Night Drive
Wer liebt nicht Trips in die Nacht, deren Ergebnis vollkommen offen bleibt? In Night Drive von Brad Baruh und Meghan Leon spielt sich die gesamte Handlung innerhalb weniger Stunden ab. Ein irrer Ritt in eine Nacht, in der das Verhältnis zweier sich bislang unbekannter Figuren immer wieder überschlägt, unvorhersehbare Wendungen einnimmt und stets aufs Neue das augenscheinliche Machtverhältnis dreht. Auf dem Fantasy Filmfest 2021 ist der Film auf einem unauffälligen Slot im Nachmittagsprogramm geparkt und damit sicherlich unterschätzt.
Außer seinem Auto ist Russel (AJ Bowen, The Sacrament) nichts mehr geblieben. Früher war er App-Entwickler, heute nimmt er Fahrten per App an und kutschiert Leute durch die Stadt. Seine letzte Kundin vor Feierabend ist Charlotte (Sophie Dalah, Dead Night), die ein paar Sachen von ihrem Verflossenen abholen will.
Als die Sache eskaliert, müssen die beiden schnell das Weite suchen und es beginnt eine irre Nachtfahrt, in der Charlotte ihr wahres Gesicht zeigt.
Entstehung eines Machtgefälles
Originaltitel | Night Drive |
Jahr | 2019 |
Land | USA |
Genre | Thriller |
Regie | Brad Baruh, Meghan Leon |
Cast | Russell: AJ Bowen Charlotte: Sophie Dalah |
Laufzeit | 82 Minuten |
FSK | unbekannt |
Titel im Programm des Fantasy Filmfest 2021 |
AJ Bouwen hat sich dem Genre-Film verschrieben. Sein filmisches Oeuvre umfasst Titel wie The Guest, You’re Next, Satanic Panic oder Hatchet 2. Da passt Night Drive nur zu gut in sein Portfolio, wenngleich der Film wesentlich geerdeter daherkommt. Es ist leicht, sich mit ihm als Hauptcharakter anzufreunden, und auch Sophie Dalah als Charlotte weckt zunächst einmal Sympathien. Die erste Dreiviertelstunde nimmt sich dabei viel Zeit für die beiden unterschiedlichen Figuren, etabliert sie in ausführlichen Dialogen. Die Regie ist wahrlich daran interessiert, beide Spieler in Position zu bringen. Wenn alle Karten dann auf dem Tisch liegen und man meinen möchte, dass die Situation nun so richtig eskaliert, bleibt Night Drive jedoch erstaunlich ruhig. Russell wirkt selten wirklich in Gefahr und Charlotte agiert nicht so psychopathisch, wie andere Drehbücher es beiden Figuren zugeschrieben hätten. Spannender ist die Beobachtung der Entwicklung eines gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisses.
Spannungsaufbau mit Startverzögerung
Die nächtliche Atmosphäre von Los Angeles wird in bunten Farben eingefangen. Night Drive liefert als Low Budget-Thriller eher wenige Schauwerte und auch die Kamera-Arbeit lässt viel Potenzial nach oben. Die Atmosphäre funktioniert allerdings und zieht ihr Publikum in die titelgebende Nacht. Was den Film am stärksten auszeichnet, ist das Gefühl, dass immer noch irgendein Ass in irgendeinem Ärmel steckt. Und was um alles in der Welt befindet sich in dem Koffer, den Charlotte mit sich führt? Gefühlt minütlich wird deutlicher, dass sich das Drehbuch ein paar Ideen für die zweite Hälfte aufgehoben hat, die nun nach und nach die Situation befeuern. Ein Stamm-Publikum des Fantasy Filmfests mag bei dem Ausgangsszenario zunächst an Ride mit Will Brill und Bella Thorne denken. Der nächtliche LA-Trip von Brad Baruh und Meghan Leon besitzt im direkten Vergleich aber wesentlich mehr Charme und deutlich kreativere Ideen.
Fazit
Trotz der moderaten Laufzeit von gerade einmal 81 Minuten besitzt Night Drive die eine oder andere Länge. Zunächst haben die (fast schon banalen) Dialoge die Oberhand, ehe Baruh und Leon die Handlung mit einigen Tricks beschleunigen und den Spannungsbogen dadurch deutlich aufwerten. Das Finale sorgt für eine Genre-Verschiebung und hievt den Film damit doch noch in den oberen Durchschnitt. Wären da nur nicht die Tempo-Probleme: Gerade für ungeduldigere Zuschauer:innen, denen das begrenzte Setting der Autofahrt zu überschaubar ist, wird der Plot Twist viel zu spät einsetzen und die Gefahr ist hoch, sie zu diesem Zeitpunkt bereits verloren zu haben. Alle anderen erfreuen sich an der Chemie der beiden Hauptfiguren, Dialogen und Twists.
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