Morena
Zu den populärsten Vertretern des Hexen-Horrors des 21. Jahrhunderts zählt Robert Eggers’ The Witch (2015). Seit der Veröffentlichung ist kein Werk aus diesem Sektor medial noch einmal eingeschlagen – sieht man einmal von freundlichen Hexen wie Sabrina Spellman oder Agatha Harkness ab. Aus der Ukraine entsendet Regisseur Serhii Aloshechkin mit seinem Erstwerk Morena einen Vertreter, der seine titelgebende Hexe in einer ländlichen Kulisse, aber im Hier und Heute platziert. Wir haben den Folk-Horror-Film auf dem Obscura Filmfest 2024 gesichtet. Ob er seinen offiziellen Weg noch in unsere Wohnzimmer finden wird, steht derweil in den Sternen.
Anya (Taisiya-Oksana Shchuruk) und ihr geliebter Yurko (Illia Valianskyi) besuchen im Sommer die Eltern des Mädchens in den ukrainischen Karpaten. Bei einer Feier wirft die attraktive Ivanka (Iryna Hromadska) ein Auge auf ihn und bezirzt Yurko. Kurz darauf ist er ihr befallen, was auch Anya nicht entgeht. Noch weiß Anya allerdings nicht, mit wem sie es zu tun hat, auch wenn die Warnungen ihrer Freundinnen eindeutig sind. Denn Ivanka ist Morena, eine Hexe. Zwischen den beiden Frauen beginnt ein Konflikt, der eine lange Blutspur mit sich zieht.
Folk-Horror zur Sommersonnenwende
Originaltitel | Morena |
Jahr | 2024 |
Land | Ukraine |
Genre | Horror |
Regie | Serhii Aloshechkin |
Cast | Anya: Taisiya-Oksana Shchuruk Yurko: Illia Valianskyi Ivanka: Iryna Hromadska Mykola Petrovych: Vasiliy Basha |
Laufzeit | 106 Minuten |
FSK | Keine Angabe |
Titel im Programm des Obscura Filmfest 2024 |
Morena ist dem Folk-Horror zuzuordnen: Typisch dafür sind ländliche Schauplätze, oftmals spielen Religion, Aberglaube und Naturgeister eine Rolle. Es gibt zahlreiche US-Produktionen, die sich dem Genre verschrien haben, aber auch im südasiatischen Raum findet man zahlreiche Titel, die in diese Kerbe schlagen. Die Ukraine ist quantitativ nicht vergleichbar mit ihrem Markt an Horrorfilmen. Doch wie sich in Morena zeigt, hat der Folk-Horror auch hier eine Daseinsberechtgung. Die Handlung spielt sich in einem Dorf weit vom Schlag ab. Wo jeder jeden kennt, man sich draußen trifft, Feste feiert, Traditionen bewahrt. Der Plot nimmt seinen Lauf während des Ivan Kupala-Feiertags, dem ukrainischen Fest der Sommersonnenwende. Bis in die moderne Zeit ist die slawische Mittsommernacht als ein spektakuläres Fest bekannt, bei dem es zu Bräuchen kommt, die uns in Deutschland nicht bekannt sind: Junge Frauen legen mit Kerzen bestückte Blumenkränze mit Zukunftswünschen in den Fluss, Paare springen tanzend über Feuer. Magische Momente, die Morena einfängt und mit schönen Bildern versieht. Eine perfekte Kulisse für Folk-Horror.
Lodernde Sexualität
Die Protagonisten sind Anya und Yurko, die Anyas Eltern besuchen. Viel über sie erfahren wir nicht, außer dass sie ein wildes Sexualleben besitzen und es sich auch nicht nehmen lassen, selbst bei Anyas Eltern zu Besuch Fesselsex zu betreiben. Warum die Entscheidung gerade dafür fiel – unklar. Vielleicht soll verdeutlicht werden, dass die körperliche Attraktivität zwischen den beiden enorm ist, vielleicht ist es auch ein Plädoyer für seltener gesehene Gangarten des Liebesspiels. Vielleicht auch Voyeurismus, denn mit nackten Tatsachen geizt Morena nun wirklich nicht. Jedenfalls verfällt Yurko kurz darauf Ivanka, was sich natürlich mit deren Hexenkräften erklären lässt. Die Entwicklung des Paares daraufhin ist reich an Unstimmigkeiten: Bereits auf der Ivan Kupala-Feier ist Anya eifersüchtig, wenig später ist aber alles wieder in Ordnung und beide jagen wie ein frischverliebtes Paat durch die Nacht. Ihre Eifersüchteleien (die stets begründet sind) tragen keine wirklichen Konsequenzen mit sich. Yurkos Fehlverhalten wird immer nur für den Moment, nicht aber langfristig abgestraft. Die TAZ spricht hierbei von einer “emanzipatorischen Botschaft”, doch im Grunde dreht sich bei Anya und Ivanka alles nur um die Gunst des Mannes. Ohne Yurko gäbe es keinerlei Stoff für einen Konflikt.
Eindimensionale Charaktere
Ivanka ist die einzige Figur, die glaubhaft handelt: Sie ist nunmal böse. Was soll sie anderes tun, außer Zwietracht zu sähen und sich das zu nehmen, was sie will? Ihre Darstellerin Iryna Hromadska macht ihre Sache gut, wenngleich die Herausforderung nur ist, die Eigenschaften sexy, verführerisch und böse zu kombinieren. Yurko ist in der ersten Hälfte ein Fähnlein im Winde und völlig triebgesteuert: Er reagiert ausschließlich auf (körperliche) Reize. In der zweiten Hälfte ist er nur noch einer Schatten seiner selbst und besitzt kaum noch Präsenz. Denn der Schaden ist angerichtet, der Konflikt entfacht. Anya wird uns als Heldin verkauft, aber nur weil sie am lautesten poltert, trifft sie nicht die besten Entscheidungen. Die meisten Fragen aber werfen die anderen Dorfbewohner auf: Dort ist kein Geheimnis, das Ivanka eine Hexe ist. Jeder von Anyas Freunden weiß das. Aber wenn es darauf ankommt, will niemand im Dorf etwas davon wissen. Nicht herausgearbeitet wird, ob es nun daran liegt, dass Ivanka die Tochter des angesehenen Mykola Petrovych ist (ein Name, der so häufig fällt, dass man daraus ein Trinkspiel machen kann) oder ob wirklich alle so blind sind, dass man nicht der einfachsten Spur hintergehen kann. Auch als Ivanka auf frischer Tat der einheimischen Polizei überführt wird, bleibt das konsequenzenlos. Die fehlenden Folgen jeglichen Handels machen Morena auf inhaltlicher Ebene zu einer Frusterfahrung, weil sämtliche Figuren einfach entgegen der Logik handeln, die ein gesunder Menschenverstand mitbringt. Die männlichen Charaktere sind furchtbar eindimensional geschrieben und wie sich in einem späteren Twist zeigt, der Anyas Kindheitsfreund betrifft, wird es auch nicht besser.
Ästhetische Inszenierung
Die positiven Aspekte liegen in der Inszenierung selbst. Als wäre die Kulisse nicht schon perfekt genug für eine stimmungsvolle Folk-Horror-Erzählung, bringt Serhii Aloshechkin ein Gespür für Ästhetik mit. Besonders die Farben blau, rot und gelb sind in Kombination überpräsent (wie sich unschwer schon am offiziellen Key Visual des Films ableiten lässt). Wasser, Feuer, Nacht – die Natur ist allgegenwärtig und er arbeitet mit atmosphärischen Schattenspielen. Wenn Ivanka eingeführt wird, geschieht das mit einem verführerischen Tanz, der erst einmal nur ihre Silhouette vor loderndem Feuer preisgibt. Morena profitiert ungemein von der Inszenierung, denn die Szenen, die sich auf das Dasein als Hexenfilm berufen, funktionieren.
Fazit
Morena ist atmosphärisch in Szene gerückt und bringt aufregende Bilder aus der Ukraine mit sich. Aus Perspektive des modernen Hexenfilms, der auf Tradition und Einklang mit der Natur setzt, ist der Film definitiv einen Blick wert. Wer also nach modernen Hexen-Titeln vor traditioneller Kulisse Ausschau hält, sollte unbedingt einen Blick riskieren.
Auf narrativer Ebene kann Morena allerdings gar nicht überzeugen: Die klischeebeladene Handlung, die einseitig und unglaubwürdig agierenden Charaktere, die viel zu wenig hinterfragenn, sowie fehlende Konsequenzen und sonstige Unstimmigkeiten machen diesen Film frustrierend, weil man permanent jemanden anschreien möchte, die Situation doch einmal logisch zu reflektieren. Natürlich kann man auch einfach den Kopf ausschalten und sich der Wirkung aller Reize hingeben. Aber ob das der Anspruch ist?
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