John Wick: Kapitel 4
2014 kommt auf der Leinwand ein kleiner Hund zu Tode und sein Herrchen nimmt blutige Rache. Obwohl diese schlichte Geschichte schnell zu Ende erzählt ist, ballert sich der Hundehalter und Ex-Auftragsmörder John Wick (Keanu Reeves, Matrix) seitdem von Film zu Film. Weil es gar so schön anzusehen ist, wie der Mann im schwarzen Anzug sich durch eine immer phantastisch-barocker werdende Welt der weltweit organisierten Assassinen kämpft, von einer spektakulären Kampfchoreographie zur nächsten. Und so liefert Regisseur Chad Stahelsky (Matrix) mit John Wick: Kapitel 4, genau das, was Fans der ersten drei Filme so lieben: satte 169 Minuten Kampfkunst, karge Dialoge und hochgestylte Kulissen rund um die Welt. Seit dem 23. Februar in unseren Kinos.
John Wick ist immer noch auf der Flucht vor der hohen Kammer, dem Leitungsgremium der weltweiten Assassinen-Organisation, die er mit seinen blutigen Alleingängen in den vorigen drei Filmen so nachhaltig vergrätzt hat. Und da er ihr Oberhaupt, den Ältesten, in der marokkanischen Wüste über den Haufen geschossen hat, schickt die hohe Kammer einen neuen Gegner in den Ring, den französischen Aristokraten Marquis de Gramont (Bill Skarsgard, Eternals). Der knöpft sich erst einmal Johns Weggefährten Winston (Ian McShane, American Gods) vor. Die Aufmerksamkeit des Marquis kostet Winston seine Stellung, sein Hotel und seinen Concierge. Doch John Wick ist in einem anderen Assassinen-Hotel, dem Hotel Continental Osaka untergetaucht, wo ihn der Marquis alsbald aufspürt. Hotelmanager Koji Shimazu (Hiroyuki Sanada, Last Samurai) versucht, John Wick zu schützen, kommt aber nicht gegen den vom Marquis entsandten blinden Killer Caine (Donnie Yen, Ip Man) und seine Schergen an. John Wick muss weiter fliehen. Soll das immer so weitergehen? Winston weiß eine Lösung: Man könnte von der hohen Kammer ein Duell Mann gegen Mann einfordern und so den Fall zu einem Ende bringen. Das können jedoch nur Mitglieder von Assassinen-Familienclans und John Wicks Familie, die Ruska Roma, hat ihn ausgestoßen. Also muss John Wick nach Berlin reisen, um mit den Ruska Roma seine Wiederaufnahme in die Familie verhandeln, bevor er dem Marquis im Duell gegenübertreten kann.
Immer mehr coole alte Säcke
Originaltitel | John Wick: Chapter 4 |
Jahr | 2023 |
Land | USA |
Genre | Action, Neo-Noir |
Regie | Chad Stahelski |
Cast | John Wick: Keanu Reeves Caine: Donnie Yen Marquis de Gramont: Bill Skarsgard Koji Shimazu: Hiroyuki Sanada Winston: Ian McShane The Bowery King: Laurence Fishburne Akira: Rina Sawayama Tracker: Shamier Anderson Charon: Lance Reddick |
Laufzeit | 169 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 15. September 2023 |
Möchte mal wieder jemand auf Keanu Reeves’ mangelnde Mimik hinweisen? Das gehört so. Zumindest, was John Wick angeht. In anderen Rollen kann Reeves vielleicht auch anders, zu John Wick gehören steinerne Gesichtszüge und in Marmor gehauene Ein-Wort-Sätze, das macht nun schon zum vierten Mal die Coolheit des Manns im schwarzen Anzug aus. Da die Welt von John Wick stetig gewachsen ist, stehen dem 58-jährigen Keanu Reeves nun eine ganze Reihe von Altersgenossen zur Seite, die alle jeweils auf ihre individuelle Weise Coolheit, Präsenz und Pose können. Manche brauchen nur ein paar Textzeilen dafür: Ian McShane (80), der nicht ganz vertrauenswürdige Hotelier Winston. Oder Laurence Fishburne (61, (Matrix), als theatralischer Obdachlosen-König. Andere können außerdem auch kämpfen und bekommen deshalb eine Extraportion Aufmerksamkeit. Hiroyuki Sanada (62) bringt das Erbe unzähliger Samuraifilme mit und Donnie Yen (59) gibt einen Klassiker des Genres, den blinden Kampfkunstmeister. Kann man blind kämpfen, so in echt? Nein. Kommt es überzeugend rüber? Oh, ja. Angesichts dieser imposanten Altherrenriege schien es vielleicht eine pfiffige Idee, den Antagonisten mit einem jungen, unverbrauchten Gesicht zu besetzen. Bill Skarsgard (32) gibt sich als Marquis de Gramont alle Mühe, diabolisch, arrogant und skrupellos zu wirken, verblasst aber leider angesichts der geballten Leinwandpräsenz eines halben Dutzends alter Hasen.
First, we take Manhattan, then we take Berlin
Der erste Teil war noch ein New York-Film. Zwar ein überhöhtes, phantastisches New York, aber da gab es noch so profane Orte wie Einfamilienhäuser oder Tankstellen. Mittlerweile ballert sich John Wick durch die ganze Welt, aber er begibt sich nicht mehr an Orte des grauen Alltags. Ein Schauplatz ist sehenswerter als der andere. Die jordanische Wüste, Japan, Berlin, Paris. Alles perfekt farbig ausgeleuchtet und auf seinen Schauwert reduziert. Osaka, das sind rosa Kirschblüten, rotes Neonlicht und ein Saal mit Vitrinen voller Japan-Artefakte. Paris ist Gold und Stuck, bunte Törtchen und klassische Touristenziele: Arc de Triomphe, Sacre Coeur. Merkwürdig wird es, wenn eine Stadt vorkommt, die man selber kennt. Berlin ist die Museumsinsel und ein Techno-Club mit dem Charme alter Industriebauten. Ja, okay. Aber ein voll angesagter Technoclub in Industrie-Optik AUF der Museumsinsel? Na, ob da nicht in den nächsten Jahren so mancher ahnungslose Backpacker herb enttäuscht werden wird? Aber das ist nicht der Punkt, es ist keine Doku. Der gepiercte, tätowierte Kleindarsteller, der John Wick mit den Worten “Ich bin Klaus!” in die Fresse hauen darf, ist im richtigen Leben wohl Türsteher im Berghain, aber das Berghain wird kaum Wasserfälle als Deko haben. Man mag sich wundern, warum die Statisten ungerührt weiter tanzen, wenn zwischen ihnen gekämpft wird. Sind die Berliner Clubgänger so abgebrüht? Andererseits, warum sollten sie nicht weitertanzen, wenn der Dünne in Schwarz und der Dicke in Violett genau das tun? Miteinander tanzen? Wo schon die vorigen drei Teile klar gemacht haben, dass Kampfchoreographie und Ballett ganz nah beieinander liegen. Hier nochmal ganz deutlich. Und eine große Tanznummer braucht eine angemessene Kulisse.
Guided by the Beauty of our Weapons
Es ist bemerkenswert, wie konsequent sich John Wick: Kapitel 4 vom Konzept Handlung verabschiedet. Denn das Grundgerüst des Films “Fordere ein Duell, beantrage zuvor deine Wiederaufnahme in die Familie” hat ungefähr so viel Feuer wie “Als ich mein Auto ummelden wollte und den Fahrzeugschein nicht finden konnte”. Nur dass das noch niemand verfilmt hat. Der erste Teil mit seinem Racheplot hatte noch einen emotionalen Grundkonflikt. Der vierte Teil hat das nur in Spurenelementen, da dient der Plot einzig und allein dazu, Ordnung in den Ablauf zu bringen, neue Schauplätze einzuführen, für den richtigen Rhythmus zwischen Kampfszenen und Ruhemomenten zu sorgen. Wer sich eine Oper oder klassisches Ballett anschaut, tut das ja auch nicht, weil die Geschichte so spannend ist. Sondern weil er Gesang oder Tanz der Spitzenklasse erleben will. Wer hat behauptet, bei Actionfilmen ginge es nur um Gekloppe? Der hat Recht, zumindest, was John Wick: Kapitel 4 angeht. Aber der Film serviert Gekloppe als Kunst, so perfekt und ästhetisch wie nur möglich. In immer neuen Variationen. Pfeil und Bogen hatten wir noch nicht. Autos auch nicht, zumindestens nicht in der Maße und auf dem Kreisverkehr um den Arc de Triomphe. Spannung, Logik? Egal, so lange es nur gut aussieht. Handfeuerwaffe plus Nahkampf sieht immer wieder gut aus, das haben drei Teile bereits etabliert. Katanas sehen immer wieder gut aus, für die entsprechenden Bilder kann man auf ein ganzes Genre zurückgreifen. Die Dialoge tun ihr übriges, die Künstlichkeit zu erhöhen. Denn Emotionen oder Spannung transportieren müssen sie ja nicht. All diese Zitate und Foreshadowings, all dieses kokette “ja, wir wissen was wir hier tun”. John Wick ist eine Figur, mit der eigentlich vom Entwicklungsstandpunkt aus nichts mehr anzufangen ist, weil er nichts hat, wofür er leben, sterben oder morden müsste? Na, diese Erkenntnis aus dem Drehbuch-Meeting packen wir doch in eine Dialogzeile! Zum Glück wird es nicht geschwätzig, sonst könnte das schnell anfangen, das imposante Bild zu stören.
Fazit
John Wick: Kapitel 4 stellt seine Kernkompetenz, Kampfchoreographien, in den Mittelpunkt und macht daraus Kunst, mit einer Konsequenz wie man es sonst nur aus hochästhetischem Arthouse-Kino oder aus der Oper kennt. Wer mit der Gleichung Kampf = Kunst nichts anfangen kann, der wird sich 169 endlose Minuten ärgern und langweilen. Wer sich darauf einlassen kann, große Posen, knappe Sätze und Neo-Noir-Coolness mag und immer wieder schön findet, hat 169 Minuten großartige Bilder vor sich und höchstens ein wenig Überdruss ob all des verschwenderisch ausgebreiteten Eye Candy und der bisweilen allzu eitlen Selbstbespiegelung.
© Leonine Distribution
Veröffentlichung: 15. September 2023