Doctor Strange

Wenn sich eine Person durch die Arbeit definiert und bei einer Sache wirklich brilliert, diese Fähigkeit aber durch einen Schicksalsschlag verliert, dient das meist für anrührende Geschichten um den Kampf zurück in den Alltag. Es sei denn, man hat schon einen tollen Künstlernamen parat, lebt im Marvel-Universum und lernt einfach mal Magie, um das übersteigerte Ego in neue Bahnen zu lenken. Vorhang auf für Zauberlehrling Doctor Strange.

  

Dr. Stephen Strange (Benedict Cumberbatch, Der Hobbit: Smaugs Einöde) ist ein begnadeter Neurochirurg. Und das weiß er ganz genau. Und er lässt es auch gern alle anderen um sich herum immer wieder wissen. Er sucht sich gern schwere Fälle, die andere liegen lassen, bei denen sein Talent kleine Wunder vollbringen kann. Wenn es gänzlich ausweglos erscheint, schickt er Patienten aber auch weg, denn er verliert nicht gern. Eine kleine Unachtsamkeit im Straßenverkehr kostet ihn dann alles, woran er sich als Person definiert. Er kann seine Hände kaum mehr bewegen, wird nie wieder ein Skalpell halten können. Sein Vermögen schwindet, während er sich experimentellen Behandlungsmethoden unterzieht. Als die Medizin keine Hoffnungen mehr parat hat, hört er von einer Wunderheilung, bei der ein gelähmter Patient wieder lernte zu laufen. Und so landet Strange in Nepal, wo er entdecken muss, dass die Welt der Wissenschaft nicht alles ist. Magie existiert und ein kleiner Kreis von Zauberern hat sich geschworen die Welt vor mystischen Gefahren zu schützen. Eigentlich ist das Strange vollkommen egal, er will wieder in den OP. Aber grade eben ist der abtrünnige Meister Kaecilius (Mads Mikkelsen, Hannibal) dabei ein uraltes Ritual durchzuführen, das die Welt in die Dimension der Finsternis stürzen könnte. Vielleicht sollte der Arzt seine Berufung überdenken.

Originaltitel Doctor Strange
Jahr 2016
Land USA
Genre Action, Fantasy
Regisseur Scott Derrickson
Cast Doctor Stephen Strange: Benedict Cumberbatch
Kaecilius: Mads Mikkelsen
Mordo: Chiwetel Ejiofor
Die Älteste: Tilda Swinton
Wong: Benedict Wong
Christine Palmer: Rachel McAdams
Laufzeit 118 Minuten
FSK

Augenschmaus dank CGI

Eines muss man Doctor Strange sofort zu Gute halten – Film ist ein visuelles Medium und visuell wird hier etwas geboten. Schon die erste Szene bereitet den Zuschauer darauf vor, dass die hier gezeigte Magie sowas langweiliges wie Naturgesetze aushebeln kann. Unter der Welt des Sichtbaren gibt es eine sogenannte Spiegelwelt, in der sich Gebäude manipulieren lassen, wachsen, in sich zusammenfallen oder in jede beliebige Richtung gedreht werden können. Gravitation ist eine Illusion und wer die mystischen Kräfte beherrscht, kann Portale öffnen, Waffen aus glühender Energie herstellen oder als Astralprojektion umher schweben. Auf Dauer ist es manchmal langweilig, dass die meisten Superhelden in den bisherigen Marvel-Filmen vor allem gut zuschlagen können. Nur wenige haben ein Gimmick, das über Fäuste und Schusswaffen hinausgeht. Auch Doctor Strange lernt einiges an Martial Arts, aber dieses Wissen wird mit einer Menge Stil abgerufen und bringt dadurch frischen Wind mit sich. Wer die gefalteten Häuserschluchten in Inception mag, wird sich an den Umgebungsspielereien hier sehr erfreuen.

Wenig Liebe für Nebenfiguren

Ebenfalls visuell gelungen ist, wie Strange zu seinem Comic Look findet. Mit Spitzbärtchen, Halskette und Umhang. Das ist in so einer Origin Story ein nettes Extra. Leider bleibt dafür inhaltlich viel auf der Strecke. Dass die Geschichte samt Kampf Gut gegen Böse das Rad nicht neu erfindet, ist eher eine Randnotiz. Manche Superheldenfilme können mal überraschen, aber solange sie eine Formel ordentlich abspulen, muss nicht lange auf mangelnder Kreativität rumgeritten werden. Schlimmer ist dagegen, dass die Figuren so kurz kommen. Strange ist größtenteils leider eine One-Man-Show. Da gibt es im Krankenhaus Dr. Christine Palmer (Rachel McAdams, Mean Girls), eine langjährige Freundin, die immerhin nicht zu einem billigen Love Interest verkommt. Aber sonst auch nicht viel zu tun hat. Der Magier Mordo (Chiwetel Ejiofor, 12 Years a Slave) trainiert mit Strange und hat sehr strenge Meinungen zum Thema was im Namen des Guten erlaubt sein sollte, aber das führt zu nichts. Doctor Strange selbst lernt Magie und vor allem braucht er sich selbst. Das ist rückblickend umso tragischer, denn seine Szenen im folgenden Thor – Tag der Entscheidung und Avengers: Infinity War zeigen, dass er als Figur im Zusammenspiel mit anderen funktioniert. Ein Ensemble-Film mit ein wenig mehr ausgearbeiteten Figuren hätten ihn bereits hier sympathischer und interessanter machen können. Es ist aber auch gemein, wenn ein Stück Stoff eine bessere Charakterisierung bekommt als die netten Sidekicks.

Kontroverse im Vorfeld

Lange bevor Doctor Strange ins Kino kam, gab es bereits harsche Kritik. Zum einen wurde Tibet als Schauplatz mit Nepal ersetzt. Scheint eine harmlose Änderung, ist aber einer politischen Anbiederung geschuldet. Denn wenn Tibet hübsch dargestellt wird und eine Rolle spielt, sind die Chance schlecht den Film in China ins Kino zu kriegen. Zum anderen erwuchs sich daraus ein neuer Zweig in der Debatte um das sogenannte Whitewashing. Dabei werden Charaktere in einer Adaption ihrer ethnischen Wurzeln beraubt und zu einer meist sehr generischen weißen Person. In diesem Fall ging es um die Rolle der Ältesten, dem Lehrmeister von Strange. In den Comics ursprünglich ein tibetanischer Mönch, wurde daraus eine Keltin gemacht und die Rolle fiel an Tilda Swinton (Snowpiercer). Sie macht ihren Job wirklich gut, das steht außer Frage, den ein ewig alter Charakter mit verschmitztem Lächeln passt in ihre Schublade. Aber das Problem ist größer als der einzelne Film – warum greift Hollywood so gerne asiatische Symbolik ab, hat aber keinen Platz für asiatisch-stämmige Schauspieler? Diese Diskussion ist aber größer als ein einzelner Film, da ist Doctor Strange zwei Jahre später nur eine Randnotiz.

Fazit

Übergeniale Mannsbilder, die ihre Lebensweise und den Umgang mit anderen Menschen überdenken müssen, gab es schon zuhauf. Da kann auch ein Benedict Cumberbatch zunächst nicht hinter dem Ofen hervorlocken. Doch mit der Entwicklung des Drumherums beginnt der Film zunehmend Spaß zu machen, denn etwas Magie tut der Klopperei wirklich gut. Und das Ende des Films stimmt schließlich extrem versöhnlich.  Immerhin sind Stephens Arroganz und Sturheit wichtig, damit Strange Dormammu auf die Nerven gehen kann und wenn es sein muss, dann auch bis in alle Ewigkeit. Seine Charakterschwäche wird als Stärke ausgespielt, was ein sehr schöner Kniff ist. Aber selbst mit einer zentralen Hauptfigur, sind ebenbürtige Nebenfiguren zum Interagieren wichtig und da ist einfach zu wenig, um den Film ein weiteres Mal einzulegen.

Misato

Misato hortet in ihrer Behausung fiktive Welten wie ein Drache seinen Goldschatz. Bücher, Filme, Serien, Videospiele, Comics - die Statik des Hauses erlaubt noch ein bisschen, der Platz in den Regalen weniger. Am liebsten taucht sie in bunte Superheldenwelten ein, in denen der Tod nicht immer endgültig ist und es noch gute Menschen gibt. Íhr eigenes Helfersyndrom lebt sie als Overwatch Support Main aus und adoptiert fleißig Funko Pops.

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Franziska-T
22. Mai 2018 9:20

Zwei Worte zu den Frauenrollen: Ja, Christine Palmer ist definitiv zu kurz geraten. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass sie ein besonders inniges Verhältnis zu Herrn Strange hat. Anders sieht es da bei Tilda Swintons Ältester aus. Den Whitewashing-Vorwurf mal ausgeklammert, finde ich es großartig, dass man hier ein starke, vielschichtige Frauenrolle im Film hat – besonders auch, weil Rachel McAdams keine große Rolle hat und es sonst nicht viele Frauenrollen zu sehen gibt.

Ayres
Redakteur
3. Juni 2018 19:03

Obwohl ich für Doctor Strange in „Infinity War“ große Sympathien hege, finde ich seinen Solo-Auftritt ziemlich durchwachsen. Es hat lange gedauert, bis er bei mir mal mit Sympathien punkten konnte. Im Grunde ist er hier einfach nur ein (bewusst) überheblicher Kotzbrocken, der angesichts der Existenz von Tony Stark sogar überflüssig wirkt. Aber ein Kritikpunkt ist das nicht, schließlich muss ja seine „Wandlung“ irgendwie funktionieren. Viel mehr nervt mich, dass das der Aufhänger für alles ist. So ganz, weil Karma einfach zuschlägt und ihn vom hohen Ross holen will. Der Rest ist dann eben das, was man irgendwie schon kommen sieht.

Spoiler
Nach anfänglicher Verweigerung wächst er immer mehr über sich hinaus, erreicht dann bald seine stärkste Form und findet seine innere Mitte. Dazwischen dann noch Christine, damit er zumindest einen Sympathisanten hat. Toll, dass hier keine groß angelegte Lovestory gedreht wurde. Andererseits: es hätte auch gerne soviel weniger sein können. Und überhaupt: immer wie es einem beliebt ins Krankenhaus kommen und irgendwo wird grade schon ein Saal frei sein, wo eine Person einen von allen unbemerkt operieren kann? Klingt jetzt nach Haar in der Suppe suchen, aber genau diese Nur-auf-ihn-Warterei trägt nicht dazu bei, dass ich sie als eigenständige Figur wahrnehmen durfte.

Das geht aber bei anderen weiter, wie diesen Handlangern von Kaecilius, die man grade noch an der Haarfarbe auseinanderhalten konnte. Mir geht das etwas zu schnell, auch mit der Zerstörung der Tempel. Ab hier artet der Film in eine reine Hatz aus, die wirklich geil aussieht und wo man den Film als Actiontitel sofort weiterempfehlen will, aber der Anspruch an eine gelungene Geschichte – der verfliegt leider zunehmend.

Zu Tilda Swinton und dem Ancient One wurde schon viel gesagt. Ich finde die Figur voll in Ordnung, zumal sie zwischenzeitig auch eine ganz neue Farbe bekommt. Hätte sie mir eher schlimmer vorgestellt, also quasi besserwisserischer, aber da bleibt sie relativ subtil.

Rein optisch bestimmt der stärkste Solo-Film eines Avengers.