Father and Son

Eine kleine Perle des 21. Japan-Filmfest in Hamburg ist ohne Frage Father and Son. Ein knapp 50-minütiger Film, in dem Regisseur Yūichirō Fujishiro das Publikum an einer Vater-Sohn-Beziehung teilhaben lässt, die schon vor dem Schlaganfall des Vaters nicht ganz einfach war. Respektvoll und einfühlsam eingefangene Szenen stellen das Dilemma dar, in dem sich ein junger Mann befindet, der verbissen bemüht ist, seinen Traum wahr werden zu lassen, und dabei auch moralisch an seine Grenzen stößt, während ein alter Mann den Bezug zur Gegenwart und seine Eigenständigkeit verliert. Dabei bleibt die Kamera meist dicht an den Protagonisten und wahrt dennoch inneren Abstand, wodurch eine Wertung dem Zuschauer überlassen bleibt. Ob dieser aber wirklich urteilen möchte, ist fraglich, denn es sind Menschen, die menschlich handeln.

   

Mit fast 30 Jahren arbeitet Kazuki (Haruka Uchimura) noch immer beharrlich an einer Karriere als Manzai-Comedian, um dem ungeliebten Landleben den Rücken kehren zu können. Doch es läuft nicht gut für ihn. Mit seinem Vater Yōji (Shinichirō Uchida), einem Reisbauern, der Kazuki allein großgezogen hat, versteht er sich nicht besonders gut. Yōji macht sich gern über Kazukis Träume lustig und fordert ihn ständig auf, endlich erwachsen zu werden. Und sein Partner beschließt, sesshaft zu werden, eine Familie zu gründen und die Manzai-Karriere aufzugeben. Da erleidet Yōji einen Schlaganfall, durch den er nicht nur in seinen Bewegungen eingeschränkt wird, sondern auch sein Gedächtnis verliert. Er erkennt nicht einmal mehr seinen eigenen Sohn. Kazuki muss sich entscheiden, ob er seinen Traum aufgibt und bei seinem zu pflegenden Vater bleibt oder diesen in die Obhut eines Pflegeheims gibt. Leider hat Yōji nicht nur seinen Sohn, sondern auch die PIN für das Bankkonto vergessen, so dass zusätzlich Geldprobleme auftreten. Durch Zufall kommt Kazuki darauf, dass die absurden Konversationen mit seinem Vater auf andere durchaus erheiternd wirken. Da fasst er den verzweifelten Entschluss, gemeinsam mit Yōji aufzutreten, um doch noch sein Ziel zu erreichen, ein anerkannter Manzai-Comedian zu werden.

Boke to Tsukkomi = Manzai

Originaltitel Bokke to Tsukkomi
Jahr 2019
Land Japan
Genre Drama
Regie Yuichiro Fujishiro
Cast Kazuki Abe: Haruka Uchimura
Yōji Abe: Shinichirō Uchida
Sato Masakazu: Masaru Yahagi
Masumi Kobayashi: Masumi Kobayashi
Doktor: Toshiro Hoshina
Laufzeit 55 Minuten
FSK unbekannt
Bislang keine deutsche Veröffentlichung

Dreh- und Angelpunkt von Father and Son ist die Tatsache, dass Kanzaki unbedingt ein Manzai-Comedian werden will. In Japan zählt Manzai zur Stand-up-Comedy, bei der immer ein Duo auftritt und sich einen verbalen Schlagabtausch liefert. Innerhalb dieses Duos gibt es zwei feste Rollen, die auch im Originaltitel des Films, Boke to tsukkomi, genannt werden. Als “boke” gilt derjenige mit dem lustigen Part, der die Pointen liefert. Dem gegenüber steht der “tsukkomi”, der mit seiner Ernsthaftigkeit meist als Themengeber fungiert. Aus dieser Kombination resultieren absurd-witzige Gespräche in hohem Tempo, die sich um Wortspiele und Alltagssituationen drehen, durchaus aber auch politischen Charakter annehmen können. Manzai erfreut sich bei den japanischen Zuschauern einer hohen Beliebtheit. Jährlich konkurrieren tausende Nachwuchskünstler um den ersten Platz bei diversen Wettbewerben, wobei das hoch dotierte Finale des M-1 Grandprix sogar im Fernsehen ausgestrahlt wird.

Boke to Tsukkomi = reales Leben?

In der Beziehung zwischen Kazuki und seinem Vater Yōji sind die Rollen ähnlich wie im Manzai verteilt. Kazuki ist der Boke, der Spaßvogel, der nichts ernst nimmt und etwas planlos wirkt, während das Leben an ihm vorbeizieht. Yōji dagegen steht als Tsukkomi mit beiden Beinen fest im Leben und versucht, auch Kazuki dazu zu bringen, sich der Realität zu stellen. Der Schlaganfall des Alten verändert diese Rollenverteilung zunächst nicht, und Kazuki versucht sogar, aus den sich nun ergebenden Gesprächen mit seinem Vater seinen Nutzen zu ziehen. Keine Frage, auf Aussenstehende wirkt der Wortwechsel zwischen den beiden meist sehr erheiternd, doch die Tatsache, dass Yōji gar nicht weiß, was er da auf der Bühne macht, fügt dem Spaß eine bittere Note bei. Und das Leben ist nun mal kein Manzai. Durch die wachsende Hilflosigkeit des Vaters wird Kazuki gezwungen, den Tatsachen ins Auge zu blicken. Ohne Geld, da Yōji sich noch immer nicht an die PIN für das Bankkonto erinnert, muss Kazuki seinen Anteil dazu beitragen, dass dieser gut und sicher untergebracht ist. Dadurch kommt er in Kontakt mit anderen, mit dem Pflegepersonal und auch mit den Bewohnern des Pflegeheims, in dem Yōji zunächst tagsüber untergebracht ist. Deren Rückmeldungen auf seinen Umgang mit seinem Vater und der gesamten Situation lassen sich nicht so einfach ignorieren wie die Vorhaltungen seines Expartners. Dadurch ändert sich auch in Kazuki etwas, er kann seine Rolle langsam verlassen.

Rollenspiele

Der Schlaganfall Yōjis und die damit einhergehende Demenz lässt diesen nicht nur seinen Sohn – und die PIN des Bankkontos – vergessen, sondern macht auch deutlich, dass dessen Spötteleien gegenüber Kazukis Traum, ein Manzai-Comedian zu werden, nur überdeckt haben, dass er insgeheim ziemlich stolz auf seinen Sohn ist. Wenn Kazuki ihm zum x-ten Mal erzählt, dass er ein Manzai-Comedian werden will, reagiert Yōji jedes Mal begeistert und feuert ihn an, durchzuhalten und seinen Traum nicht aus den Augen zu verlieren, sogar in dem Moment, in dem er sich an ihn erinnert. Kazuki kann mit diesen Aussagen zunächst nicht viel anfangen, hat er seinen Vater im Hinblick auf dieses Thema doch ganz anders in Erinnerung. Doch langsam wird ihm klar, dass dieser aus Fürsorglichkeit seinem Sohn gegenüber darauf gedrängt hat, diesen in einer abgesicherten Position zu sehen. Yōji hat stets den Tsukkomi gespielt, sich mit dieser Rolle selbst eingeschränkt und immer nur den kritischen Part seines Selbst päsentiert. Kazuki konnte nicht wahrnehmen, dass sein Vater durchaus nicht so einseitig gedacht hat. Er selbst hat den Boke-Part gelebt, nicht gespielt, und bei ihm war wirklich nicht viel mehr dahinter.

Ein respektvolles Miteinander

Darstellungen über den Umgang mit dementen Menschen besitzen häufig ein hohes Fremdschämpotenzial. Doch sowohl die Regie von Yūichirō Fujishiro als auch das Zusammenspiel der beiden Hauptakteure lassen bei Father and Son solche Gefühle nicht zu. Auch wenn die Kamera sich dicht an die Akteure hält und dabei schwankt, als wenn ein Dritter die Aufnahmen gemacht hat, bleibt das Gefühl der Distanz für den Zuschauer doch gewahrt. Aus dieser Perspektive betrachtet zeigen Haruka Uchimura als Kazuki und Shinichirō Uchida als sein dementer Vater Yōji, wie der Umgang mit dieser Krankheit vieles verändert: Beziehungen, Ansichten und Lebensentwürfe. Bei allen Auseinandersetzungen, die mit den Veränderungen einhergehen, bleiben Uchimura und Uchida doch in einem respektvollen Miteinander verbunden und lassen zwar die Situationen komisch wirken, nie aber die Charaktere. Der Wechsel zwischen Komodie und Drama vollzieht sich mitunter so unauffällig, dass ein genaues Hinsehen sich wirklich lohnt, ebenso wie bei der Entwicklung Kazukis die feinen Nuancen leicht verloren gehen können. Hier leisten beide Schauspieler Großartiges, spielen die feinen Töne ebenso aus wie das laute Aufeinandertreffen unterschiedlicher Ansichten und Einstellungen. Die musikalische Untermalung drängt sich dabei nicht in den Vordergrund, sondern unterstützt einzelne Szenen und zeigt ein gutes Einfühlungsvermögen von Komponist Mekakushe.

Fazit

Ich habe mich auf Anhieb in Father and Son verliebt. Beruflich erlebe ich häufig Szenen, in denen Familien sich mit dem Thema Demenz auseinandersetzen müssen, und dabei steht die Tragik in der Regel im Vordergrund. Pläne werden umgeworfen, Beziehungen in Frage gestellt, der gesamte Alltag verändert sich, es muss Abschied genommen werden. So ist es auch in Father and Son, doch hier erlaubt es mir die Zuschauerrolle, von außen einen Blick auf das Geschehen zu werfen, ohne involviert zu sein. Es tut gut, wieder daran erinnert zu werden, dass hinter den Rollen immer auch Menschen stecken, die vielschichtiger sind als das, was ich im ersten Moment wahrnehme. Auch wenn Yōji sich nicht mehr an seinen Sohn erinnert, so besitzt er doch Würde in der Welt, in der er jetzt lebt, und diese Würde muss geschützt werden, wenn er selbst es nicht mehr kann, weil er nicht versteht, was mit ihm geschieht. Dabei ist es durchaus erlaubt, zu lachen. Wenn Yōji beim Spiel stets irgendwelche Reissorten nennt, ob es sie nun gibt oder nicht, dann ist das einfach lustig, und an solchen Stellen vermittelt der Film mir das Gefühl, dass ich mitlache und nicht auslache. Wenn Kazaki mit dem Schicksal hadernd auf den Boden einschlägt, dann wirkt das sowohl tragisch als auch komisch. Sein Frust ist mir klar, seine Reaktion passt zu ihm, und doch wirkt das Ganze einfach komisch. Und dass in Yōji doch ein Manzai-Comedian verborgen war, zeigt die PIN, an die er sich am Ende erinnert und deren Ziffern auf einem Wortspiel beruhen. Father and Son ist ein wunderbar menschlicher Film über das alltägliche Leben, über Träume, Verantwortung und Würde.

© Yūichirō Fujishiro

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