Lords of Chaos
True Crime Stories haben Hochkonjunktur. Die Musikgeschichte selbst bietet Kapitel, die dunkler als jeder Horrorfilm sind. Eines davon ereignete sich Anfang der 90er in Norwegen, als die norwegische Black Metal Band Mayhem zunehmend in ihrer finsteren Ideologie abdriftete und menschliche Abgründe hinaufbeschwor: Suizide, Kirchenverbrennungen und Mord. Diese Faszination übertrug sich auch auf die Fans und ein ganzes Land war einem Schrecken unterworfen, als ein Bandmitglied das andere umbrachte. Lords of Chaos basiert auf dem gleichnamigen Buch, bei dem die Beteiligten der Geschehnisse und andere bekannte Gesichter der Szene in Interviews zu Wort kamen.. Der 2019er Film arbeitet die Erlebnisse säuberlich auf und reißt den Zuschauer in eine düstere Abwärtsspirale. Die ungeschnittene Version des Films erschien am 5. April 2019 in Deutschland.
Øystein Aarseth alias Euronymus ist fasziniert von der dunklen Seite des Lebens und findet seine Erfüllung in der Musik. Er möchte selbst als Musiker von sich Reden machen und gründet mit seinen Freunden die Band Mayhem. Durch eine Anzeige wird der Sänger Dead gefunden. Ein depressiver und selbstmordgefährdeter Mann, der sich bei einem Konzert die Arme aufschneidet, um das Publikum mit Blut zu bespritzen. Eines Tages begeht er in seinem Delirium Selbstmord und wird von Euronymus tot aufgefunden. Fasziniert vom Tod macht er Fotos von der Leiche des Sängers und schenkt jedem Bandmitglied ein Stückchen Schädeldecke als Anhänger. Der Erfolg stellt sich allmählich ein und als mit Varg Vikernes ein neues Mitglied in die Band kommt, ist das der Anfang vom Ende…
Wahrheit, Lügen und wie es wirklich war
Originaltitel | Lords of Chaos |
Jahr | 2018 |
Land | Großbritannien, Schweden |
Genre | Drama, Historie, Horror |
Regisseur | Jonas Åkerlund |
Cast | Euronymous: Rory Culkin Varg Vikernes: Emory Cohen Dead: Jack Kilmer Ann-Marit: Sky Ferreira |
Laufzeit | 118 Minuten |
FSK |
Regisseur Jonas Åkerlund (Spun – Leben im Rausch) ist ein alter Hase im Musikbusiness. Zahlreiche populäre Musikvideos gehen auf sein Konto: Madonna, Roxette, U2, Rammstein … um nur einige Künstler zu nennen, deren musikalisches Können er in einem Musikclip verewigte. Deshalb ist es ebenso wenig überraschend wie völlig logisch, dass der Multi-Grammy-Gewinner und Musikvideo-Maestro einen Stoff wie diesen anpackt. Bereits der zugrunde liegende Roman von Michael Moynihan ist höchst umstritten, ist schließlich nicht immer klar, wieviel Wahrheit und wieviel Fiktion darin steckt. Lords of Chaos steht vor einer großen Herausforderung: Die Geschichte soll wahrheitsgemäß erzählt werden, ohne die einstigen “Vorbilder” zu glorifizieren. Gleichermaßen soll die Story auch nicht zu reißerisch werden, obwohl das Dargestellte starker Tobak ist. Dieses Kunststück gelingt dem Regisseur weitgehend, wenngleich man wohl dabei gewesen sein muss, um ein Urteil zu fällen. Zwischen den beiden Musikern, die zwischenzeitlich auch zusammenarbeiteten, entbrennt ein Machtkampf, der bekanntermaßen kein gutes Ende genommen hat. Vikernes saß 16 Jahre im Gefängnis und kam 2009 frei. Er selbst stempelt den Film als pure Idiotie ab und kritisiert sogar, dass Euronymus’ angebliche Homosexualität wegerzählt wurde.
Inbrünstiges Schauspiel
Ob Black Metal Fans mit dem Film musikalisch auf ihre Kosten kommen, bleibt offen. Die Band stellte nur wenige Songs zur Verfügung. Trotzdem ist der alles abreißende Sound vertreten und verstärkt die Wucht der unheilvollen Stimmung. Schauspielerisch glänzt der Film mit Emory Cohen (The Place Beyond the Pines) und Rory Culkin (Scream 4), die ihre gegensätzlichen Figuren mit viel Inbrunst spielen. Rory Culkin als tragische Figur dient als Ankerpunkt der Geschichte, wenngleich er keine Figur ist, in der sich der Zuschauer ohne weiteres wiederfinden kann. Überraschend für deutsche Zuschauer ist der Auftritt von Wilson Gonzalez Ochsenknecht (Der Nachtmahr), der den namenslosen Fahrer Vargs spielt. Emory Cohens Varg ist eine schillernde Figur, die man mit Leichtem verachten kann. Sowohl Culkin als auch Cohen verschmelzen regelrecht mit ihren Rollen, sodass man ihnen die Obsession zur Musik voll abnimmt. Die Kamera begleitet die beiden dabei immer in Nahaufnahme, was ebenfalls zu ungeschönten Bildern führt: Tiere werden zum Spaß gequält und wenn sich Sänger Dead die Pulsadern beider Arme sowie den Hals aufschneidet, an den Schreibtisch setzt, sich per letzter Notiz bei seinen Bandkollegen entschuldigt (“Excuse all the blood”) um sich dann das Hirn wegzupusten, schaut die Kamera nicht weg. Dem Zuschauer wird ein derart distanziertes Bild verkauft, dass er entweder gezwungen ist wegzusehen oder die morbide Faszination aufsaugt. In diesem Fall funktioniert der fast-dokumentarische Stil sehr gut.
Fazit
Lords of Chaos ist ein exzellent inszenierter Mix aus Drama, Biopic und (aufgrund der Abscheulichkeit der Taten) Horror. Authentisch, krachende Musik und gnadenlose Realität. Gerade dann, wenn man feststellt, dass es nur noch abwärts geht, bemerkt man das Fehlen jeglichen Auffangnetzes. Die 90er Jahre stellen dabei ein Jahrzehnt dar, welches für die in den 80er Jahren geprägte Popkultur entscheidend war. Der Film spiegelt deshalb auch eine Stimmung jener Zeit wider, die sich vor allem für Black Metal als wegweisend erwies. Die Gewaltszenen stellen immer ein Mittel zum Zweck dar, selten wirklich plakativ, aber effektiv eingesetzt. Voyeure kommen bei diesem Film nicht auf ihre Kosten (Blut kennt hier auch keinen Soundeffekt). Lords of Chaos ist eine provokante Auseinandersetzung mit eskalierender Jugendgewalt, dessen Warnhinweis nicht zu ignorieren ist.
Zweite Meinung
Was erwartet man, wenn der Film schon Lords of Chaos heißt? Ist der Titel vor allem für das Einfangen eines bestimmten Zeitgeistes treffend, so ist er für den Film meiner Meinung nach sogar mehrdeutig. Denn nicht nur die dargestellten Personen halten oder hielten sich für Lords, und das von Chaos, Zerstörung und Macht. Sondern das Werk als solches ist selbst auch sehr chaotisch geraten. Ich gebe zu, ohne meinen Freund, der Metal-Fan ist (und sogar die wunderschöne nordische Kirche, die von Varg Vikernes verbrannt wurde, noch im Original zu sehen bekam), hätte ich mir diesen Titel wahrscheinlich nie angesehen. Aber er hat mir so viel über diese Menschen erzählt, die oft einfach nur krank wirken (und es sicherlich nicht selten sind), dass meine Neugierde geweckt wurde. Anders als bei Bomb City gelang es hier nicht, einen runden Film zu produzieren, der einen bewegt. Klar, auch Lords of Chaos bewegt einen, nicht selten den Ekel. Aber am Ende haben meine Freunde und ich uns wirklich gefragt, was der Film nun eigentlich sein will: Drama? Horror? Komödie? Liebesgeschichte? Irgendwie möchte er alles und erreicht nichts davon. Es verwundert mich nicht, dass keine der hierin behandelten Bands wirklich ihre Musik hergeben wollte. Letztendlich krankt die Produktion meines Erachtens daran, dass er zu kurz ist, dafür zu viele Personen eingeführt werden und man sich auf zu viele Chaosherde konzentriert. Da er trotz aller Schwächen sehr gut zeigt, wie stark man sich im Strudel von Ereignissen verlieren kann, lohnt es sich dennoch, ihn sich einmal anzusehen. Bezeichnend für den Film sollte man aber die Entschuldigung von Dead, dem ehemaligen Sänger sehen: Excuse the Blood.