Hotel Mumbai
Darf man einen Terroranschlag verfilmen? Eine berechtigte Frage, die auch im Zusammenhang mit Anthony Maras’ Filmdebüt Hotel Mumbai aufkommt. Die Handlung des Titels basiert nämlich auf den Anschlägen in der indischen Metropole Mumbai Ende November 2008. Insgesamt 239 Verletzte und 174 Tote brachte der Anschlag hervor und gilt damit als eines der schlimmsten Verbrechen des Landes. Ein Stoff, bei dem der Puls ordentlich nach oben geht. Mit ein wenig zeitlicher Distanz arbeitet der Australier jene Tage auf und konnte mit Armie Hammer und Dev Patel eine Starbesetzung finden. Doch wie weit darf man als Regisseur gehen und ab wann sind ethische Grenzen überschritten? Eher Dokumentation oder Popcornthriller? Fragen, die dringend geklärt werden müssen.
Mumbai, der 26. November 2008. An mehreren Orten der Metropole finden Terroranschläge statt. Diese werden von gerade einmal zehn islamistischen Terroristen ausgeführt, welche gezielt so viele Menschen wie möglich töten. Einer der zentralen Handlungsorte ist das luxuriöse Taj Mahal Palace & Tower Hotel, in dem sich viele Touristen aus dem Westen eingefunden haben. Darunter die frischgebackenen Eltern David (Arme Hammer, Call Me By Your Name) und Zahra (Nazanin Boniadi, Iron Man) mit ihrer kleinen Tochter und in Begleitung ihres Kindermädchens Sally (Tilda Cobham-Hervey, 52 Tuesdays). Dies ist auch die Arbeitsstätte des Kellners Arjun (Dev Patel, Slumdog Millionaire) und des Chefkochs Hemant Oberoi (Anupam Kher, Silver Linings), welche in Windeseile einen Plan entwickeln, um die Gäste vor den Angreifern in Sicherheit zu bringen. Doch da sind bereits viele Schüsse gefallen.
Ein Film über Opfer
Originaltitel | Hotel Mumbai |
Jahr | 2018 |
Land | Australien, USA |
Genre | Thriller |
Regisseur | Anthony Maras |
Cast | David: Armie Hammer Zahra: Nazanin Boniadi Sally: Tilda Cobham-Hervey Oberoi: Anupam Kher Arjun: Dev Patel Vasili: Jason Isaacs |
Laufzeit | 123 Minuten |
FSK |
Filme über Terror sind ein heikles Thema. Auf der einen Seite sitzt ein Publikum, welches eine Kinokarte löst, um für wenige Stunden unterhalten zu werden. Gleichzeitig will es aber auch Teil einer Geschichte sein, die es selbst nicht miterlebt hat und nun aus sicherer Distanz erleben darf ohne dabei den Anspruch auf eine beschönigte Version der Geschichte zu legen. Auf der anderen Seite steht ein Regisseur, der die Aufgabe hat, das richtige Fingerspitzengefühl zu entwickeln. Verantwortung gegenüber den Angehörigen der Opfer und Vermeidung einer Glorifizierung des Terrors stehen an oberster Stelle, doch auch ein Unterhaltungswert soll gegeben sein. Anthony Maras ist der richtige Mann für diesen Balance-Akt. Er findet jenen schmalen Grat, den es benötigt, um alle Interessen unter einen Hut zu kriegen und eine reißerische Inszenierung zu vermeiden. Im Vordergrund stehen die Opfer, deren Einzelschicksale wir begleiten. Über die Täter erfahren wir nicht viel, was allerdings auch nicht von Nöten ist: Es gibt keinerlei Grund mit ihnen zu sympathisieren und ihre Motivation ist völlig nebensächlich, da kein Grund der Welt Rechtfertigung genug für so viel Nihilismus sein kann. Eine Plattform für Motive wird nicht geboten und auch auf die Darstellung realer Personen wurde verzichtet. Nur Chefkoch Oberoi zählt als Heldensymbol und entspricht einer wahren Persönlichkeit.
Ein Film über Menschlichkeit
Bei Hotel Mumbai – und jeder anderen terroristisch geprägten oder von Naturkatastrophen beeinflussten Handlung – bietet es sich an, eine Geschichte der Marke “Familie Jedermann im Fadenkreuz des Bösen” zu erzählen. Anders wird es schwierig, die Handlung erzählerisch zu rekonstruieren. Mit David und Zahra stehen zwei Identifikationsfiguren im Vordergrund, die einfach konzipiert sind, es aber erleichtern, den Abläufen zu folgen. Auf der einheimischen Seite stehen Arjun und Oberoi, welche den Blick auf die Dinge durch eine lokale Perspektive erweitern. Gänzlich lassen sich heroische Taten auch nicht vermeiden, sind in diesem Fall aber aufgrund der wahren Begebenheiten leicht zu rechtfertigen: Ein Großteil der Besetzung des Hotels weigerte sich in jener Nacht, den Arbeitsplatz aufgrund der hohen Loyalität und Verantwortung gegenüber den Gästen zu verlassen. Was sich wie Hollywood-Kitsch liest, fand in dieser Form tatsächlich statt und fühlt sich gut an. Eine Form der Verbundenheit trotz des Gefälles zwischen Armut und Reichtum, Touristen und Einheimischen. Hand in Hand gegen den Terror. Auch wenn viele Personen fallen, darunter auch die eine oder andere, die wir im Laufe der Handlung häufiger erleben, bleibt ein hoffnungsvoller Spirit zurück, der die Menschlichkeit als etwas plötzlich Greifbares darstellt.
Ein Film über Realität
Der schwierigste Akt ist wohl die Darstellung der Grausamkeit. Wie nahe darf die Kamera bei einem Erschießungskommando über die Schulter schauen? Kameramann Nick Remy Matthews (One Eyed Girl) findet einen Weg, die Tötungen nicht zu verschleiern, aber auch jedweder Plakativität fernzubleiben. Wird eine Person erschossen, bleibt die Kamera nicht lange hängen. Gerne verlagert er auch den visuellen Fokus, wodurch niemals der Eindruck entsteht, als ginge es hier darum, Tötungen anschaulich darzustellen. Für den Zuschauer bleibt das Geschehen sowieso spannend genug: Ohne filmtypische Stunteinlagen oder konstruierte Szenen gibt es genug Szenen, die einen dazu zwingen, den Atem anzuhalten oder erleichtert aufzuatmen. Momente, welche die brillante Inszenierung belegen.
Fazit
In seinem Langfilmdebüt präsentiert Anthony Maras einen Film, der einen hochgradig komplexen Hintergrund greifbar macht. Gleichzeitig entwickelt er in Hotel Mumbai ein messerscharfes Gespür dafür, wo moralische Grenzen liegen und fängt gar nicht erst an, diese auszuloten. Es sollte Kritikern und Skeptikern schwer fallen, Hotel Mumbai als verwerflich darzustellen, da die Ausrichtung des Films trotz aller Rauheit eine positive ist. Obwohl aufwühlend inszeniert, bleibt der nachhaltige Eindruck, dass sehr genau bedacht wurde, Pietät und Verantwortung zu wahren. Und trotzdem fiebert man jede verdammte Sekunde mit.
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