Lockdown Tower
Wir alle erinnern uns nur zu gut an den Beginn der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Lockdown. Damit sind wir Zeitzeugen einer Phase, über die man wohl auch noch in Jahrzehnten sprechen wird und die bis dahin auf viele unterschiedliche Wege und Methoden künstlerisch verarbeitet wird. Mit seinem Film Lockdown Tower trifft der französische Regisseur Guillaume Nicloux (Die Nonne) gewissermaßen schon einmal den Nerv der Zeit, indem er seine selbstgeschriebene Geschichte in einem Hochhaus ansiedelt, das urplötzlich von einer Leere umschlungen wird. Ein ganz simples Szenario, in das man sich nach den Erlebnissen der frühen 2020er bestens hineinfühlen kann. Der dystopische Horrorfilm eröffnete die Fantasy Filmfest White Nights 2023 und erscheint am 25. August 2023 auf Disc.
Ein Vorort von Paris: Der Sozialbau einer Wohnblock-Anlage ragt mit vielen Stockwerken in die Höhe. Die darin lebenden Bewohner:innen staunen nicht schlecht, als beim Blick aus dem Fenster eines Tages jedes Vorzeichen entfällt: Sie starren auf eine schwarze Wand und alles, was hindurch geworfen oder gestreckt wird, verschwindet oder wird säuberlich abgeschnitten. Die Internet- und Telefonverbindungen sind ebenso weg und jeder Versuch, sich ins Unbekannte zu stürzen, endet tödlich. Nun müssen sich die über viele Stockwerke verteilten Hausbewohner:innen auf eigene Faust durch einen neuen Alltag voller Isolation schlagen. Doch Vorräte werden knapp und der soziale Brennpunkt steuert auf eine Eskalation zu. Ganz auf sich gestellt und ohne Gesetz gilt von nun an das Recht des Stärkeren.
Mitten im Leben
Originaltitel | La Tour |
Jahr | 2022 |
Land | Frankreich |
Genre | Survival-Horror |
Regie | Guillaume Nicloux |
Cast | Assitan: Angèle Mac Ahmed: Hatik Chakib: Ahmed Abdel Laoui Nathan: Jules Houplain Anton: Bruni Makaya |
Laufzeit | 90 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 25. August 2023 |
Es grenzt an Plakativität, dass sich der eigentlich im Arthouse-Kino bewanderte Nicloux für seinen Survival-Horrorfilm ein Hochhaus inmitten der Unterschicht aussucht. Konflikte existieren somit entweder bereits oder lauern unter der Oberfläche und warten nur darauf, entfesselt zu werden. Alleine die sozialen Gefüge und das Zusammenleben unterschiedlicher Nationalitäten sorgt bereits dafür, dass die Grundsituation eine schwierige ist. Die Handlung folgt nur lose der vermeintlichen Protagonistin Assitan (Angèle Mac), lässt aber bald von ihr ab und sucht einfach immerzu den nächst(best)en Konflikt. Dass es sich um kein zivilisiertes Wohnhaus handelt, in dem man sich mit Worten und Argumentation Gehör verschafft, sei in dem Fall allerdings weder kritisiert noch negativ bewertet. Schließlich kommt genau das der Unterhaltung zu Gute und eine friedliche Lösung existiert nicht für eine unlösbare Situation. Der Zündstoff reicht aus, um den niedrigsten Instinkten freie Bahn zu lassen und in Raserei zu verfallen. Am Ende sind sie alle eben doch nur Menschen in einer Extremsituation.
Die Ausweglosigkeit schlägt mit voller Wucht zu
Es wäre ein Leichtes, den Film als Quarantänefilm einzuordnen. Mit einer Veröffentlichung im Frühjahr 2020 wäre die Nachfrage sicherlich sehr hoch gewesen. Tatsächlich sind es, obwohl es sich erzählerisch anbieten würden, nicht die Einzelschicksale, die hier bewegen. Im Gegenteil, niemand steht wesentlich länger als andere im Rampenlicht, wodurch eine Menge Distanz aufgebaut wird. Sympathieträger:innen existieren einfach nicht. Viel spannender ist die Grundstimmung: Lockdown Tower gleicht einer betäubenden Depression. Es gibt keinen Ausweg, es gilt nur noch das Überleben und ‒ irgendwie ‒ das Beste aus den Umständen herauszuholen. Die Darsteller:innen geben alles, um ihren Überlebenskampf glaubhaft auf die Leinwand zu bringen. Wenn das nicht gelingt, liegt es nicht an ihnen, sondern am Drehbuch selbst. Nicloux hat partout keine Lust, sein Publikum rätseln zu lassen, was die Ursache für das Szenario ist. Hinweise bleiben aus, die Situation gestaltet sich als unverändlich. Dabei werden berechtigte Gedanken der Zuschauer:innen hinsichtlich der Logik nicht weiter ausgeführt. Etwa warum Telekommunikation nicht funktioniert, dafür aber Strom und (Ab-)Wasser. Obendrein vergeht auf unglaubwürdige Weise viel (inhaltliche) Zeit, sodass immer wieder hinterfragt werden muss (!), wie so viele Menschen noch leben können. Zwar gibt es hier und da einige bitterböse Einfälle, aber ganz genau sollte man nicht hinschauen, um nicht an einem der zahlreichen Plotholes festzuhängen.
Menschliche Abgründe ohne positive Botschaft
Hinter all dem Geschehen steckt natürlich eine Menge Sozialkritik. Der Wohnblock ist aus gesellschaftlicher Perspektive längst abgehakt. Es gibt keine Chancen auf ein besseres Leben oder einen Aufstieg, der Sozialstaat hat versagt. Die schwarze Nebelwand steht sinnbildlich für das zivilisierte Leben, das keinen Platz für die Unterschicht bietet und den Hexenkessel sich selbst überlässt. Rassismus gehört zur Tagesordnung und am Ende geht es nur darum, zu überleben. Dafür hortet, verhandelt und stiehlt man. Notfalls mit Gewalt. Die Verrohung zeigt auf, was geschieht, wenn wir uns einfach den Umständen hingeben und nur an uns selbst denken.
Fazit
Lockdown Tower besitzt eine faszinierende Prämisse und baut sich mittels simplen Stellschrauben um eine Metapher herum ein Szenario mit vielen Möglichkeiten zurecht. Was der Film am Ende daraus jedoch macht, erfüllt allenfalls Ansprüche an dichte Atmosphäre, beklemmende Stimmung und nihilistische Extremsituationen. Nähe zu den Charakteren bleibt verwehrt, zahlreiche Fragen offen und der Ausgang steuert ins bildliche Leere. Eine deprimierende Version von High Rise, die nicht so richtig zu Ende gedacht ist und damit erschreckend viel Potenzial einfach unangerührt liegen lässt. Bei aller Faszination für die dichte dramaturgische Verdichtung: Der Ausgang ist ein Ärgernis.
© Capelight Pictures
Veröffentlichung: 25. August 2023