Little Joe – Glück ist ein Geschäft
Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner (Amour Fou) ist vor allem auf Festivals zu Gast. Ihre Filme werden in Venedig und Cannes vorgestellt. Mit ihrem 2019er Titel Little Joe erhielt sie schließlich die Einladung zu den 72. Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Wettbewerb um die Goldene Palme. Der Film ist ein besonders exotisches Gemisch: Hier trifft der Kunstfilm auf unterschwelligen Horror. Denn im Mittelpunkt steht nichts Geringeres als eine Zuchtpflanze und die Wirkung, welche deren Pollen auf den Menschen haben. Wer Die Dämonischen von 1956 kennt, kann sich bereits ausmalen, in welche Richtung das geht. Für das Fantasy Filmfest 2019 wurde der Film als “Centerpiece” erkoren und kam im Januar 2020 schließlich regulär in deutsche Kinos.
Die Laborantin Alice (Emily Beecham, Berlin, I Love You) entwickelt Zuchtpflanzen. Sie stellt sich gegen den Trend, dass Blumen widerstandsfähiger sein müssen und dafür weniger duften. Ihre Schöpfung, die nach ihrem Sohn Joe (Kit Connor, Ready Player One) entwickelte “Little Joe”, entsendet einen Duftstoff, der den Menschen betört und ihm das Gefühl vermittelt, glücklich zu sein. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Chris (Ben Whishaw, London Spy) ist es ihre Aufgabe, “Little Joe” bis zur nächsten Blumenmesse zu optimieren. Zufrieden mit ihrer bisherigen Forschung, nimmt sie ein Exemplar mit nach Hause – unerlaubt, denn die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Nachdem sich der Hund der Laborantin Bella (Kerry Fox, Intimacy ) seltsam verhält, ist sich diese sicher, dass Alice’ Wunderwerk daran Schuld trägt …
Stilistisch eigensinnig
Originaltitel | Little Joe |
Jahr | 2019 |
Land | Großbritannien, Österreich, Deutschland |
Genre | Drama, Science-Fiction |
Regisseur | Jessica Hausner |
Cast | Alice: Emily Beecham Chris: Ben Whishaw Bella: Kerry Fox Joe: Kit Connor Ric: Phénix Brossard |
Laufzeit | 105 Minuten |
Veröffentlichung: 31. Juli 2020 |
Little Joe ist alles andere als ein einfacher Film. Die Regisseurin macht es dem Zuschauer so schwer wie möglich, Zugang zu ihrem Titel zu finden, technisch wie inhaltlich. Das visuelle Konzept setzt vor allem auf Sterilität. In den Laboren noch sehr gut nachvollziehbar, setzt sich dieses Konzept auch in den Außenaufnahmen oder an anderen Schauplätzen durch. Alle Elemente wirken stets sehr aufgeräumt. Jedes Bild unterliegt einer feinen Komposition und selbst die Kleidung der Figuren ist nicht einfach nur zufällig gewählt. Alice trägt in jeder Szene andere Luxuskleidung, bunt und auffällig, wie eben auch ihre kupferfarbenen Haare, die stets einen Kontrast bilden. Die satten Farben nehmen jegliches Gefühl von Natürlichkeit – und Emotion.
Verstörende Audio-Kompositionen
Während die Optik eine Eigenheit ist, an die man sich noch gewöhnen kann, wird es bei der musikalischen Durchführung so richtig extrem. Hausner überrascht hier mit atonalen Klängen japanischer Filme der 1970er! Klopfen, Tinnituspiepen und hohe Töne bohren sich ins Ohr des Zuschauers. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern permanent. Wann immer die Geschichte auch nur wenige Zentimeter voranschreitet, dröhnt einem der Overkill entgegen. Provokant und aufdringlich.
Ist Glück das höchste Gut?
Inhaltlich gibt sich Little Joe dabei völlig brav und unscheinbar. In weiten Stücken werden Kenner von Die Dämonischen die Struktur wiedererkennen. Die Regisseurin hält sich nicht lange mit wissenschaftlichem Background auf. Hinterfragen darf man hier nicht allzu viel und auch einzelne Motivationen bleiben verborgen. Ohnehin ist die Frage, was eigentlich nun das Thema ist. Alice, die ihre Kreation verteidigen muss? Die Wirkung von “Little Joe”? Die Frage, ob nicht alles nur Einbildung ist? Das Hinterfragen der Sinnhaftigkeit einer solch künstlichen Pflanze? Nur vage schreitet die Geschichte voran und die steifen Figuren bewegen sich skizzenhaft voran. Ohne jegliche Subtilität treiben die Charaktere die Story an und die Figur Bella scheint auch nur zu existieren, um dem Zuschauer Informationen zu liefern. So kann Bella sofort sagen, dass ihr Hund Bello anders sei. Und jenen Wortlaut nutzen ab sofort alle, welche die Wirkung Little Joes beschreiben. Das geschieht derart mit dem Holzhammer, dass sogar Alice ihre eiserne Verteidigung irgendwann nur noch überdenken kann.
Fazit
Little Joe ist sperriges Kunstkino, das einer breiten Masse niemals zugänglich werden wird. Das audio-visuelle Konzept bricht mit den Sehgewohnheiten, was zumindest dann lobenswert wäre, wenn der Plot erfrischend wäre. Egal, ob man den Film nun als Kopie betrachtet oder eigenständig wahrnimmt: Viel zu erzählen gibt es einfach nicht und die steifen Figuren besitzen nicht die Glaubwürdigkeit, um sie innerhalb ihrer Funktion ernst nehmen zu können.
© X Verleih AG
Seit dem 31. Juli 2020 im Handel erhältlich: