Der Unsichtbare

Erzähl-Universen à la Marvel Cinematic Universe oder das Conjuringverse sind auf dem Vormarsch. Da werden selbst schwächere Titel von der Liebe der Zuschauer zum Erzähluniversum mitgetragen. Blöd gelaufen ist es bei Universal Pictures, dessen geplantes Shared Universe direkt mit dem ersten Teil scheiterte. Die Mumie (2017) mit Tom Cruise ging an den Kinokassen baden und die große Idee wurde auf Sparflamme weitergeköchelt, indem die Monsterfilme nun als Einzelwerke veröffentlicht werden. Mit Der Unsichtbare wurde die namhafte Produktionsschmiede Blumhouse beauftragt, den zweiten Film des Dark Universe auf die Beine zu stellen. Zu den legendären Leinwandmonstern, die zwischen 1920 und 1950 das Licht der Welt erblickten, zählt auch der unsichtbare Mann, der für Der Unsichtbare von dem australischen Drehbuchautor und Regisseur Leigh Whannell (Saw) aus dem Dornröschenschlaf geküsst wird. Basierend auf der gleichnamigem Buchvorlage von H. G. Wells und mit der Emmy- und Golden Globe-Gewinnerin Elizabeth Moss in der Hauptrolle, startete der Film Ende Februar 2020 in den Kinos und erschien aufgrund der Schließung aller Kinos während der Corona-Krise kurze Zeit darauf auch schon als Digitalkauf.

 

Cecilia (Elizabeth Moss, The Handmaid’s Tale) leidet unter den Aggressionen ihres Mannes Adrian (Oliver Jackson-Cohen, Spuk in Hill House). In einer Nacht- und Nebelaktion ergreift sie die Flucht. Hilfe erhält sie in der Zeit danach von ihrer Schwester Alice (Harriet Dyer, The Killing Ground), ihrem besten Freund James (Aldis Hodge, Black Mirror) sowie dessen Tochter Sydney (Storm Reid, Euphoria). Ganz unerwartet nimmt Adrian sich das Leben und Cecilia erbt ein Vermögen. Doch sie fühlt sich fortan auf Schritt und Tritt beobachtet und verfolgt. Bildet Cecilia sich alles nur ein oder liegt sie richtig mit der Annahme, dass Adrian sich nicht das Leben genommen hat, sondern unsichtbar weiterlebt? Allmählich verliert sie den Verstand …

Metaphorische Unsichtbarkeit

Originaltitel The Invisible Man
Jahr 2020
Land USA
Genre Thriller, Horror
Regie Leigh Whannell
Cast Cecilia Kass: Elisabeth Moss
Adrian Griffin: Oliver Jackson-Cohen
Emily Kass: Harriet Dyer
James Lanier: Aldis Hodge
Sydney Lanier: Storm Reid
Tom Griffin: Michael Dorman
Laufzeit 124 Minuten
FSK
Veröffentlichung: 9. Juli 2020

Das zweite Universal-Monster des Dark Universe nach der Mumie muss zwar ohne stattliches Blockbuster-Budget auskommen. Der titelgebende Unsichtbare ist aber auch gar nicht einmal das Highlight von Der Unsichtbare, sondern die Hauptdarstellerin selbst. Elizabeth Moss verkörpert auf herausragende Weise die Rolle der Cecilia. Eine facettenreiche Protagonistin, die anfangs verletzlich und erstaunlich distanziert agiert und im Laufe der Zeit immer stärker an ihre Grenzen getrieben wird. Die Unsichtbarkeit ihres Gegenübers lässt sich auch als Metapher betrachten: In vielen Fällen bleiben Täter für die Gesellschaft unsichtbar oder können sich ihre Unschuld erkaufen. In diesen Fällen lastet dann der gesellschaftliche Druck allein auf dem Opfer, dessen Glaubwürdigkeit zunehmend in Frage gestellt wird. Genau durch jenes Mysterium wird schließlich auch Cecilia gejagt.

Alter Stoff in neuem Gewand

Leigh Whannell baute sich bereits als Drehbuchautor im Horror-Genre einen großen Namen auf: Die Insidious-Reihe und die ersten drei Saw-Teile gehen auf seine Kappe und bei letzterem wirkte er sogar als Schauspieler mit. Der Unsichtbare ist zwar nach Insidious – Chapter 3: Jede Geschichte hat einen Anfang und Upgrade erst seine dritte Regiearbeit, dass Whannell sich aber im Genre bestens auskennt, merkt man seiner Arbeit schnell an. In Buchform verschreckte H.G. Wells seine Leser bereits 1897 und erschuf einen echten Klassiker der Literaturgeschichte. Erstmals verfilmt wurde die Geschichte 1933 – und das sollte nicht das letzte Mal bleiben. Die Kernidee der alten Geschichte hat Leigh Whannell nicht nur in unsere Zeit geholt, sondern in einen modernen Kontext gebettet: Stalking. Es geht nicht nur um einen ominösen Unsichtbaren – der Bezug zur Protagonistin ist von Anfang an da. Damit trifft es auch irgendwie den Zeitgeist. Denn obwohl sich Whannel in der Inszenierung an Klassikern wie Hitchcocks Psycho oder Das Fenster zum Hof bedient, ist der Stoff nichts Aufregendes und wurde 2000 bereits für Hollow Man modern interpretiert. Das Stalking-Motiv findet sich allerdings auch in jüngeren Erfolgsbeispielen wieder, wie etwa der Netflix Serie You – Du wirst mich lieben oder dem Thriller Greta.

Suspense durch Stille

Nicht nur mit einer sauberen Regie, sondern besonders auf technischer Ebene überzeugt Der Unsichtbare. Das ist zum Teil der Tatsache geschuldet, dass die Gefahr nicht zu sehen ist und daher eine ganz unkonventionelle Herangehensweise benötigt. Im Besonderen aber schürt die Kameraarbeit von Stefan Duscio viel Spannung mit langsamen Schwenks und in die Irre führenden Bewegungen. Jede Ecke und jeder Winkel eines Raums werden ausgelotet, wenn Cecilia das Gefühl beschleicht, nicht alleine zu sein. Das funktioniert in den ruhigen Momenten am besten und hat einen ähnlichen Effekt wie A Quiet Place: Sobald Protagonisten wie Zuschauer innehalten und alle Sinne darauf fokussieren, ob nicht irgendwo ein Knarzen oder ein Schritt zu hören ist, ist der Spannungspegel ganz oben. Noch erfreulicher ist, dass diese Inszenierungsweise beinahe ganz auf hektische Schnitte und sowie sich anbietende Jumpscares verzichtet.

Die Ungereimtheiten des Unsichtbaren

Die eigentliche Schwäche liegt im Konzept von Der Unsichtbare. Bereits der Titel verweist darauf, dass die Titelfigur ganz offensichtlich nicht sichtbar ist. Dennoch nimmt sich das Drehbuch relativ viel Zeit, um einen Mythos über Adrians Verbleib aufzubauen. Dabei ist doch völlig offensichtlich, dass er Cecilia als Unsichtbarer stalkt. Denn das wissen wir bereits durch den Titel, sie allerdings hat diesen Informationsvorsprung nicht. Auf Handlungsebene ergibt das Sinn, aus Zuschauerperspektive wird hier auch viel Zeit verbummelt. Vor allem in der ersten halben Stunde könnte dies bei dem einen oder anderen Zuschauer den Drang erzeugen, einfach schnell zur nächsten Stelle zu springen, bis Hauptfigur und Zuschauer wieder auf einer Wissensebene unterwegs sind. Es bleibt aber nicht bei dieser einzigen Sache. Scheinbar kann der Unsichtbare auch weite Distanz zurücklegen, ohne dass darauf näher eingegangen wird. Ebenso rätselhaft ist, weshalb er ein Handy benötigt oder warum sein Spezialanzug nur dann sichtbar wird, wenn das Drehbuch es so möchte (sprich: wenn außer Cecilia niemand in der Nähe ist).

Fazit

Trotz seiner Laufzeit von zwei Stunden funktioniert Der Unsichtbare überraschend gut. Als beklemmendes und atmosphärisch dicht erzähltes Psychospiel überzeugt im Besonderen die erste Hälfte, während in der zweiten zunehmend Ungereimtheiten ihren Weg in die Handlung finden. Da sich das Drehbuch keine Zeit nimmt, die Regeln und Grenzen der Unsichtbarkeit so recht zu definieren, müssen wir jede Entscheidung der wendungsintensiven Handlung in Kauf nehmen. Dabei bedeutet fehlende Sichtbarkeit doch nicht fehlende Existenz, was es umso schwieriger macht, wirklich jede Entscheidung einfach so hinzunehmen. Mit einer überzeugenden Darstellerin und einer tadellosen Regie stimmen aber die wichtigsten Aspekte, um die Grundspannung über die gesamte Laufzeit hinweg aufrecht zu halten.

© Universal Pictures


Seit dem 9. Juli 2020 im Handel erhältlich:

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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