Der unglaubliche Hulk

In vielerlei Hinsicht fällt Der unglaubliche Hulk aus der Reihe, wenn man den Film als Teil des Marvel Cinematic Universe (MCU) betrachtet. Zunächst einmal herrschte für so manchen Zuschauenden Verwirrung, denn bei Hulk aus 2008 handelt sich um keine direkte Fortsetzung von Hulk (2003), der auf derselben Comicfigur basiert, sondern um ein ungewöhnliches Reboot-Sequel. Gleichzeitig wurde die Figur ab Marvel’s Avengers nicht mehr von Edward Norton, sondern Mark Ruffalo verkörpert. Die Umbesetzung einer derart ikonischen Figur führt immer dazu, dass entweder der neue Darsteller nicht akzeptiert wird oder aber zuvor entstandene Produktionen in Frage gestellt werden. So oder so darf angezweifelt werden, ob das Marvel Cinematic Universe in seiner heutigen Form schon damals die Vision Marvels war. Denn Der unglaubliche Hulk entspricht vor allem aus heutiger Sicht so gar nicht dem Look & Feel des etablierten Standards. Louis Leterriers (Transporter) Hulk ist aber für sich betrachtet tatsächlich weitaus besser, als einfach nur das unrühmliche Schlusslicht der Reihe darzustellen …

 

Rio de Janeiro, Brasilien: Ein Mann meditiert mitten in den Favelas. Ein Pulsmesser an seinem Handgelenk erinnert ihn an die Ruhe, die er so bitter benötigt. Denn kommt er nicht zu dieser, verwandelt er sich in ein tobendes Monster. Bruce Banner (Edward Norton, Fight Club) ist der US-Regierung entflohen und versucht sein Leben nun in Brasilien wieder auf die Reihe zu kriegen. Sein einziger Kontakt ist Dr. Samuel Sterns (Tim Blake Nelson, Minority Report), ein Wissenschaftler, der nach einem Gegenmittel für Bruce‘ Ausbrüche sucht. Durch einen Zwischenfall findet General Thaddeus Ross (William Hurt, The Village) Banners Aufenthaltsort heraus. Er schickt eine Militäreinheit unter dem Kommando von Emil Blonsky (Tim Roth, Reservoir Dogs) nach Rio, was Bruce derart in Rage verfallen lässt, dass er sich in Hulk verwandelt und fliehen kann. Der General setzt alles daran, Banner zu fangen, denn er möchte Hulk als Kriegswaffe einsetzen. Blonsky hat derweil entschieden, sich diese Kräfte selbst aneignen zu wollen …

Hulk – Klappe, die zweite

Originaltitel The Incredible Hulk
Jahr 2008
Land USA
Genre Action
Regie Louis Leterrier
Cast
Bruce Banner: Edward Norton
Emil Blonsky: Tim Roth
Elizabeth „Betty“ Ross: Liv Tyler
General Thaddeus „Thunderbolt“ Ross: William Hurt
Dr. Leonard Samson: Ty Burrell
General Joe Geller: Peter Mensah
Samuel Sterns: Tim Blake Nelson
Stanley: Paul Soles
Tom Corbett: Bill Bixby
Tony Stark: Robert Downey Jr.
Laufzeit 113 Minuten
FSK
Im Handel erhältlich

Was man sich bei Universal wohl damals dachte, als Ang Lee 2003 für die Inszenierung des ersten Hulk-Streifens ausgewählt wurde, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben. Der taiwanesische Regisseur hatte zwar in seiner Heimat leichtfüßige Komödien inszeniert, war aber niemand, der augenscheinlich dazu auserkoren war, einen Film wie Hulk in Szene zu setzen. Sein Hulk jedenfalls brachte vielleicht ein paar nette Spielereien mit, langweilte inhaltlich jedoch. Das Ergebnis: Neben Catwoman und Elektra war Hulk in der breiten Wahrnehmung eine der schlechtesten Comic-Adaptionen der neuen Generation. Also wurde schnell wieder der Deckel auf die Marke gemacht. Bis der Marvel-Konzern fünf Jahre später eine eigene Produktionsfirma gründete, in dem die Zügel straffer in der Hand gehalten werden sollten. Marvel gelang dabei gleich zweimal der große Casting-Coup: Mit Robert Downey Jr. in der Rolle als Tony Stark und jetzt auch noch Edward Norton als Bruce Banner wurden zwei Charakterdarsteller verpflichtet, die man bislang aus ambitionierten Filmprojekten kannte. Das ließ auch Zuschauer aufhorchen, die sich bislang nicht mit Comic-Helden auseinandersetzten oder diese möglicherweise sogar noch als Unterhaltung für ein ganz junges Publikum abtaten.

Für die Fans oder für das Franchise?

Die Kernfrage einer jeden Adaption oder jeden Films, der eine Vorlage besitzt: Wird hier nun nur für die Fans produziert? Wieviel Vorwissen darf man voraussetzen? Konkret: Wo starten mit einem Hulk-Film, der nicht der erste ist, aber der erste Solo-Film innerhalb einer größeren Reihe werden sollte? Hier traf Marvel eine goldrichtige Entscheidung und wählte einen Weg irgendwo dazwischen. Eine Lösung, die Kenner nicht mit einem Entstehungsmythos langweilt, Neulinge aber auch kurz zu den wichtigsten Hintergründen abholt. Man sollte Hulk also in groben Zügen kennen. Ob nun durch die Comics oder Ang Lee, völlig unbekannt war diese Figur 2008 schließlich nicht. Sehr weise setzt die Handlung also von Beginn an auf die Vorkenntnisse des Publikums und liefert bündige Hintergrundinformationen lediglich über wenige Flashbacks im Vorspann. Worin sich Hulk auch noch einmal deutlich zu den klassischen Superhelden unterscheidet: Er rettet nicht in erster Linie die Welt, sondern sich. Die Welt kommt erst dann, wenn es nicht anders geht. Wut ist sein Auslöser und nicht ehrenhaften Motive, wie man sie von einem Helden erwarten würde.

Edward Norton als vorläufige Idealbesetzung

Edward Norton ist eine gelungene Besetzung für Bruce Banner. Er trifft genau den richtigen Ton zwischen der Tragik der Figur und einer Egal-Haltung. Das ist vielleicht sogar die größte Stärke des Films, denn auch bei Marvel weiß man, dass sich ein großer grüner Klotz nicht zu ernst nehmen sollte, wodurch immer wieder Schmunzler und blöde Sprüche eingebaut wurden, die Bruce dadurch viel menschlicher und nahbarer erscheinen lassen. Edward Norton trifft genau diese Mitte aus Ironie und Ernst, zudem stellt er sich nachvollziehbar auf den Zwiespalt in Banners Gemüt ein. Zieht man hier wieder den Vergleich zum ersten Hulk, überzeugt er weitaus mehr als Eric Bana. Aus dieser Perspektive betrachtet ist es schade, dass sich der gemeinsame Weg von Norton und den Marvel Studios nach diesem Film trennte. Denn während Norton und Regisseur Louis Leterrier sich für einen charakterfokussierteren Schnitt einsetzten, hatte Marvel andere Pläne mit der Figur, weshalb Mark Ruffalo ab Marvel’s Avengers den grünen Helden verkörperte. Die Besetzung der Nebenrollen funktioniert ebenfalls: William Hurts General ist standhaft gespielt und auch die Vater-Tochter-Beziehung zu Betty (Liv Tyler, The Strangers) geht auf. Dass Betty keine Figur ist, die besondere schauspielerische Fähigkeiten erfordert, ist der Rolle geschuldet. Denn als Bruce‘ Love Interest erfüllt sie vornehmlich die Rolle, die Bestie zu besänftigen. Die Szenen zwischen Hulk und Betty erinnern entfernt an King Kong oder auch Die Schöne und das Biest, erhalten dadurch einen modernen Anstrich des Kernthemas. Tim Roth als größenwahnsinniger Soldat Blonsky (bzw. später die Bestie Abomination) stellt Hulks ebenbürtigen Gegenspieler souverän dar und sorgt für eine stimmige Abrundung der Geschichte.

Hulk ist gr .. au

Während Lees Film eher comichaft inszeniert ist und seinen Hulk knallig grün einfärbte, nahm man bei Marvel Abstand von dieser künstlichen Farbgebung. Hulk unter Leterrier weist eher eine spinatgrüne-schlammigbraune bis leicht gräuliche Färbung auf, am ehesten vergleichbar mit einer riesigen Kröte. Das wirkt weiterhin sonderbar, fühlt sich aber längst nicht so inorganisch an wie die giftgrüne Nuance aus 2003. Damit sticht Hulk auch weniger aus seiner Umgebung heraus und ordnet sich bedeutend besser ins Gesamtbild ein. Sein Der unglaubliche Hulk ist physisch spürbar, er bringt die Akustik zum Beben und ist Teil des Geschehens. Leterrier geht dabei einen angenehmen Weg: Er versteckt seine Action nicht hinter Schnitten und Close-ups, sondern setzt auf einen Mix aus Totalen, Bewegungen und Kämpfen, in der die Figuren auch ganzkörperlich zu sehen sind. Das Tempo, das der Film vorlegt, ist enorm. Noch schöner ist allerdings, dass er dieses auch fast über die volle Laufzeit von zwei Stunden aufrecht halten kann. Unterstützt wird die Dynamik von durchweg sehr guten Spezialeffekten, mit denen Hulk zum Leben erweckt wird. Dabei wirkt der muskulöse Brocken weniger wie ein Gummiball als wie ein Kraftpaket, dem man nicht im Weg stehen wollte.

Verschenktes Potenzial

Das Skript wartet mit vielen Anspielungen für Fans auf und auch die Gastauftritte fehlen nicht. Schauspieler Lou Ferrigno wurde in der Titelrolle der Serie Der unglaubliche Hulk (1978–1982) bekannt. Bereits bei Ang Lee erhielt er einen Auftritt und konnte seine Wachmannrolle wieder aufnehmen, darf im O-Ton sogar den Hulk sprechen. Dass am Ende aber keine richtige Auflösung geboten wird, ist tragisch. So bleibt das Ende des Bösewichts ebenso ungewiss wie das von Dr. Sterns. Es bleiben darüber hinaus aber auch andere offene Handlungsstränge zurück. Die Geschichte um Hulk wird im Grunde nicht zu Ende erzählt, wohlwissend, dass man ihn bald wiedersehen wird. Es wird auch deutlich, wieviel an dem Film herumgeschnitten wurde. Aus den ursprünglichen 135 Minuten wurden 114 Minuten. Zudem wurde an diesen weitergeschnitten, um den Film mit einer FSK 12-Freigabe in die Kinos bringen zu können. Das sorgt vor allem im Endkampf für Inkohärenz. Laut Regisseur existieren dabei sogar über eine Stunde weitere Szenen. Doch das ist nicht das einzige Problem, das der fertige Film mit sich bringt. Im Vergleich zu Jon Favreaus Iron Man, der nur zwei Monate vor Der unglaubliche Hulk in die Kinos kam, fehlt es an ein wenig Fingerspitzengefühl für solche Dinge. Denn gerade die Figur Hulk bringt nun einmal ein paar interessante innere Konflikte mit, das Dr. Jekyll-und-Mr. Hide-Motiv, das später kaum innerhalb des Marvel Cinematic Universe näher thematisiert wird. Psychologische Fragen, die im Grunde hier Platz gehabt hätten. Für Marvel zählte offensichtlich vor allem die Einbettung der Figur in den vorgesehenen Plan, weshalb es bereits hier zu einem witzigen Crossover mit Iron Man kommt. Dies sind Faktoren, die Ang Lees Film rückblickend punktuell stärker erscheinen lassen.

So platt sollte das MCU nie wieder sein

Worin man dem Titel sein Alter noch anmerkt, ist die teilweise arg behäbige bis flache Vorgehensweise vieler Figuren, die heute viel stärker hinterfragt worden wären. Das sind oftmals logische Fragen: Wie kann das Militär einfach mal nach Brasilien einmarschieren? Wieso stört es keinen, wenn ein bewaffneter Trupp Männer einen Campus stürmt? Wieso denkt keiner darüber nach, dass hier Soldaten eben einfach mal eine Bibliothek zerstören? Die Gestaltung solcher Szenen, die rein aus der Perspektive der Hauptfigur stammen, würden heute stärker hinterfragt werden. Es geht nicht darum, nach (fehlendem) Realismus zu filtern, sondern auch vermeintlich eindimensionale Soldaten logisch agieren zu lassen. Hier steht aber im Vordergrund, einfach den Willen von General Ross und Blonsky zu erfüllen. Äußere Einflüsse werden dafür bei Seite gelegt, solange der Plot vorangetrieben werden kann. In diesem Zusammenhang sind moderne Filme des MCU logischer gestrickt.

Fazit

Der unglaubliche Hulk sticht aus dem Marvel Cinematic Universe hervor und vermittelt den Eindruck erster Gehschritte. Oder besser gesagt: Eines Filmes, der völlig anders konzeptioniert war und der durch seinen Schnitt noch irgendwie gerettet werden musste. Dabei ist bei Weitem kein schlechter Film entstanden. Im Gegenteil: Es ist laut, die Actionszenen sorgen dementsprechend dafür, dass viel kaputtgehen darf, und die Darsteller überzeugen mit Schauspiel und Witz. Aus heutiger Sicht ist die gesamte Produktion bei Weitem nicht so ausgegoren, wie es der Standard einer herkömmlichen Marvel-Produktion erwarten lässt. Aber alles hat nun einmal irgendwo seinen Anfang und ohne Entwicklung ist auch keine Steigerung drin. Fad bleibt nur der Beigeschmack, dass wir wohl nie erfahren werden, welchen Film Louis Leterrier und Edward Norton erzählen wollten.

© Concord Video


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Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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