Morbius
“Eine neue Marvel-Legende ist geboren!” tönt das deutsche Poster von Sony Pictures’ Morbius. Sieht man sich einmal die Zahlen des katastrophalen Kinostarts an, sieht es eher nach einer Totgeburt als nach dem Aufstieg einer künftigen Legende aus. Denn nicht nur die überaus schwachen Einspielergebnisse, sondern auch unterirdische Kritiken und das bislang zweitschwächste Abstimmergebnis eines Marvel-Films beim US-Publikum (Cinemascore Note C+ und damit nur minimal besser als das Fantastic Four-Reboot von 2015) sprechen eine eindeutige Sprache. Das ist leider viel Wahres dran: Daniél Espinosas (Life) ist rückständiges Erzählkino und eine Comic-Verfilmung, wie sie 2005 vielleicht noch ansprechend gewesen wäre. Ein eigenes Bild davon könnt ihr euch ab dem 23. Juni 2022 machen, wenn die Produktion auf Disc erscheint.
Dr. Michael Morbius (Jared Leto, Dallas Buyers Club) leidet schon seit Kindheitstagen an einer seltenen Blutkrankheit, die sein Schicksal bereits besiegelt hat. Sein Leben hat er der Suche nach einer Heilung gewidmet, um nicht nur anderen Erkrankten wie seinem Freund Milo (Matt Smith, Doctor Who), sondern auch sich selbst zu helfen. Michael ist einer heißen Spur auf der Spur: Eine Kreuzung menschlicher DNA mit Vampirfledermaus-DNA scheint der Schlüssel für ein Heilmittel zu sein. Doch der Test hat für ihn verheerende Konsequenzen. Er entwickelt übermenschliche Fähigkeiten und kann sein Verlangen nach Menschenblut kaum noch kontrollieren …
Produktionsgeschichte des Scheiterns
Originaltitel | Morbius |
Jahr | 2022 |
Land | USA |
Genre | Action, Science-Fiction |
Regie | Daniel Espinosa |
Cast | Michael Morbius: Jared Leto Loxias „Milo“ Crown: Matt Smith Dr. Martine Bancroft: Adria Arjona Dr. Emil Nicholas: Jared Harris Simon Stroud: Tyrese Gibson Alberto Rodriguez: Al Madrigal |
Laufzeit | 104 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 23. Juni 2022 |
Häufig liefert ein Blick auf die Produktion erste Erkenntnisse darüber, warum die Dinge sind, wie sie sind (The New Mutants kann davon ein Lied singen). Bei diesem Film muss man tief in die 90er blicken, als sich Sony die Rechte an Figuren aus dem Spider-Man-Katalog sicherte und den Erfolg des Marvel Cinematic Universe (MCU), seit 2009 unter Disney, gegenhalten. Mit Spider-Man betrat schließlich die wichtigste Figur aus der filmischen Obhut Sonys in Spider-Man: Homecoming das MCU. Das geschah nicht einfach so, sondern nach einem langen Akt der Gespräche zwischen den beiden Vertragspartnern Marvel und Sony Pictures. Mit dem Ergebnis, dass Sony seinen Spider-Man (Tom Holland) fortan als Teil des MCU produzierte. Doch was passiert mit dem Rest der Figuren, an denen Sony die Rechte seit Jahren hatte, welche schließlich aber nie zum Einsatz kamen? Der Plan wurde geschmiedet, ein eigenes Universum aufzuziehen, das SSU (Sony’s Universe of Spider-Man Characters, also eine Art Superschurken-Reihe). Gleich wurden einige Namen populärer Bösewichte auf dem Tisch verteilt, die ihre eigenen Filme erhalten sollten: Venom (2018) und dessen Nachfolger Venom: Let there be Carnage (2021), außerdem erschienen auch die Bösewichte Morbius, Madame Webb und Kraven der Jäger lukrativ genug. Für den also dritten Film, Morbius, wurden die Autoren Matt Sazama und Burk Sharpless mit einem Drehbuch beauftragt. Hintergrund: Sie galten durch Dracula Untold als Vampir-Experten. Jared Leto wurde für die Titelrolle verpflichtet und mit ihm jemand, der in Hollywood als schwieriger Darsteller gilt und das Recht einforderte, an der Wahl des Regiepostens ein Mitspracherecht zu haben. Die Wahl fiel schließlich auf Daniél Espinosa, der sich mit Life eine beeindruckende Sci-Fi-Visitenkarte gebastelt hatte. Gedreht wurde schon 2019, doch der Film hielt keinen Testvorführungen Stand. Dann kam die COVID-19-Pandemie und wir finden uns im Jahr 2022 wieder. Dort summieren sich also die Ereignisse: Wir haben eine bei Testvorführungen durchgefallene Produktion, die mit reichlich Verspätung eintrifft, keinen Erwartungen Stand hält und nicht aus dem Interesse an einem eigenen Erzählkosmos entstand, sondern aus der Notwendigkeit heraus, mit einer Figur von der Resterampe Geld zu verdienen. Obendrein sagten auch noch alle Prognosen einen krachenden Misserfolg aus. Genau dort stehen wir nun mit dem Resultat.
Morbius, Vampir seit 1971
Dr. Michael Morbius zählt zu den tragischsten Figuren aus Spider-Man. Er war ein berühmter Fledermaus-Forscher, der schwer erkrankt ist. Um sein Leben zu verlängern, führte er ein Selbstexperiment mit radioaktivem Fledermausblut durch. Doch die Hoffnung, von seiner tödlichen Krankheit gehilt zu werden, wurde zerschlagen. Er mutierte zu einem Vampir, der nur durch die Zufuhr menschlichen Blutes überleben kann. Nach seinem ersten Auftritt in The Amazing Spider-Man #101 (1971) kämpfte er sowohl gegen Spider-Man als auch an seiner Seite. Hierzulande bekannt sein könnte er auch durch New Spider-Man, ab 1995 auf RTL ausgestrahlt. In der Serie wurde seine Geschichte ab der zweiten Staffel thematisiert und er bekam mit Blade auch gleich den passenden Gegenspieler.
Zurück zu Morbius: Anders als Venom profitiert Morbius als Figur weniger durch seine Popularität, da er nie als Bösewicht der ersten Reihe galt. Auch Venom ist ein Bösewicht, dessen filmische Darstellung als Antiheld immerhin funktioniert, da er einen inneren Konflikt auf komödiantische Weise und im Dialog mit sich selbst austrägt. In diesem Fall ist das schon schwieriger, denn Morbius ist eben selbst ein Bösewicht. Und was macht man im allerschlimmsten Fall? Einen Gegenspieler entwerfen, der dieselben Fähigkeiten mitbringt, nur eben noch böser ist, damit der Protagonist ein bisschen besser wird. Viel mehr gibt es über Milo nicht zu sagen, der eine abgewandelte Version der Comic-Figur Loxias Crown ist. Eigentlich sollte im Jahr 2022 bei allen Verantwortlichen angekommen sein, wie Fans zu solchen Remixen bestehender Figuren stehen. Eine Motivation für Milo gibt es jedenfalls nicht. Das muss reichen, um als Zuschauer:in auf der Seite des Titelhelden zu stehen, mehr gibt es nicht. Außer eben das fehlgeleitete Experiment, an dem man sich auch schon in anderen Filmen sattgesehen hat. Nur dass sich Morbius wenig darum schert, etwas aus dem Dilemma, in dem sich Michael fortan befindet, zu machen.
Vampirismus ohne Blut
Wie auch seine beiden Venom-Vorgänger muss Morbius mit einer FSK 12 auskommen. Die Gewalt fällt zwar moderat aus, inhaltlich unschön gelöst ist allerdings die Tatsache, dass noch nicht einmal explizit der Inhalt der Blutkonserven auf ihrem Weg in Morbius’ Körper gezeigt wird. Es wird an allen Ecken und Enden getrickst, um über die offensichtlichen Makel hinwegzutäuschen. So etwa auch bei den Actionszenen, in denen die Choreografien durchaus von manchem CGI-Fauxpas ablenken. Hier und dort wird die obligatorische Zeitlupenszene eingestreut, damit sich das Hirn orientieren kann, ehe der wilde Ritt durch die Lichteffekte weiter voranprescht. Offensichtlicher als die durchwachsenen Trickeffekte des düsteren Films ist aber die fehlende Zeit zur Entfaltung der Figur. Espinosa gibt keine Chance, Morbius zu entdecken. Stattdessen wird in einem Monolog erläutert, was passiert ist und was er alles kann. Der Kern eines jeden Origin-Movies: Wir entdecken die Fähigkeiten mitsamt ihrer Figur. Nur hier wird diese Chance verpasst. Gegen den Cast kann man derweil wenig sagen. Auch wenn Jared Leto ein polarisierender Darsteller ist, holt er das Nötigste aus seiner Figur heraus. Alles, was nicht geschieht, ist dem Drehbuch anzukreiden. Diesen Haken darf auch das Love Interest Martine (Adria Arjona, 6 Underground) hinter sich setzen. Selbst Liv Tyler in Der Unglaubliche Hulk brachte mehr Persönlichkeit und Präsenz für ihre Figur Betty Ross mit.
Mid-Credit-Scene des Grauens
Kein Marvel-Film ohne Post- und Mid-Credit-Scenes. Immerhin bleibt somit noch etwas, über das man sich freuen darf und der nächste Hype wird schon einmal entfacht. Abgesehen davon, dass Morbius eine Rückkehr androht, geschieht allerdings etwas, das einer ausführlichen Erklärung bedarf und dem widerspricht, was in Spider-Man: No Way Home erklärt wird. Entweder muss hierfür an anderer Stelle eine Erklärung nachgereicht werden oder es handelt sich um einen groben Fehler, der bei Sony begangen wurde in Hinblick auf einen gewissen Zauberspruch eines gewissen Doctor Strange. In dieser Form bleibt allenfalls unklar, was das Gezeigte soll und ob es wirklich Teil des Kanons ist. Oder ob man einfach keinen Wert auf Konsistenz legt.
Fazit
Morbius ist eine blutleere Origin-Story, die keinem Anspruch gerecht wird. Ein schemenhafter Formelfilm ohne jeden kreativen Aufwand mit Nebenfiguren, die nur dem Protagonisten dienen (Mentor, blasses Love Interest, gesichtslose Schläger und Polizisten) und einem Bösewicht ohne Motivation. Es werden Mechaniken bedient, ohne sie mit Inhalt zu füllen. Damit reiht sich Morbius in eine Reihe von Filmen, die wesentlich älter sind und schon damals mit genau diesen Problemen kämpften: Daredevil (2003), Fantastic Four (2005) und Ghost Rider (2007). Es ist, als hätte sich keiner der Verantwortlichen angeschaut, woran andere schon scheiterten. Keine Lernkurve. Qualitativ auf dem Niveau eines Pilotfilms, doch solange zumindest die Produktionskosten wieder eingespielt werden, kann man bei Sony zufrieden sein. Wer den Film (warum auch immer) abseits seiner Franchise-Zugehörigkeit und nur mit der Motivation eines Vampirfilms angeht: vergesst es!
© Sony Pictures
Veröffentlichung: 23. Juni 2022