Die Schneekönigin: Im Spiegelland
Nein, das ist nicht Die Eiskönigin ‒ Völlig unverfroren trifft Alice im Winterland: Hinter den Spiegeln. Das ist ein russisches Paralleluniversum. Als das russische Animationsstudio Wizart Animation (Völlig von der Wolle: Ein määährchenhaftes Kuddelmuddel) 2012 eine computeranimierte Version des klassischen Andersen-Märchens Die Schneekönigin ins Rennen schickte, wurde sie einige Monate später von der Eiskönigin, der Disney-Version des gleichen Stoffes, völlig unverfroren überrollt. Seitdem ist die Welt kleiner Mädchen nicht mehr barbierosa, sondern eisköniginnenhellblau. Die russische Version mag zwar durch Disney in ein Schattendasein geschubst worden sein, aber möglicherweise war der weltweite Boom von Eiszauber und Mädchen in Schneelandschaften auch hilfreich. Denn die Geschichte um die tapfere Gerda und ihre Widersacherin, die Schneekönigin, hat sich zu einem produktiven Franchise entwickelt, das mit Die Schneekönigin im Spiegelland schon die dritte Fortsetzung auf den Markt bringt.
König Harald liebt die Technik, doch er hasst die Magie. Schuld ist die Schneekönigin, die ihn einst magisch eingefroren hat. Seitdem hat er sie in ein Reich hinter dem Zauberspiegel verbannt und genau dorthin will er auch alle magiebegabten Untertanen hinschicken. Denn wer braucht schon Magie, wenn er auch Maschinen konstruieren kann? Des Königs magiefeindliche Machenschaften bedrohen das Familienglück der Geschwister Gerda und Kai, die nach mittlerweile schon drei Abenteuern endlich friedlich mit ihren Eltern zusammenleben. Doch Mutter, Vater und Bruder sind magisch begabt und geraten ins Visier des Königs, während Gerda als magische Versagerin verschont bleibt. Prompt macht sie sich auf den Weg, um ihre Familie aus der Verbannung hinter dem Spiegel zu retten. Dabei erhält sie Unterstützung von vielen alten Freunden: Trollen, Piraten und der Schneekönigin persönlich.
Andersen, Steampunk, Computeranimation ‒ und das alles als aus Russland
Originaltitel | Snezhnaya koroleva. Zazerkale |
Jahr | 2018 |
Land | Russland |
Genre | Animation, Fantasy |
Regisseur | Aleksey Tsitsilin, Robert Lence |
Cast | Gerda: Lina Ivanov Schneekönigin: Olga Zubkova König Harald:Vladimir Zaitsev Arrog: Vsevolod Kusnetsov Alfida: Lyasan Utiasheva Kai: Nikolai Bystrov |
Laufzeit | 80 Minuten |
FSK |
Generationen von Kindern sind mit russischen Märchenfilmen aufgewachsen. Technisch charmant unvollkommen, aber voller märchenhaftem Zauber. So auch Die Schneekönigin von 1967. Aber irgendwann muss eine Neuinterpretation her. Die Schneekönigin im Spiegelland lässt die Märchenfilme der Sechziger und Siebziger hinter sich und orientiert sich deutlich an den westlichen Animationsfilmen des 21. Jahrhunderts, besonders Disneys Prinzessinnen-Filmen. Also starke Mädchen, putzige Begleiter, Slapstick-Einlagen und ganz am Rand Motive aus der ursprünglichen Märchenvorlage, die möglicherweise auch noch völlig umgestülpt werden. Wer eine vorlagengetreue Umsetzung erwartet hat oder einen Ausflug in das Märchenfilm-Gefühl seiner Kindheit, dem kann das gewaltig auf die Nerven gehen. Aber wenn man solche Erwartungen mal ausblendet und wenn man der Versuchung widersteht, in den sich aufdrängenden Vergleich mit Die Eiskönigin ‒ Völlig unverfroren einzusteigen, dann funktioniert das ganz gut. Dass hier nicht die Schneekönigin die Antagonistin ist, sondern ein König, der seine Ablehnung von Magie zu weit treibt, ist zwar meilenweit von Andersen entfernt, beschert einem aber viele interessante Aspekte: Die Maschinen des technikbegeisterten Königs sorgen für eine sehenswere Steampunk-Welt. Die Schneekönigin, eigentlich die Böse, darf hier auch mal die Guten unterstützen. Und der König darf seine Betonhaltung in der Auseinandersetzung mit seinem kleinen, magiebegeisterten Sohn revidieren, während Gerda feststellt, dass sie doch magische Fähigkeiten entwickeln kann ‒ jede Menge Futter für einen spannenden Animationsfilm.
Schneekönigin, die Vierte
Wir erinnern uns: Die Schneekönigin im Spiegelland ist schon der vierte Film, der das gleiche Feld beackert. Offenbar erfolgreich, denn von Film zu Film wurden die Animationen besser und detailreicher. Offenbar war mehr Budget vorhanden und mittlerweile sehen Eislandschaften, mittelalterliche Städte, Flugmaschinen und eine Piratenstadt in den Wolken schon fast richtig gut aus. Entsprechend ist auch das Erzähluniversum angewachsen und entsprechend Zeit muss darauf verwendet werden, all die Nebenfiguren zu etablieren, die im Laufe der drei Vorgängerfilme Konturen bekommen haben: Die Trolle. Alfida, die Nachwuchspiratin und ihr räuberischer Clan. Gerdas Exfreund Rollan, der sie in Teil 3 in der Lava sitzen ließ. Das macht das Erzähltempo etwas zäh. Wohingegen die Vorgeschichte, die der König und die Schneekönigin miteinander teilen (erst beiderseitiges Interesse, dann Einfrieren), in den vorigen Teilen gar nicht vorkam. Überhaupt geht das Franchise mit seinen Erzählmotiven erstaunlich unbekümmert um. Teil 4 kreist darum, dass Gerda keine magischen Fähigkeiten hat. Die hatte sie in den vergangenen Teilen durchaus. Die Schneekönigin ist in Teil 4 in ein Land hinter dem Spiegel verbannt. Dabei war sie in Teil 1 ein verbittertes kleines Mädchen, dass es satt hatte, für seine besonderen Begabungen ausgegrenzt zu werden und darum zur Schneekönigin wurde (tatsächlich kein Disney-Klau, Die Eiskönigin erschien später). Als Gerda sie von ihrer Verbitterung heilen konnte, wurde sie wieder zum glücklichen Kind. Ende der eisblauen, boshaften Gestalt. In Teil 2 kam sie so gut wie nicht vor, da ging es um Trolle. In Teil 3 übernahm Gerda zeitweilig die Kräfte der Eismagie, die ihr ein blaues Kleid mit Schneekristallmuster und ein Schneeköniginnen-Chibi als Begleiter bescherten. Eine permanent anwesende und Unheil wirkende Schneekönigin gibt es in diesem Universum also gar nicht. Jede Folge nimmt die bekannten Figuren und erfindet sie neu. Ist das nun schlampig oder eine besonders pfiffige Art der Story-Entwicklung? Jedenfalls macht es die Informationsvergabe recht umständlich und bremst das Erzähltempo aus.
Fazit
Das schwerfällige-konfuse Storytelling schmälert das Sehvergnügen schon ein wenig. Und das Figurendesign ist arg kulleräugig-konventionell. Dafür machen die Steampunk-Elemente Spaß. Und mein ganz persönliches Highlight ist, dass die Figur, die bei Andersen nur „das kleine Räubermädchen“ heißt, einen Namen, eine Geschichte und einen festen Platz in der Hauptfigurenclique bekommen hat. Seit meiner Kindheit wollte ich mehr über sie wissen. Und jetzt heißt sie Alfida und ist Zeppelinpiratin. Yeah! Insgesamt ist Die Schneekönigin im Spiegelland kein bahnbrechender Film, aber einer, bei dem man prima einen Winternachmittag mit einem Haufen Kinder auf dem Sofa verbringen kann. Und das Schöne ist: anders als die Disney-Version ist er so gut wie Merchandise-frei. Man kann ihn mit kleinen Mädchen anschauen und sie wollen anschließend vielleicht Drachenprinzessin oder Luftpiratin werden, aber sie werden einem nicht eisblaue Tüllkleider, Bettwäsche, Spielzeuge und sonstigen Nippes aus dem Kreuz leiern wollen. Obwohl … wahrscheinlich werden sie das diesen Winter ohnehin tun.
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