Disappearance at Clifton Hill
Die Niagarafälle sind weltberühmt. Ob als Touristenspot oder in Film und Fernsehen: Sobald Wasserfälle benötigt werden, sind die Niagarafälle die erste Anlaufstelle. So auch für Regisseur Albert Shin (In Her Place), der seinen Mystery-Crime-Streifen Disappearance at Clifton Hill ebenfalls dorthin verlegt. Und obwohl die Sehenswürdigkeit nur eine untergeordnete Rolle einnimmt, bleibt sie im Gedächtnis hängen. Was das nun genau für den Rest des Films bedeutet, will allerdings erst geklärt werden. Ihre deutsche Premiere feierte die kanadische Produktion auf den Fantasy Filmfest White Nights 2020.
Abby (Tuppence Middleton, Downton Abbey) trägt seit ihrem achten Lebensjahr ein Geheimnis mit sich herum. Als sie im Herbst 1994 in der Nähe der Niagarafälle spielte, wurde sie nämlich Zeugin einer Entführung. Damals glaubte der notorischen Lügnerin niemand und auch gegenwärtig hegt die Polizei keinerlei Interesse an einem derart alten Fall. Doch bis heute verfolgt sie jener Moment, als ein wenig älterer Junge vor ihren Augen in ein Fahrzeug gezerrt wurde. Mit nur zwei Fotos als Hinweis reist Abby an jenen Ort des Geschehens zurück, um Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei begegnet sie einigen merkwürdigen Personen, wie etwa dem podcastenden Taucher Walter (Regie-Legende David Cronenberg), die neue Puzzlestücke hinzufügen …
Nostalgie und Sehnsucht hängen in der Luft
Originaltitel | Disappearance at Clifton Hill |
Jahr | 2019 |
Land | Kanada |
Genre | Mystery-Drama |
Regie | Albert Shin |
Cast | Abby: Tuppence Middleton Laure: Hannah Gross Walter: David Cronenberg Charlie: Eric Johnson Marcus: Noah Reid |
Laufzeit | 100 Minuten |
Die Reise in ihren Sehnsuchtsort führt Abby immer wieder an dieselben Plätze, allesamt umgeben von einem tristen Nebelschleier der Schwermut. Das alte Familienhotel, das bekannte Diner oder jener Stausee an den Niagarafällen, an dem einst ein Familienfoto geschossen wurde. Disappearance at Clifton Hill sonnt sich in dieser Nostalgie und weckt Sehnsüchte, die eigenen Kindheitsorte noch einmal abzugrasen und längst Verinnerlichtes wieder hervorzurufen. Dabei sind die Kulissen reichlich unglamourös: Längst hat sich der Massentourismus breitgemacht und der graue Farbfilter legt sich über beinahe jedes von Kamerafrau Catherine Lutes eingefangene Set. Die Einflüsse von Twin Peaks sind unverkennbar, inhaltlich wie ästhetisch.
Gewohntes Adventure-Schema
Auf der Suche nach des Rätsels Lösung trifft Abby auf allerlei ausgefallene Figuren. Da wären besagter Podcaster, dann noch ein Verschwörungstheoretiker, eine spielsüchtige Tigerdompteurin und ein Magierduo. Nahezu jeder fällt in irgendeiner Weise aus der Rolle, sodass Abby im Vergleich schon wieder erfrischend normal und unauffällig wirkt. Wäre da nicht ihr Hang zur Lüge, der sich bereits früh im Film offenbart, als sie in einer Bar einen Mann kennenlernt und es schnell intim wird. All diese seltsamen Begegnungen erinnern an klassische Adventure-Games, in denen der Spieler mit der Hauptfigur sympathisiert, da alle anderen nicht spielbaren Figuren schräge Vögel sind, die zwar furchtbar eindimensional ausfallen, mit ihren Marotten aber im Gedächtnis bleiben.
Plätschernde Handlung ohne Fallhöhe
Die Handlung lässt sich bestenfalls als plätschernd bezeichnen: Abby zieht von Ort zu Ort, lüftet ein Geheimnis und nimmt zwei weitere mit. Das wirkt unterm Strich ziemlich konstruiert und so manche Szene wird Opfer gewollter Selbstgefälligkeit. Etwa, wenn es Abby auf der Flucht vor einem Verfolger in der Stadt ausgerechnet mitten am Tag in eine Geisterbahn verschlägt. Solche Szenen sorgen für sanftes Augenrollen, da sie einfach zu bemüht wirken und die Handlung beschleunigen wollen, obwohl dafür keine Notwendigkeit besteht. Darin liegt auch der große Knackpunkt: Es besteht keinerlei Dringlichkeit, dieses Rätsel zu lösen. Abby kann sich alle Zeit der Welt nehmen. Dadurch ist von Beginn an kein Druck vorhanden und entsprechend unaufgeregt schleicht alles vor sich hin. Passend dazu untermalt das Jazz-Gedudel den unscheinbaren Grundton der Produktion.
Fazit
Um überhaupt mit Disappearance at Clifton Hill warm zu werden, bedarf es zweier Voraussetzungen: Geduld und Atem für unaufgeregte Geschichten, die vor sich hin trotten. Kann beides bejaht werden, belohnt Albert Shin seine Zuschauer mit einer melancholischen Tristesse und im Gedächtnis bleibenden Begegnungen. So richtig vom Hocker haut die Auflösung schließlich aber auch nicht, sodass schnell in Frage gestellt werden kann, wofür die 100 Minuten Sehzeit eigentlich investiert wurden. Thrill ist nämlich komplett Fehlanzeige und so bleibt Clifton Hill ein Mystery-Film, wie man ihn auch Sonntagnachmittags auf ZDF erwarten würde: seicht, unaufgeregt, gewollt.
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