frage dessen, von wo man kommt: Ist man mit Argentos Filmografie groß geworden, wird man wohl weniger Stücke auf den Film setzen, als wenn man noch nie mit dem prägnanten Stil des Regisseurs in Berührung kam. Als Gesamtkunstwerk ist Dark Glasses mit all seinen Fehlern betörend.
© Wild Bunch