Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

“In der Stadt der Drachen, hihi haha hoho, da gibt es nichts zu lachen, hihi haha hoho…”
Für einige Generationen deutscher Kinder hieß der erste, schrecklichste und gefährlichste Drache ihres Lebens Frau Mahlzahn. Frau Mahlzahn war nicht nur Drache, sondern auch die gemeinste Lehrerin der Welt und sie hauste in Michael Endes Kinderbuchklassiker Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer aus dem Jahr 1960, einer Geschichte mit Prinzessinnen und Piraten, fernen Ländern und fantastischen Landschaften, mutigen Lausbuben, freundlichen Riesen und eben Drachen, mal bedrohlich, mal niedlich, mal voller Weisheit. Dank der einprägsamen Buchillustrationen und der Adaption durch die Augsburger Puppenkiste aus dem Drei-Programme-Fernsehen der Sechziger und Siebziger Jahre weiß jeder, wie Frau Mahlzahn und ihre Welt auszusehen haben. Nun hat sich eine deutsche Filmproduktionsfirma daran gemacht, dieses deutsche Kulturgut in die Zeit von CGI zu hieven.

    

Die Insel Lummerland. Berge: zwei. Dampflokomotiven: eine. Könige: einer, Untertanen:  drei, davon Lokomotivführer: einer. Bis der Postbote ein Irrläufer-Paket abliefert, in dem ein schwarzes Baby liegt, das von den Bewohnern Lummerlands herzlich aufgenommen wird und den Namen Jim Knopf erhält. Als Jim im besten Jungs-auf-Abenteuerfahrt-Alter ist, beginnt der König, sich wegen der Bevölkerungsdichte seines kleinen Reichs Sorgen zu machen und beschließt, die Dampflokomotive Emma abzuschaffen, damit auf dem Inselchen mehr Platz für den fünften Bewohner geschaffen wird. Das hält Lokomotivführer Lukas nicht aus. Er bastelt seine Emma zu einem Wasserfahrzeug um und segelt aufs weite Meer hinaus, begleitet von Jim, der es ohne seinen väterlichen Kumpel und Emma nicht in Lummerland aushält. Ein Sturm spült sie an die Küste eines asiatischen Phantasielandes namens Mandala, dessen Kaiser um seine verschwundene Tochter trauert. Nach einem Rundumblick auf die Wunder Chinas/Mandalas, allerlei Auseinandersetzungen mit intriganten Hofschranzen und etwas Detektivarbeit haben Jim und Lukas ein Ziel vor Augen: Die von Piraten entführte und in die Stadt der Drachen verkaufte Prinzessin Li Si aus den Klauen der Käuferin Frau Mahlzahn zu befreien. Ihr Weg führt sie durch transparente Wälder, Gebirgspässe voller gefährlicher Echos, Wüsten mit Luftspiegelungen, düstere Felsenschluchten, Vulkanlandschaften, bewohnt von putzigen Halbdrachen, bis zur Stadt der Drachen. Dort finden sie die Drächin Frau Mahlzahn, die entführte Kinder aus aller Welt ankauft, um eine Schule des Schreckens zu betreiben, in der die Unkenntnis des Einmaleins mit Rohrstock und Schimpfkanonaden bestraft wird. Frau Mahlzahn wird besiegt, die Kinder befreit und mit der gefesselten Frau Mahlzahn im Schlepptau fahren sie auf einem unterirdischen Fluss zurück nach Mandala. Dort eröffnet ihnen Frau Mahlzahn, die durch ihre Niederlage von ihrer Bosheit erlöst und zum goldenen Drachen der Weisheit wird, dass sie eine kleine schwimmende Insel finden werden, quasi als Anbau an Lummerland, sodass Jim, Lukas und Emma nach Lummerland zurückkehren können. Jim und Li Si verleben glückliche gemeinsame Wochen auf Lummerland und fragen sich, ob sie wohl noch mehr Abenteuer erleben werden.

Eine Insel mit zwei Bergen…

Wie bringt man einen Klassiker auf die Leinwand? Zumal einen, dessen Bilderwelt schon so fest in den Köpfen verankert ist. Einerseits durch die Buchillustrationen von Franz Josef Tripp, der auch Otfried Preusslers Räuber Hotzenplotz illustrierte. Andererseits durch die von großen Kino so meilenweit entfernte Welt der Augsburger Puppenkiste, mit ihrem Meer aus blauer Plastikplane, ihren Kulissen aus Pappmaché und ihren selbstgebastelt wirkenden Marionetten an Fäden. Da reichte noch ein Klappmaul, ein bisschen grüner Stoff und ein paar Büschel Kunstpelz für einen Drachen, der Kinder an der Mattscheibe kleben ließ. Bleibt man zu sehr an der Vorlage, gibt es nichts Neues zu sehen. Bewegt man sich zu weit weg, schreien die Fans auf, weil sie ihr Lieblingswerk darin nicht mehr wiederfinden. Die Jim Knopf-Verfilmung von 2018 bleibt auf der sicheren Seite und liefert genau das, was alle kennen und lieben. Nur ein bisschen größer, bunter und mit CGI. Lummerland 2018 sieht immer noch aus wie eine Modelleisenbahn-Landschaft, aber mittlerweile nicht mehr wie eine, die im Hobbykeller verstaubt, weil Opa kaum noch daran bastelt, sondern wie etwas, das in einem Themenpark stehen könnte. Tut es übrigens bereits. Im Filmpark Babelsberg kann man zurzeit die Lummerland-Kulisse besichtigen und im Europapark können die kleinsten Gäste auf Emma durch Lummerland fahren.

Altbekanntes, behutsam entstaubt

Originaltitel Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
Jahr 2018
Land Deutschland
Genre Abenteuer, Fantasy, Kinderfilm
Regisseur Dennis Gansel
Cast Jim Knopf: Solomon Gordon
Lukas der Lokomotivführer: Henning Baum
Frau Waas: Annette Frier
König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte: Uwe Ochsenknecht
Herr Ärmel: Christoph Maria Herbst
Prinzessin Li Si: Leighanne Esperanzate
Kaiser von Mandala: Kao Chenmin
Herr Tur Tur: Milan Peschel
Nepomuk: Michael Bully Herbig (Synchronstimme)
Frau Mahlzahn: Judy Winter (Synchronstimme)
Laufzeit 110 Minuten
FSK

Auch was Handlung und Figuren angeht, bleibt der Film ganz nah an der Vorlage. Alle sind sie da, König Alfons, der Viertel-vor-Zwölfte und Herr Tur Tur, der Scheinriese, Frau Waas und Nepomuk, der Halbdrache – alle haben ihren Moment im Rampenlicht und bei keinem bekommt man Fremdheitsgefühle. Hier und da wird die Handlung ein wenig gestrafft und Michael Endes Detailverliebtheit durch CGI-Bildgewalt ausgeglichen. In Lummerland werden ein paar kleine Comedy-Elemente eingefügt, wie z.B. die Neigung des Königs zu wortverdrehten Sätzen oder ein paar Gags mit Flüssigkeiten, wie Babypipi oder Matschepampe. Schließlich wollen Uwe Ochsenknecht und Christoph Maria Herbst auch ein wenig etwas zum Schauspielern haben. In Mandala, Michael Endes liebevoll ausgemaltem, aber mittlerweile etwas peinlichem Phantasie-China, wo Figuren Pi Pa Po oder Ping Pong heißen und kandierte Regenwürmer und Eidechsenmilch als Delikatesse betrachten, werden die angejahrten China-Klischees auf ein erträgliches Maß reduziert. Dafür ist der kleine Ping Pong wirklich winzig und leiert seinen Text zwar altersbedingt dilettantisch, aber unglaublich süß herunter. Und es tut der Produktion gut, dass all die Phantasie-Chinesen durch asiatische Darsteller verkörpert werden, die mit leichtem Akzent Deutsch sprechen.

Drachen: Von Plüschtieren an Fäden zu CGI-Wesen

Der erste Drache des Films ist eine Hommage an die Puppenspiel-Wurzeln des Stoffs, der Schattenriss eines bedrohlichen Monsters, der sich als Schattentheater des so gar nicht bedrohlichen Halbdrachen Nepomuk herausstellt. Nepomuk hat von seiner Mutter, dem Nilpferd, einen runden Kindchenschema-Schädel geerbt und ist so knuffig, wie man ihn schon immer vor Augen hatte. Wahrscheinlich gibt es ihn demnächst als Plüschtier zu kaufen. Drache Nummer 2 ist der Torwächter-Drache in der Drachenstadt, der die als Drachenfrau verkleidete Emma recht derb anflirtet. Schön gemacht, wie er so klassisch Stück für Stück ins Bild kommt. Erst eine Klaue. Dann ein gleitender Drachenschwanz. Dann ein Echsenauge mit sich zusammenziehender Pupille. Und dann erst der ganze Drache, der gar nicht mehr nach Puppentheater aussieht, sondern wie ein solide designter Kino-Drache des 21. Jahrhunderts, mit Hörnern und Schuppen, der fliegen und Feuer spucken kann. Drache Nummer 3 muss das noch einmal toppen und macht es wieder anders. Frau Mahlzahn ist handlungsbedingt ein sehr menschenähnlicher Drache. Sie muss nicht Feuer spucken, um bedrohlich zu wirken, aber wehe dem Kind, das nicht weiß, was 7 mal 8 ist. Darum hat man sich hier dafür entschieden, sich stark an die Buchillustration zu halten. Lange Schnauze, magerer Oberkörper, dicker Bauch, aufrechter Sitz, fieser Blick. Dazu eine eindrucksvolle Stimme, die alle schlimmsten Schulerinnerungen heraufbeschwört. Fertig ist die boshafteste Mathelehrerin der Welt. Und es funktioniert.

Insgesamt liefert der Film solides Handwerk ab. Es gibt kaum Überraschungen, aber die will man in einer Klassikerverfilmung ja ohnehin nicht haben. Der Film bleibt nah und detailverliebt an der Vorlage und erlaubt sich höchstens, sie ein wenig zu straffen und zu entstauben. Die große Leinwand und das CGI stehen Michael Endes phantastischen Welten erstaunlich gut und die Figuren und die Atmosphäre der Vorlage sind adäquat eingefangen. Für mich war der Film ein Moment der Erleichterung. Ich hatte versucht, mal wieder in die Augsburger Puppenkiste hineinzuschauen, in der Hoffnung, die Magie des Plastikplanen-Meers wiederzufinden und es ging gar nicht. Diese betulichen Dialoge, dieser süddeutsche Bühnenakzent, diese verstaubten sexual Politics. Manchmal führt einfach kein Weg zurück. Time to say good bye, Jim Knopf. Und dann ging ich ins Kino und stellt fest, dass ich Jim Knopf doch noch anschauen konnte, zwar nicht mit Begeisterung, aber doch mit dem Gefühl, einen alten Bekannten wieder getroffen und mich nett unterhalten zu haben. Ja, und die Drachen waren okay.

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wasabi

wasabi wohnt in einer Tube im Kühlschrank und kommt selten heraus.

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Ayres
Redakteur
17. Mai 2018 15:56

Ich frage mich ja wirklich immer, wie Leute um die 40 rum zu solchen Remakes stehen. Also gerade, wenn typisches Kulturgut verändert oder neu aufgelegt wird. Da werden einige Nostalgiker sicherlich auf die Barrikaden gehen.

Iruka
Iruka
31. Dezember 2018 14:16

Bei Gelegenheit möchte ich den Film einmal sehen. Früher habe ich ab und zu die Zeichentrickserie geschaut und fand sie auch recht unterhaltsam. Ins Kino hatte ich es nicht mehr geschafft, aber Emma fährt mir ja nicht weg. 😉

chianna
Redakteur
14. Januar 2019 19:17

So, nun habe ich den Film auch gesehen. Und ich muss sagen, für Kinder ist er fein gemacht, nach einem betulichen Anfang allerdings ganz schön hastig erzählt. Aus meiner Erwachsenensicht kann er den Charm des Buches nicht einfangen. Allein schon die Protagonisten bleiben recht platt, Identifikationsmöglichkeiten gehen gegen Null. Das ist besonders schade, weil Jim und Lukas ein dynamisches Duo hätten sein könnten. Aber der gefühlt dauerlächelnde Henning Baum wirkte auf mich nur langweilig, während Solomon Gordon erst im Zusammenspiel mit den anderen Kindern so richtig aufzuleben schien. Da reichten mir auch keine netten Szenen im Führerstand, auch wenn ich es eine gute Lösung fand, Jim auf dieser Fahrt langsam immer älter werden zu lassen. Die Situationen reihten sich aneinander, ohne wirkliche Höhepunkte zu bieten, und mitunter wirkte das eine oder andere etwas hineingequetscht; hier fehlte mir der Mut zum Cut. Was den Kinonachmittag für mich gerettet hat, war die Diskussion darüber, wie sich Lummerland wirtschaftlich überhaupt halten kann bei einem König (in einer Demokratie), einem Beamten, zwei Untertanen und einer sinnlosen Eisenbahn…