Knocking
Skandinavische Krimis. Da sind die Figuren spröde und wortkarg, die Dialoge knapp, die Schauplätze trist und die Stimmung bedrückend. Ein Klischee? Genau zwischen diesen Eckpunkten siedelt die schwedische Regisseurin Frida Kempff (Winter Buoy) ihren kleinen, feinen Genrefilm Knocking an. Der Psychothriller um rätselhafte Geräusche in einem Wohnblock und eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs ist auf dem Fantasy Filmfest 2021 zu sehen.
Molly (Cecilia Milocco, Zirkel) hat längere Zeit in der Psychiatrie verbracht. Möglicherweise hat ein schwerer Schicksalsschlag sie aus der Bahn geworfen, denn da sind diese Erinnerungsbilder an eine Frau, die sich am Strand mit einem Küsschen auf die Wange und den Worten “Ich geh dann mal schwimmen” verabschiedet und nie wieder zurückkehrt. Nun muss Molly einen Weg zurück ins normale Leben finden. Erster Schritt: eine eigene Wohnung in einem unscheinbaren 60er Jahre-Wohnblock am Rand der Stadt. Die Nachbarn sind durchaus höflich, aber nicht herzlich, soziale Kontakte entwickeln sich dort nicht. Molly gibt sich alle Mühe, es sich in dem gesichtslosen Wohnblock gemütlich zu machen, doch etwas irritiert sie: ein Klopfen, das von oben kommt. Keiner der Nachbarn will etwas gehört haben. Auch die Polizei fühlt sich nicht zuständig. Ist das Klopfen vielleicht eine Botschaft? Ein Hilferuf? Oder steigert sich die psychisch labile Molly in Wahnvorstellungen hinein?
Vertrautes Terrain
Originaltitel | Knackingar |
Jahr | 2021 |
Land | Schweden |
Genre | Thriller |
Regie | Frida Kempff |
Cast | Molly: Cecilia Milocco Peter: Krister Kern Per: Albin Grenholm Kaj: Ville Virtanen Atif: Alexander Salzberger |
Laufzeit | 78 Minuten |
FSK | unbekannt |
Titel im Programm des Fantasy Filmfest 2021 |
Seit Alfred Hitchcocks Fenster zum Hof weiß man, wie so ein Film funktioniert. Da beobachtet jemand etwas. Es könnte ganz harmlos sein, es könnte aber auch auf ein finsteres Geheimnis hinweisen. Doch niemand will dem Zeugen oder auch der Zeugin glauben. Eine Vorgabe, aus der man eine Menge herausholen kann. Geht es um ein Verbrechen? Ist das Übernatürliche im Spiel? Oder geht es um psychische Probleme, ist alles nur Einbildung, Wahnvorstellung, Halluzination? Soll da jemand gezielt in den Wahnsinn getrieben werden? Aber so vielfältig die Lösungsmöglichkeiten sind, sie sind begrenzt. Mit rechten und linken Maschen kann man eine Menge Muster stricken, aber am Schluss kommt meistens ein Schal heraus. Oder auch eine Socke, aber niemals ein Kühlschrank. Knocking macht da keine Ausnahme. Wer von den wortkargen Nachbarn hat ein finsteres Geheimnis? Der zugeknöpfte Herr? Der ungläubige Polizist? Der allzu hilfsbereite Hausmeister? Das Pärchen, das einen lautstarken Beziehungskrach austrägt, bis der Mann die schreiende, sich sträubende Frau ins Haus zerrt? Ist das, was Molly wahrnimmt und erinnert, überhaupt die Realität? Wenn nicht, was dann? So einige Lösungsmöglichkeiten werden ausprobiert und wieder verworfen, bis die finale Auflösung kommt. Die ist hübsch verschränkt gearbeitet, mit einem Twist in die eine Richtung und so im Nachgang noch in eine ganz andere. Aber überraschend ist sie nicht.
Die Hauptdarsteller: Eine Frau, ein Haus und drei Farben
Ein Haus mit Geheimnis. Na klar. Aber das Haus, in das Molly einzieht, ist kein viktorianisches Gruselgemäuer mit Spinnweben, knarzenden Dielen und Geheimgängen. Es ist ein denkbar banaler Wohnblock, kantig, zweckmäßig, so geheimnislos wie ein Ikea-Regal. Wenn etwas die Normalität symbolisiert, in die Molly zurückkehren will, dann so ein Klotz aus den 60ern. Von außen. Von innen sieht es ganz anders aus. Kränkliches Grün zu Neonlicht. Stumpfes Rot und schwelendes Bernsteingelb in Mollys Wohnung, wo wegen der sommerlichen Hitzewelle stets die Fenster verhängt sind. Dass diese Farben den Film dominieren werden, sieht man schon in der ersten Einstellung. Aus der Vogelperspektive schaut die Kamera auf einen Strand, wo alle Badegäste auf weißen Handtüchern liegen. Nur Molly und ihre Liebste liegen auf Tannengrün und Weinrot. Später machen diese Farben die kleine Sozialwohnung zu Mollys Seelenlandschaft. Denn eigentlich geht es weniger um Verbrechensaufklärung, sondern um die Achterbahnfahrt der Gefühle, die Molly durchlebt. Starke Schauspielleistung von Cecilia Milocco.
Fazit
Wer von einem Genrefilm erwartet, dass er ganz Neues, Ungeahntes auf die Leinwand bringt, wird an Knocking keinen Spaß haben. Wer sich daran erfreuen kann, wie bekannte Elemente gekonnt eingesetzt werden, vertraute Handlungsverläufe angerissen, durchgespielt und zu einem gelungenen, wenn auch nicht originellen finalen Doppel-Twist zusammengeführt werden, der kommt bei diesem Film voll auf seine Kosten. Wen es anödet, wenn die Kamera sich vor allem mit Farbspielen und dem Gesicht der Hauptdarstellerin beschäftigt, der wird 78 Minuten lang warten, dass endlich was passiert, etwa dass Blut fließt. Wer Farbspiele auf der Leinwand liebt, der hat viel zu schauen. Wer es faszinierend findet, wie sich auf Cecilia Miloccos Gesicht Misstrauen, Wut, Angst, Verzweiflung wiederspiegeln und jegliche Jump -Scares überflüssig machen, der wird jede Minute lieben.
© Bankside Films
Ein langsamer Film, der sich viel Zeit für seine Hauptfigur nimmt. Zwischen Molly und den Zuschauer:innen bleibt immer viel Distanz, obwohl man ihr im Grunde auf Schritt und Tritt folgt. Das ist auch der Punkt, aus dem wohl der größte Anreiz des Films zehrt: Molly ist eine unzuverlässige Erzählerin und wir erfahren nicht, was nun real ist oder nur in ihrem Kopf stattfindet. Das Ergebnis ist ein intensives Kammerspiel, das an einigen Stellen zwar ziemlich vorhersehbar ist, aber nie langweilig wird. Das Auseinanderdriften aus Wahrnehmung und Wirklichkeit funktioniert auch deshalb so gut, weil man sich nie wirklich fallen lässt. Das gesamte Szenario ist einfach viel zu “unbequem”: Karges Mietshaus, ausgediente Möbel und trübe Lichtverhältnisse machen das Wohnen zu einem echten Albtraum.
Cecilia Milocco gibt eine tolle Performance als Leading Lady ab. Ich kaufe ihr den Abstieg in ihren ganz persönlichen Wahnsinn jeden Moment ab. Durch ihre Leistung ist der Film merklich besser als er es sonst im Grunde wäre. Nichts für jedermann und schon gar nicht so horrorhaft, wie man den Film verkaufen könnte. Die Dramatöne sind da viel tiefer, zeitweise nimmt Knocking sogar traurige Züge an.