Encanto
Die sogenannte Meisterwerk-Reihe der Walt Disney Animation Studios feiert 2021 ein Jubiläum: Denn mit Encanto erschien der 60. Film dieser Reihe, die einst 1937 mit Schneewittchen und die sieben Zwerge gestartet wurde. Der Animationsfilm von Byron Howard und Jared Bush (Zoomania) erzählt von einer magisch begabten Familie in Kolumbien, in der nur Protagonistin Mirabel aus irgendeinem Grund keine besondere Gabe hat – oder vielleicht doch? Nach dem Kino-Start im November 2021 veröffentlichte Disney das animierte Fantasy-Musical-Spektakel am 24. Dezember 2021 als kleines Weihnachtsgeschenk für alle Abonennt:innen auf Disney+, alle anderen mussten bis zur Scheibenveröffentlichung am 10. Februar 2022 warten.
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Vor Jahren verloren die Bewohner eines kleinen Dorfes ihre Heimat. Eine von ihnen, Alma Madrigal, war mit ihrem Mann gerade erst Eltern von Drillingen geworden. Verzweifelt suchen sie nach einer neuen Heimat und durch das Opfer ihres Mannes erhält Alba ein „Wunder“. Es handelt sich dabei um eine Kerze, die ein lebendiges, magisches Haus erschafft und jedem ihrer drei Kinder eine besondere Gabe schenkt. Die Enkelkinder bekommen im Rahmen einer Zeremonie ebenfalls solche besonderen Gaben. Zumindest normalerweise, denn die junge Mirabel erhielt am Tage ihrer Zeremonie aus irgendeinem Grund keine Gabe. Sie ist die einzige der Madrigals, die einfach nur normal ist und keine besondere Fähigkeit besitzt. Das ist schwierig, denn die Madrigals leben mit einer ganzen Gemeinschaft zusammen, für die sie mithilfe ihrer Gaben Aufgaben erledigen. Doch eines Tages scheint es, als wäre das Wunder, also die Magie, in Gefahr und nur Mirabel kann sie retten …
Wenn „besonders“ das neue Normal ist
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Originaltitel | Encanto |
Jahr | 2021 |
Land | USA |
Genre | Fantasy, Musical |
Regie | Byron Howard, Jared Bush |
Cast | Mirabel Madrigal: Stephanie Beatriz Bruno Madrigal: John Leguizamo Abuela: Maria Cecillia Botero Isabela Madrigal: Diane Guerrero Luisa Madrigal: Jessica Darrow Julieta Madrigal: Angie Cepeda Agustin Madrigal: Wilmer Valderrama Pepa Madrigal: Carolina Gaitan |
Laufzeit | 103 Minuten |
FSK | ![]() |
Veröffentlichung: 24. Dezember 2021 auf Disney+ / 10. Februar 2022 auf Blu-ray |
Geschichten, die von Menschen mit besonderen Kräften handeln, präsentieren dies in der Regel so, dass sich die betroffene Person wie ein Außenseiter fühlt und für diese Gabe geächtet oder gefürchtet wird (siehe Elsa in Die Eiskönigin). Doch Encanto stellt dies auf den Kopf. Mirabel ist die Einzige, die eben keine einzigartige Kraft hat und damit die Außenseiterin der Familie ist. Denn bis auf die angeheirateten Familienmitgliedern haben alle ein eigenes, besonderes Zimmer in dem magischen Haus, das ihre Kräfte repräsentiert. So können Mirabels ältere Schwestern Isabela und Luisa einzigartige Dinge vollbringen: Isabela lässt alles erblühen und Luisa ist so übermenschlich stark, dass sie mehrere Esel einfach so tragen kann. Alle erhielten ihre Gaben in einer Zeremonie, als sie die Kerze berührten, nur bei Mirabel funktionierte dies nicht. Es ist zwar nicht so, als würde ihre Familie sie deshalb ausstoßen, aber sie wird eben doch anders behandelt: Ihre misslungene Zeremonie gilt als Enttäuschung. Vor allem Abuela ( spanisch für „Großmutter“) Alma legt als Familienoberhaupt großen Wert auf die Gaben und das Verhalten ihrer Familie, die ja immerhin auch die Verantwortung für das Dorf trägt. Als Mirabels kleiner Cousin Antonio seine Zeremonie hat, ist die Angst davor, wieder ein Kind zu haben, das keine Gabe erhält, groß. Für Mirabel ist das eine große Belastung, obwohl sie ihre Familie doch so liebt. Ausgerechnet Mirabel ist in der Geschichte dann die Einzige, die sieht, wie das Wunder und die Magie verschwindet, ja gar das Haus zerstört wird. Nur hört ihr keiner zu, sodass sie sich gezwungen sieht, in einen eigentlich verbotenen Raum zu gehen: Das Zimmer von Onkel Bruno, der die Gabe der Zukunftsvisionen hat. Bruno war angeblich verrückt und verließ vor Jahren die Familie, weshalb seitdem nicht einmal sein Name erwähnt werden darf. Mirabel findet dabei heraus, dass womöglich nur sie diejenige ist, die das Wunder retten kann. Denn die Gefahr will schließlich keiner erkennen und niemand weiß, warum das Haus plötzlich Risse bekommt.
La Familia Madrigal: Sympathisch und liebenswert
Auf den ersten Blick mag Encanto durch den Fokus auf eine eng verbundene Familie und die Familiengeschichte an Coco – Lebendiger als das Leben! erinnern, doch da hören die Parallelen auch schon auf. Denn während Coco eine emotionale Geschichte um das Thema Verlust und Trauerverarbeitung erzählt, präsentiert sich Encanto als vergleichsweise simple und doch magische Familiengeschichte, die sich auch mit Themen wie generationsübergreifenden Traumata, Verantwortung, Ehrlichkeit und Selbstbild vs. Fremdbild beschäftigt. Denn während Mirabel versucht, die Magie zu retten, lernt sie auch ihre Familie ganz neu kennen, insbesondere ihre „perfekte“ Schwester Isabela. Schließlich haben letzten Endes alle ihre eigenen Sorgen und auch das Bild der wundervollen, harmonischen Familie ist natürlich mehr ein idealisiertes Bild. Das heißt nicht, dass die Familie schwere Probleme hätte, aber an einigen Stellen eben doch absurd dysfunktional ist. Und das ist eben auch realistisch und sorgt dafür, dass sich die Madrigals so authentisch anfühlen: Familie ist nie perfekt, es gibt immer mal Missverständnisse, enttäuschte Erwartungen und unbewusste Fehler. Die Charaktere sind in jedem Falle sehr liebevoll gestaltet und wirken so einzigartig und besonders, dass eigentlich fast jede Figur die Hauptrolle in einem eigenen Film verkörpern könnte. Obwohl die Madrigals eine recht große Familie sind, bekommen alle Figuren Momente zugestanden, die dafür sorgen, dass ihre Charaktereigenschaften zum Tragen kommen und Zuschauer:innen schnell Favoriten finden werden. Vor allem Protagonistin Mirabel selbst ist mit ihrer schusseligen und optimistisch-liebenswürdigen Art auf Anhieb eine echte Sympathieträgerin. Der heimliche Star in Encanto ist aber tatsächlich das Haus, im Film selbst als „Casita“ bezeichnet. Es ist lebendig und verzaubert, reagiert auf Anweisungen der Menschen und scheint vor allem zu Mirabel eine besondere Verbindung zu pflegen.
Musik zum Mittanzen und -singen
Die große Stärke von Encanto sind Soundtrack und Animationen. Der Film ist schließlich auch ein Musical und dementsprechend häufig fangen die Charaktere an, vor wechselnder Kulisse ein Lied zu singen. Diese Lieder sind echte Highlights: Nicht nur dass sie wundervoll klingen, sie haben auch allesamt eine Bedeutung und lassen oft tief blicken. So beschreibt „Surface Pressure/Druck“ den Druck, der auf Luisa als ältere Schwester und körperlich stärkstes Mitglied der Familie lastet. Ein Lied, mit dem sich sicherlich viele Zuschauer:innen identifizieren können. Die Musik von Komponistin Germaine Franco (Coco) und Songschreiber Lin-Manuel Miranda (Vaiana) transportiert ohne Frage ein wundervolles, kolumbianisches Lebensgefühl und lädt zum eigenen Tanzen und Singen ein. In der deutschen Fassung sind die Lieder dabei wie für Disney-Produktionen gewohnt, auf Deutsch. Diese reichen zwar wie so oft nicht an die Originale heran, sind aber ebenfalls sehr gut produziert. Allerdings gibt es neben den englischen bzw. deutschen Tracks auch spanische Songs, die hier natürlich besonders gut passen. Ein echtes Highlight ist der Song „We Don’t Talk About Bruno/Nur kein Wort über Bruno“, bei dem alle Familienmitglieder singen, wie über Onkel Bruno eben nicht geredet wird. Die Animationen sind ein farbenfrohes Fest und vor allem die Song-Einlagen werden mit beeindruckenden und fantasievollen Kulissen untermalt. Insbesondere das Casita wird durch die Animationen zu echtem Leben erweckt und erinnert fast an eine buntere und wildere Fassung des Hogwarts-Schlosses aus Harry Potter.
Fazit
Encanto präsentiert eine Handlung, die nur in einem kleinen, familiären Kosmos stattfindet und damit genau das richtige Ausmaß hat. So bleibt der Fokus auf der Familie Madrigal und ihren sympathischen Figuren sowie natürlich Protagonistin Mirabel selbst. Die Botschaft des Titels könnte dabei nicht schöner sein und die Auflösung, was die Magie gefährdet, ist sehr gut gemacht und auch ein kleiner Bruch mit der typischen Disney-Formel. Klar ist, dass es das Gesamtpaket ist, dass den Film so sehenswert macht. Dazu gehört die tolle Musik voller kolumbianischem Lebensgefühl und die strahlenden Animationen, die vom Blumenmeer bis zur Sandwüste viele Facetten zeigen. Für Fans klassischer Disney-Filme sowieso ein Must-See, aber auch alle anderen sollten sich einmal zu einem Filmabend mit der Familie Madrigal treffen.
© Disney
Veröffentlichung: 10. Februar 2022
Lange vor mich hingeschoben. Ich hatte gewisse Vorbehalte, muss ich zugeben. Einerseits aufgrund des hohen Gesanganteils, andererseits weil Encanto auf den ersten Blick wie eine Diversity-Offensive wirkt ohne viel erzählen zu haben. Beides hat sich im Nachhinein nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Ich muss sagen, dass es ein schöner Film ist, dessen Soundtrack überraschend viel Spaß macht. Vor allem das Main Theme schreit nach Sommerurlaub, so schnell kriege ich das nicht mehr aus dem Ohr. Sehe schon, demnächst läuft das bei mir auf und ab 😀
Die Idee mit den Superkräften finde ich ganz gut und mag auch den Ansatz, das mal nicht besonders mit Action zu verbinden, sondern die Kräfte einfach als Teil der eigenen Existenz anzuerkennen. Deshalb finde ich auch die Botschaft schön, dass es gar nicht Talente sind, die uns ausmachen.
Wenn ich einen Kritikpunkt finden muss, dann ist das Mirabels Persönlichkeit. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass jede Hauptfigur bei Disney einfach nur noch aus ihrer jugendlich-naiv-offenen Persönlichkeit, kombiniert mit einem Schuss Sarkasmus, ist. Deswegen fällt es mir schwer, besondere Seiten an ihr zu finden. Aber ich liebe es, dass sie auf deutsch von Magdalena Turba synchronisiert wird, die auch meine liebste Serienfigur Emily Thorne (Emily Vancamp) in Revenge spricht. Wobei mich das teilweise seeeehr verstörte, da ich so an diese Stimme gewöhnt bin.
Werde mir den Film bei der nächsten Gelegenheit ein zweites Mal ansehen. Habe so im Gefühl, dass da noch Wachstumspotenzial ist.