Glass

M. Night Shyamalan ist ein Regisseur, der die Höhen und Tiefen der Filmbranche kennt. Mit The Sixth Sense und Signs – Zeichen als Wunderkind gefeiert, erlebte er mit The Happening und Die Legende von Aang sowohl an den Kinokassen als auch in der Gunst der Filmkritiker einen tiefen Absturz. Mit The Visit und vor allem seinem Psycho-Thriller Split gelang ihm jedoch das kommerzielle Comeback. So ermöglichte sich der Regisseur einen Traum: Ein eigenes Erzähluniversum mit Superhelden. Glass heißt der Abschluss einer Trilogie, von der niemand je wusste, dass sie eine werden sollte. In der sogenannten „Eastrail 177-Trilogie“ verknüpft er seinen 2000er Film Unbreakable – Unzerbrechlich mit Split, um beide Protagonisten in Glass aufeinander loszulassen. Was soweit nach einem ausgetüftelten Masterplan klingt, funktioniert nicht in jeder Hinsicht: Shyamalans Magnum Opus besitzt zu wenig emotionalen Impact.

  

Der schizophrene Kevin Wendell Crumb (James McAvoy, X-Men: Erste Entscheidung) streift durch die Gegend und wird noch immer von einer Kraft getrieben, die ihn dazu bringt, Mädchen zu entführen und Menschen zu töten. Das Mädchen Casey (Anya Taylor-Joy, Das Geheimnis von Marrowbonekonnte ihm gerade so entfliehen. Doch ein anderer dunkler Rächer ist ihm auf den Fersen: David Dunn (Bruce Willis, Das Fünfte Element), der Green Guard. Er besitzt enorme Kräfte und streift seit Jahren durch die Nacht, um dem Verbrechen Einhalt zu gebieten. Sein Geheimnis kennt nur sein Sohn Joseph (Spencer Treat Clark, Agents of S.H.I.E.L.D). 

Als Kevin und David aufeinander treffen, kommt es zu einem erbitterten Kampf, der von der Polizei unterbrochen wird. Beide landen in einer Hochsicherheitsanstalt und werden von  Dr. Ellie Staple (Sarah Paulson, American Horror Story) betreut. Die Ärztin möchte den beiden Männern vermitteln, dass ihre Kräfte nur Hirngespinste sind. Doch in der Klinik vegetiert ein anderer Patient vor sich hin: Elijah Price (Samuel L. Jackson, Avengers: Infinity War) alias Mr. Glass, für dessen Aufenthalt sich nun alle Bedingungen geändert haben…

Ein Regisseur erfüllt sich einen Traum

Originaltitel Glass
Jahr 2018
Land USA
Genre Action, Thriller, Drama
Regisseur M. Night Shyamalan
Cast Kevin Wendell Crumb (Die Bestie / Patricia / Dennis / Hedwig / Barry / Jade / Orwell / Heinrich / Norma: James McAvoy
David Dunn: Bruce Willis
Elijah Price: Samuel L. Jackson
Dr. Ellie Staple: Sarah Paulson
Casey Cooke: Anya Taylor-Joy
Joseph Dunn: Joseph Dunn
Laufzeit 129 Minuten
FSK

Bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts war Shyamalan an einem eigenen Superheldenuniversum interessiert. Zu dieser Zeit begannen die X-Men, Spider-Man und später die Avengers das Kino zu erobern und Sehgewohnheiten der Zuschauer zu prägen. Der Querdenker Shyamalan war jedoch schon immer einer jener Regisseure, die es unkonventionell lieben und lieber ihr eigenes Ding durchziehen. Beginnend mit seinen stilistischen Eigenheiten, über Motive, die sich durch all seine Filme ziehen bis hin zu eigenen Interpretationen jenseits des Popcornkino-Anspruchs. Dementsprechend bildet Glass einen starken Kontrast zu dem Heldenprogramm, welches seit Mitte der 2000er die Leinwand dominiert. Gleichermaßen erfrischend wie eigenwillig.

Gewaltsam zurechtgebogen

Shyamalan zeichnet in Glass eine Welt, die besessen von Superhelden ist und in der jeder Selbstjustiz walten lassen möchte. Gleichzeitig ist das auch als analytischer Kommentar auf die Superhelden-Comics und -Filme aller Generationen zu verstehen. Superkräfte sind nicht etwa einfach da. Sie sind das Resultat unterdrückten Potenzials, was einen ganz neuen Blickwinkel auf Superhelden werfen lässt. Das wird in aller Ausführlichkeit platt gewalzt und jede Figur scheint obendrein ein Comic-Nerd zu sein. Anders lässt sich kaum erklären, dass jeder bestens über Comichelden-Psychologie informiert ist und jede Figur jeden Alters auch eine fundierte Meinung dazu besitzt. Hier erfolgt eine etwas flache Charakterisierung, bei der insbesondere das wenig empathische Verhalten der von Sarah Paulson verkörperten Ellie unangenehm auffällt. In einer Szene biegt David über einen relativ langen Zeitraum hinweg eine Eisenstange zusammen. Dieses Bild lässt sich häufig auf die innere Filmlogik übertragen.

Showdown der Unglaubwürdigkeit

Glass führt drei tragische Persönlichkeiten zusammen und erreicht mit diesem Gipfeltreffen der Giganten eine Schwere, die ihresgleichen sucht. Hierbei tut sich das erste große Problem auf: Das Aufeinanderprallen der drei bewegt nicht. Es ist kraftvoll und eindringlich, aber besitzt keine Emotion. Diese Aufgabe wird auf die Sidekicks der drei ausgelagert: Casey, Joseph und Mrs. Price sollen den emotionalen Aspekt auffangen, doch die Last fällt ihnen regelrecht auf die Füße. Während Mrs. Price viel zu unsichtbar bleibt, bekommt Joseph kaum Zeit zur Entwicklung. Und Casey durchläuft eine Charakterentwicklung, die weit von dem entfernt ist, was sie in Split darstellt. Der Autor hielt es offenbar für nachvollziehbar, ein Stockholm-Syndrom in ihr auszulösen, das der Zuschauer nun einfach als gegeben hinnehmen muss. Ohne Rücksicht auf Verluste werden hier gleich mehrere Komponenten zusammengeworfen, die einer Prüfung kaum Stand halten können und nur dazu dienen, mehr Emotionalität in das Geschehen zu bringen. Ausgerechnet das erweist sich als Fallgrube.

Stilsichere Comic-Ästhetik

Glass setzt farbliche Kompositionen, die Unbreakable und Split bereits prägten, fort und erschafft so einen einheitlichen Look. Ohnehin hat man nie das Gefühl, das Universum beider Filme verlassen zu haben. Kameramann Mike Gioulakis arbeitet stark mit Kamerafahrten und verwendet dafür ungewöhnliche Perspektiven. Damit spielt auch er mit den Erwartungen der Zuschauer, etwa wenn regelmäßig ein Wolkenkratzer zu sehen ist, der auch als Ort für den Showdown benannt wird, die Figuren jedoch niemals in dessen Reichweite geraten. Um der Comic-Huldigung treu zu bleiben nimmt die Kamera häufig auch den Sichtwinkel eines Lesers ein, der stets den besten Platz einnehmen darf, um möglichst viel Handlung und Ästhetik mitzunehmen.

Der Twist im Twist im Twist

Prächtig funktioniert das schier endlose Unterhaltungspotenzial bedingt. Insbesondere in der Mitte des Films kommt es zu einem Leerlauf, nachdem alle drei Figuren eingeführt wurden. Das Herzstück der Geschichte bildet wenig überraschend Kevin, dessen Persönlichkeitskarussell lebhaft von James McAvoy getragen wird. Zwar kommen die 23 Typen längst nicht so deutlich zum Zug wie noch in Split, dafür bringen sie aber jede Menge Abwechslung ins Geschehen. Bruce Willis und Samuel L. Jackson verkörpern ihre Figuren ambitioniert, sodass keiner der drei Protagonisten wirklich schwächelt. Den Part übernimmt dann das Drehbuch, das vermuten lässt, dass Shyamalan das eigene Spektakel zu Kopfe gestiegen ist. Er haut einen Twist nach dem anderen heraus, um den Blickwinkel immer wieder kippen zu lassen. In den letzten zehn Minuten wird überdeutlich, mit welcher Hartnäckigkeit er die Story dreht und wendet, bis dem Zuschauer schließlich schwindelig wird. Doch nicht nur die Plottwists machen aus Glass einen „typischen Shyamalan“: Zentrale Themen wie Kindheitsereignisse, Familie und Identität nehmen auch hier den Fokus ein.

Fazit

Glass besitzt viele gelungene Ideen, ist aber genauso ungelenk, wenn es darum geht, diese harmonisch zu einer Einheit zu machen. Reizvoll ist so ein alternatives Superhelden-Universum jenseits DC und Marvel sowieso. Allerdings fehlt es an wirklichen Sympathieträgern und emotionalen Charakteren, sodass Glass eine actionreiche Hommage an den Superheldenfilm ist, ohne seine Wucht auch auf Gefühlsebene erreichen zu können. Glass ist bei Weitem kein schlechter Film und tut sein Bestes um den Eindruck zu erwecken, als sei die Trilogie ein von vorne bis hinten ins Detail durchdachter Plan. Doch die Mischung aus inhaltlichem Leerlauf und dem Wegducken vor Filmlogik ergeben ein verzerrtes, wenngleich stilistisch gelungenes Gesamtbild.

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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Aki
Aki
Redakteur
28. November 2019 12:23

Ich bin froh, dass ich mir diesen Film ausleihen konnte, denn ansonsten hätte ich es sehr bereut.
Im Grunde hatte ich schon so eine Ahnung, dass Glass kein krönender Abschluss sein wird, denn dafür hätte Shyamalan sich zu sehr aus seinem Stammbereich entfernen müssen. Seine Handschrift spürt man nämlich den ganzen Film über, es gibt wieder seine klassischen Dialoge mit statischer Kamera.

Das ist sie nun, die abschließende Konfrontation der drei Charaktere und mehr als sie ernüchternd zu nennen, fällt mir nicht ein. Der Titelgebende Mister Glass tut fast nichts und wenn dann ist es vorhersehbar. David Dunn tut auch nicht wirklich viel mehr. Mal ehrlich das Drehbuch für Willis bestand doch gerade mal aus zwei Seiten Text oder? Immerhin James McAvoy kann sich austoben aber wie! Neben den bekannten Figuren aus Split, stellt er diesmal noch mehr da und das in so extrem fließenden Übergängen, dass ich echt begeistert bin. Doch was dieses Gruppengespräche angeht,

Spoiler
mal ehrlich, das ist so unlogisch, dass wir spätestens ab da den Braten riechen, dass Frau Doktor da mehr vorhat.

Das große Finale ist dann eben so ernüchternd. Die Bestie rennt erneut herum, da wir sie aber schon mindestens drei Mal vorher so gesehen habe, überrascht es nicht mehr. Von Dunn möchte ich echt nicht anfangen, denn da wandert meine Hand schon wieder zu meinem Gesicht. Diese Pfütze! Und Glass? Haben wir so ein Ende nicht von Anfang an erwartet?!

Vielleicht bin ich durch Marvel zu verwöhnt, was das Thema Superhelden angeht, doch das hier ist eine regelechte filmische Katastrophe. Setzen sechs!