Illang: The Wolf Brigade
Netflix hat wieder zugeschlagen und sich die internationalen Rechte an Illang: The Wolf Brigade gesichert, der Filmadaption des Anime-Klassikers Jin Roh aus dem Jahre 1999. Mit handwerklicher und visueller Stilsicherheit lässt der koreanische Regisseur Kim Jee-woon (The Last Stand) das alte Märchen vom Tier im Menschen in einem modernen Gewand auferstehen und macht damit das ursprüngliche Nischenwerk einem breiten Publikum zugänglich.
Das Jahr 2029: Nord- und Südkorea streben die Wiedervereinigung an, missgünstig beäugt von den Weltmächten. Auch innenpolitisch gestaltet sich der Weg als schwierig. Die Not der Bevölkerung wächst und eine Anti-Wiedervereinigungs-Terrorgruppe namens “Die Sekte” macht der Übergangsregierung schwer zu schaffen. Die daraufhin ins Leben gerufene Spezialeinheit schafft es die Terroristen im Zaum zu halten, ist aber der Staatssicherheit ein Dorn im Auge, da diese einen Machtverlust fürchtet. Bei dem jüngsten Einsatz unter der Führung von Leutnant Lim (Gang Dong-won, The Priests) kommt ein minderjähriges Mädchen ums Leben und die Spezialeinheit gerät zusehends in die Kritik. Die Staatssicherheit nutzt die Gelegenheit und missbraucht Lim als Sündenbock. Sie setzt Lee Yun-hee (Han Hyo-joo, Cold Eyes), die Schwester des toten Mädchens, auf Lim an, um ihm eine Falle zu stellen und die Spezialeinheit auf diese Weise ins Verderben zu locken.
Zukunftsvision eines Klassikers
Illang: The Wolf Brigade ist die Adaption des einflussreichen Anime-Klassikers Jin-Roh von Mamoru Oshii (Ghost in the Shell), welcher wiederum auf dem Manga Kerberos Panzer Cop basiert. Es ist die dritte Realverfilmung, die der Kerberos-Saga gegönnt wird, neben The Red Spectacles (1987) und StrayDog: Kerberos Panzer Cops (1991). Ursprünglich in einem alternativen, von Nazi-Deutschland beherrschten Japan der 50er angesiedelt, wurde die Geschichte für Illang in das Korea des Jahres 2029 verfrachtet.
Der Wolf als Hauptakteur
Originaltitel | Illang |
Jahr | 2018 |
Land | Südkorea |
Genre | Thriller, Action, Science-Fiction |
Regisseur | Kim Jee-woon |
Cast | Lim Joong-kyung: Gang Dong-won Lee Yun-hee: Han Hyo-joo Jang Jin-tae: Jung Woo-sung Han Sang-woo: Kim Mu-yeol Rotkäppchen: Shin Eun-soo |
Laufzeit | 138 Minuten |
FSK |
Illang startet mit einem vielversprechenden Intro. Mithilfe dynamischer Standbilder und eines düsteren Streicherapparats wird der geschichtspolitische Kontext erklärt. Die Spezialeinheit genießt zu Beginn noch eine effektvolle Inszenierung. Sie wird nie wirklich gezeigt, sondern über Gespräche anderer charakterisiert, was ihr einen gewissen Mysteryfaktor verleiht. Sobald die Spezialeinheit jedoch in kompletter Montur die Szenerie betritt, wird ihre Aura von dem überraschend schwachen Kostümdesign zerschlagen – überraschend deshalb, weil die Szenerie von Illang bis zu dem Moment qualitativ absolut bemerkenswert ist. Dagegen wirkt die Kampfmontur in den Film eingestanzt wie gelecktes Plastik und hat nichts Martialisches an sich. Und als wüsste Regisseur Kim Jee-woon um diese Schwäche, kommt die prominente Uniform der Kommandos die nächsten 80 (!) Minuten auch nicht mehr vor. Das Wesen und die Historie der Spezialeinheit (bzw. der Wolfsbrigade) werden außerdem etwas zu melodramatisch in Szene gesetzt. Eine schreckliche Fehlentscheidung führte dazu, dass die gesamte Einheit entmenschlicht wurde und fortan nur noch mit Masken umherläuft. Die Wolfsmetapher und das damit einhergehende Dilemma werden dem Zuseher plakativ vor die Nase gehalten.
Mehr Politik als Action
Dem Trailer zum Trotz ist Illang ein relativ ruhiger Film, der viel Zeit für die Etablierung der politischen Quertreibereien aufbringt. Action-Einlagen gibt es im Grunde nur drei, die dafür umso ausgeprägter und ansehnlicher geraten sind. Der Schwerpunkt auf den Ränkespielen ist ein Schwachpunkt, da nach der Hälfte der über zwei Stunden Filmlaufzeit sowieso schon klar ist, wer gewinnen wird (vorausgesetzt man hat ein bisschen aufgepasst). Das komplexe Gebilde um Regierung, Polizei, Staatssicherheit, Wolfsbrigade und die Sekte lässt sich vergleichsweise leicht entwirren. Der große Clou am Ende zieht nicht, da es offensichtlich ist, dass es so kommt. Und dennoch muss man noch eine ganze Zeit vor der Flimmerkiste zubringen, bis die Credits über den Bildschirm rollen. Man hätte die Ränkespiele besser, anders und straffer verpacken können.
Was wäre der Wolf ohne ein Rotkäppchen
Neben den politischen Machenschaften geht es vor allem um die junge Frau Lee Yun-hee. Lee wird recht schnell als potentieller Love Interest vorgestellt, wirkt dabei aber bei weitem nicht so entrückt wie es das Original vorgibt. Vielmehr wird sie als liebreizende Schönheit präsentiert, die zu Musik von Enya (lol) heimliche Blicke zu Lim wirft. Insgesamt wirkt sie greifbarer als in der Vorlage und ihre Motivationen sind klarer. Lee ist eine haltlose Seele, die von der Staatssicherheit unter Druck gesetzt wird, dabei will sie dem ganzen Höllenpfuhl einfach nur entkommen. Damit bildet sie den (einzigen) emotionalen Schwerpunkt des Films. Lim dagegen wirkt in seiner ganzen Performance wie ein Steinklotz. Der intensive Konflikt im Inneren des Wolfes kommt nur schwerlich zum Ausdruck. Wo Lee manchmal zu theatralisch agiert, fehlt es Lim an Gefühl.
Illangs Schauwerte
Was man dafür umso besser bestaunen kann, sind die Kulissen der Stadt Seoul. Der Set-Designer hat für seine Zukunftsvision durchweg kultige Schauplätze geschaffen. Die markante Kanalisation, die den Film ein- und ausleitet, der kreisrunde Trainingskomplex der gleichzeitig als Schafott dient, dreckige Verhörräume mit Pissoirs als Möbel, die Märkte, Spielhallen, Bushaltestellen, mal verregnet, mal im kalten Sonnenlicht, und immer perfekt eingefangen und ausgeleuchtet. In Sachen Kulissen, Style, Lichtspiele, Visual Effects und Kamera brilliert Illang und zeigt eine sehenswerte und organische Neon Noir-Version der Stadt Seoul. Unbegreiflich also, warum der Film dann gerade bei den Kostümen der namensgebenden Wolfsbrigade seine Stilsicherheit verliert.
Fazit
Das größte Problem von Illang: die Richtung, in die der Film geht. Es ist weder ein überragender Action-Titel (dafür gibt es zu wenig Action), noch ein guter Thriller (dafür hält die Verschwörung den Zuseher nicht lange genug bei Stange), noch ein gutes Drama (dafür sind die Figuren nicht feinsinnig genug ausgearbeitet). Als Fan des Anime freue ich mich trotzdem über jedes Stückchen Soundtrack und jede Szene, die es aus dem Original in die Verfilmung geschafft haben. An den Schauwerten von Illang kann ich nicht rütteln – handwerklich sieht man dem Film sein Budget in jeder Szene an. Das Ding ist, dass sich Regisseur Kim für ein komplett anderes Ende entschieden hat. Der Anime hat damals ein klaffendes Loch in meiner Brust hinterlassen, aufgrund dessen er sich auf ewig in meine Top-Liste eingebrannt hat. Bei Illang erwartet uns im Finale eine andere, beinahe versöhnliche Aussage. Ein Jammer: So eine schöne Produktion und dennoch geht das ganze Potential flöten. Fazit: Illang: The Wolf Brigade ist als Zukunfts-Action-Titel mit dystopischer Note ein solides Machwerk, als Anime-Live-Action-Film over the top und als Vertreter des Jin-Roh-Spirits miserabel. Meinen Spaß hatte ich trotzdem.
© Netflix