Mulan

Und wieder schickt Disney mit Mulan eine Realfilmadaption eines Zeichentrick-Klassikers ins Rennen. Es hätte der Disney-Blockbuster von 2020 werden können, doch in den Zeiten der Pandemie machte Mulan vor allem dadurch Schlagzeilen, dass man den Film nicht zu sehen bekam. Jedenfalls nicht im Kino. Dann auf dem Streamingdienst Disney+, allerdings zu einem saftigen Aufpreis, der so manchen auf die Heimkino-Veröffentlichung oder einen Preisnachlass bei Disney+ warten ließ. Seit dem 9. November 2020 ist Mulan im Handel erhältlich, bzw. seit Dezember darauf auch bei Disney+ zum normalen Abo-Preis zu sehen.

   

Statt sich mädchenhaft zurückhaltend zu benehmen, tobt die kleine Hua Mulan am liebsten draußen herum und scheucht ein entlaufenes Huhn mit akrobatischen Kletterkünsten durch Haus und Hof. Ihr Papa weiß, warum. In ihr fließt das Chi, das außergewöhnliche Kampfskills beschert, besonders stark, aber nur Jungen sollen es nutzen. Für Mädchen sieht die traditionelle Dorfgemeinschaft des alten China das Unterdrücken solcher Begabungen und eine vorteilhafte Ehe vor. Die mittlerweile erwachsene Mulan (Liu Yifei, A Chinese Ghost Story) fügt sich zwar willig, aber nur mit Mühe in die Tradition. Doch da bedroht Bori Khan (Jason Scott Lee, Dragon – Die Bruce Lee Story) mit seinen Reiterhorden das Reich und jede Familie muss einen Mann zur Armee schicken. Das wäre bei Familie Hua Mulans alter, gebrechlicher Vater. Und so stiehlt Mulan Vaters Schwert und Rüstung und tritt anstelle ihres Vaters als Rekrut Hua Jun der kaiserlichen Armee bei. Die Grundausbildung und das Leben im Mannschaftszelt sind kein Zuckerschlecken, denn niemand darf in dem schüchternen, aber hochbegabten Rekruten ein Mädchen erkennen. Dennoch erwirbt sich Mulan bei ihren Kameraden und ihrem Vorgesetzten (Donnie Yen, Ip Man) Sympathie und Respekt. Dann geht es an die Front, denn Böri Khan, unterstützt von der gestaltwandelnden Hexe Xianniang (Gong Li, Die Geisha) hat es nicht nur auf die Festungen an der Seidenstraße, sondern auch auf den Kaiser (Jet Li, Tiger and Dragon) persönlich abgesehen …

Die eierlegende Wollmilchsau

Originaltitel Mulan
Jahr 2020
Land USA
Genre Historie, Fantasy, Abenteuer
Regie Niki Caro
Cast Hua Mulan: Liu Yifei
Chen Honghui: Yoson An
Kommandant Tung: Donnie Yen
Kaiser: Jet Li
Bori Khan: Jason Scott Lee
Xianniang: Gong Li
Heiratsvermittlerin: Cheng Pei Pei
Laufzeit 115 Minuten
FSK
Veröffentlichung: 9. November 2020

Was muss dieser Film nicht alles richtig machen! Einem Zeichentrick-Klassiker in einem anderen Medium neues Leben einhauchen. Respektvoll authentische chinesische Kultur zeigen, aber nicht zu sehr mit dem unsympathischen China von heute kuscheln, das bekanntermaßen Minderheiten diskriminiert und auf Demonstranten einprügeln lässt. Eine Identifikationsfigur für Mädchen in Amerika und weltweit erschaffen. Dabei nicht zu westlich daher zu kommen. Die Traditionen eines anderen Landes und einer anderen Zeit nachvollziehbar machen, ohne dabei überholte Geschlechterrollen zu zelebrieren. Im Sinne der Me Too-Bewegung ein Techtelmechtel von ranghöherem Offizier und Rekrutin ausbügeln. In eine andere Altersgruppe springen und bewährte Disney-Motive wie Musical-Szenen und niedliche Tierchen hinter sich lassen. Und dabei noch zu einem Blockbuster werden, den wirklich alle sehen wollen. Eine schwere Bürde für eine Filmproduktion. Disney-Fans wissen: Donald Duck hat seine frühe Karriere dem Umstand zu verdanken, dass Micky Maus seine Popularität zum Verhängnis wurde. Die Figur war so sehr im öffentlichen Blick, dass kaum noch Handlungsszenarien für die arme Maus übrig blieben, bei denen nicht besorgte Eltern und sonstige Bedenkenträger sich beschwerten, dass Micky ein schlechtes Vorbild für das Kinderpublikum abgeben könnte. Mulan nimmt diese Herausforderungen an und schlägt sich wacker, aber nicht herausragend.

Emanzipation und das alte China

Wenn ein Mädchen Männerkleider anlegt und in den Krieg zieht, dann denkt die westliche Welt des 21. Jahrhunderts zuerst an weibliche Befreiung. In einer chinesischen Ballade aus dem 5. Jahrhundert spielt das mit Sicherheit keine Rolle. Da muss die Heldin zwischen zwei Übeln abwägen: den alten Vater in den sicheren Tod ziehen zu lassen oder ihre Weiblichkeit zu verleugnen. Vater gewinnt. Was sie da tut, ist kein Selbstbefreiungstrip, sie bringt ein Opfer. Auch wenn sie damit höchst erfolgreich ist und bis zum General aufsteigt. Regisseurin Niki Caro (Whale Rider) hat Erfahrung mit Geschichten über Mädchen zwischen Selbstverwirklichung und Tradition. Auch in Mulan nimmt sie beide Aspekte des Themas ins Auge. Ja, es geht hier zu aller erst um ihren Vater. Und nein, Mulan rebelliert nicht gegen ihre Bestimmung, eine gute Ehefrau zu werden. Aber altchinesische Weiblichkeit zwickt und zwackt. Die Szene, in der Mulan für den Besuch bei der Heiratsvermittlerin eingekleidet wird, ist ein Paradebeispiel dafür, wie Damenoberbekleidung eine Metapher für einengende Geschlechterrollen sein kann: Weiblichkeit ist ein Kostüm, das kompliziert geschnürt und fest verzurrt werden muss, bis es sitzt. Doch ein Armeelager ist der denkbar ungeeignetste Ort für weibliche Selbstbefreiung. In einer Welt von Große Jungs-Kameraderie, Mannschaftszelten und Gemeinschaftsduschen muss Mulan ihren Körper genauso verbergen und einschnüren, damit sie nicht als Mädchen enttarnt wird. Ein Happy End ist erst dann in Sicht, als sie sich sowohl zu ihrem Frau-Sein als auch zu ihren Kampfskills bekennt und ihre Kameraden sie trotzdem unterstützen.

Das Chi ist stark in ihr

Nun hat Mulan ihre Kampftechniken nicht nur in der Grundausbildung erworben. Sie verfügt über ein besonders starkes Chi, das ihr übernatürliche Kraft und Gewandheit verleiht und sie quasi zur Superheldin macht. Wenn das nicht in ihrer Welt nur für Jungs gedacht wäre. Nun weiß selbst der westliche Laie, dass das Chi eine universale Lebensenergie ist, die in allem wirkt, nicht nur beim Kampf und nicht nur bei Männern. Böse Zungen hatten daraufhin anzumerken dass der Film sich wohl eher großzügig bei Star Wars bedient hat. Allerdings ohne dabei zu bedenken, dass George Lucas sich wiederum großzügig bei asiatischem Gedankengut bedient hatte, als er sich den Jedi-Orden und die Macht ausdachte. In asiatischen Filmen fließt das Chi sowieso ganz unbekümmert in die Richtung von knackigen Kampfszenen, wie die Handlung es gerade braucht, Hauptsache, es sieht toll aus.
Wie dem auch sei: Genau wie Elsa, die Eiskönigin, ist Mulan ein Mädchen, das von von der Welt daran gehindert, das zu tun, was es am besten kann und sie leidet darunter. Das zeigt sich auch in ihrer Gegenspielerin Xianniang. Auch sie hatte besondere Gaben und wollte sie nutzen. Doch dafür wurde sie als Hexe gefürchtet und ausgestoßen. Nun dient sie dem schurkischen Khan, wo sie zwar ihrer Kampfmagie freien Lauf lassen kann, aber trotzdem mit Misstrauen beäugt und als Untergebene behandelt wird, deren gefährliche Fähigkeiten man unter Kontrolle halten muss. Während Mulans Chi erst so richtig fließt, als sie aufhört, etwas anderes sein zu wollen, als sie ist und von ihren Kameraden trotzdem nicht fallengelassen wird. Da kann sie auch im Alleingang den fiesen Khan wegfegen. Während Xianniang nach so viel Verbitterung und fehlgeleitetem Aufbegehren nur der tragische Tod bleibt.

Und wie ist der Film sonst so?

Bildgewaltig. Episch. Recht wenig humorlastig, selbst in den komödiantischen Szenen im Mannschaftszelt. Alles, was in der Zeichentrick-Fassung putzig, romantisch, lustig oder musikalisch war, ist nur noch in Spurenelementen vorhanden. Keine glückbringende Grille, dafür heißt jetzt ein Rekrut Cricket, die Grille. Die große Musicalnummer “Ehre für das Haus” klingt nur in ein paar Takten Hintergrundmusik an. Stattdessen gibt es einen Kampfkunstfilm, mit Kampfchoreographie jenseits der Schwerkraft und bedeutungstriefenden Fantasy-Elementen, wie dem Familienschwert oder dem Phoenix, der über Mulan seine Kreise zieht. China sieht mit Landschaften und Architektur für die ganz große Leinwand toll aus und der Cast versammelt große Namen des Martial Arts-Genres: Jet Li, Donnie Yen, Cheng Pei Pei. Und das sind nur die, die mir direkt ins Augen stechen. Nun könnte man sich ärgern, dass diese Giganten des Genres so wenig von dem zeigen dürfen, wofür sie berühmt sind. Aber der Film heißt halt nicht “Jet Li und Donnie Yen gegen die Reiterhorden aus der Steppe”. Darum geht auch aller Glanz der Kampfszenen an die Titelheldin. Ansonsten glänzt sie wenig, beteuert immer wieder ihre Demut und ihre Bedenken, Schande über Familie und Einheit zu bringen. Was sie muss, so sind die Koordinaten dieser Welt. Aber mitfühlen tut man mit ihr wenig.

Fazit

Insgesamt ist Mulan eine eher spröde Angelegenheit. Auf Gesangseinlagen und einen turboquasselnden Otto Waalkes kann ich eigentlich gut verzichten. Akrobatische Kampfkunst und epische Bilder kriegen mich schon eher. Dennoch will der Funke nicht so recht überspringen, die Figuren wollen einem einfach nicht ans Herz wachsen. Obwohl und vielleicht weil sie so viel richtig machen müssen. Schon ein bemerkenswerter Film, der umso bemerkenswerter wird, je mehr man sich mit ihm beschäftigt, aber keiner, der dieses Disney-Gefühl auslöst, das, je nach Generation, Das DschungelbuchKönig der Löwen oder Die Eiskönigin – Völlig unverfroren bei ihrem Publikum generieren konnten.

© Walt Disney


Veröffentlichung: 9. November 2020

wasabi

wasabi wohnt in einer Tube im Kühlschrank und kommt selten heraus.

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