Nocebo
Man stelle sich einmal vor: Es klingelt an der Haustüre und beim Öffnen stellt man fest, dass es sich um das neue Hausmädchen handelt. Klingt doch prima! Allerdings hat man gar keines geordert. Aber vielleicht wurde das auch einfach nur verpeilt, immerhin kann so ein Burnout in Kombination mit Gedächtnislücken auch schon mal an die Nerven gehen. Also lässt man die gute Dame einziehen, schließlich ist Unterstützung immer gerne gesehen. Der Rest nimmt dann selbstprophezeihend seinen Lauf. So auch in Lorcan Finnegans (Vivarium) Psycho-Thriller Nocebo, prominent besetzt mit Eva Green (James Bond 007: Casino Royale) in der Hauptrolle. Die abstrakte Prämisse bietet allerdings mehr Tiefgang als auf den ersten Blick ersichtlich, wovon sich Zuschauer:innen auch auf den Fantasy Filmfest White Nights 2023 ein Bild machen konnten.
Christine (Eva Green) ist eine ambitionierte Modedesignerin mit einem stressigen Alltag. Während einer Vorführung erhält sie einen Anruf, für welchen sie für einen kurzen Moment den Saal verlässt. Aus dem Nichts springt ein wilder Hund auf sie zu und schüttelt Zecken auf sie. Noch Monate später ist Christine gezeichnet von dieser Attacke, denn sie leidet nicht nur an einem Burnout, sondern wird immer wieder damit konfrontiert, dass ihr Dinge entfallen. Eines Tages klingelt es an der Tür und die philippinische Haushaltshilfe Diana (Chai Fonacier, Jesus is Dead) steht mitsamt Koffer bereit zum Einzug. Christine kann sich nicht daran erinnern, die Frau eingestellt zu haben, nimmt sie aber aufgrund ihrer Selbstzweifel auf. Diana bringt sich aktiv ein und wird schnell unentbehrlich für die kleine Familie. Außerdem ist sie geübt in Sachen Heilkunst, was Christine dabei hilft, ihre innere Mitte zu finden. Als sie langsam bemerkt, dass mit Diana etwas nicht zu stimmen scheint, befindet sich Christine längst in einem Abhängigkeitsverhältnis …
Auf den ersten Blick ein Edel-Thriller
Originaltitel | Nocebo |
Jahr | 2022 |
Land | Irland |
Genre | Psycho-Thriller |
Regie | Lorcan Finnegan |
Cast | Christine: Eva Green Felix: Mark Strong Diana: Chai Fonacier Bobs: Billie Gadsdon Liz: Cathy Belton |
Laufzeit | 96 Minuten |
FSK | unbekannt |
Titel im Programm der Fantasy Filmfest White Nights 2023 |
Wenn hinter einem Film wie Nocebo ein größeres Studio wie in diesem Fall Universal steckt, bedeutet das in aller Regel, dass mehr Budget als üblich zur Verfügung steht. Ein Budget, dass auch größere Namen im Cast zulässt. Trotzdem müssen bei einer Filmproduktion auch wirtschaftliche Faktoren berücksichtigt werden, vor allem bei Stoffen, die nicht aussichtsreich genug für eine große Kino-Auswertung sind. Nocebo ist einer von vielen Filmen, die aus Steuervorteilen in Irland gedreht wurden. Wo auf der einen Seite also massiv Kosten gespart werden können, weil auf entsprechende Fördergelder und einheimische Crew zugegriffen werden kann, sorgen zwei große Namen im Gepäck für die entsprechende Promotion. Eva Green gehört seit ihrer Golden Globe-Nominierung für Penny Dreadful zu den Größen Hollywoods, Mark Strong, der ihren Ehemann Felix spielt, ist vor allem durch die Kingsman-Reihe bekannt. Mit soviel Schauspielklasse und der hochwertigen Ausstattung des Films entsteht nie der Eindruck, als würde es sich um einen zweitklassigen Film handeln. In seiner Grundkonstellation ist Nocebo jedenfalls generischer Natur: Ein wohlhabendes Ehepaar mit Kind, das in einer schicken Villa lebt. Der Preis für soviel Luxus ist beruflicher Stress und dann stößt auch noch eine neue Person bzw. ein Eindringling hinzu, der alles auf den Kopf stellt. Mit diesen Variablen wurden schon zahlreiche Filme bedient. In der Tat ist es auch so, dass man mit ein wenig Seherfahrung frühzeitig ahnt, welche Richtung die Handlung einschlägt. Größere Überraschungsmomente bleiben über den Großteil der Laufzeit aus. Zumindest in den ersten beiden Dritteln.
Sozialer Kontext dick aufgetragen
Im letzten Drittel allerdings findet das Drehbuch einen neuen Turn, der die Dinge aus einer anderen Perspektive betrachtet und erstmals für frischen Wind sorgt. Eine hochaktuelle und gesellschaftliche Note, die in nur wenigen Genre-Filmen Platz findet und allein schon deshalb ein dickes Ausrufezeichen an den Titel hängt. Das macht die (an sich absurde) Prämisse nicht hochwertiger, gibt dem Film allerdings noch einmal einen Schuss Tiefgang. Denn Diana ist nicht irgendeine Person, sondern eine Figur, die durchaus Profil und persönliche Motivation mitbringt. Wenn Nocebo also nach dem Sehen in den Köpfen seines Publikums hängen bleibt, dann liegt das nicht am Film selbst, sondern an der Botschaft, die er transportiert. Lorcan Finnegan geht dabei wenig subtil vor, sondern trägt mitunter dick auf. Die Bedingungen (wie etwa das Verhältnis zwischen Diana und Christines Tochter) fügen sich immer so, wie es dramaturgisch gerade am besten passt. Mit unheilvollen Momenten und befremdlichen Visionen sorgt er dafür, dass nie wirklich Ruhe einkehrt.
Fazit
Nocebo ist handwerklich prima und solide inszeniert. Der überzeugende Cast erfüllt einen einwandfreien Job und die Motivation, Kapitalismuskritik so eindringlich zu verpacken, ist ebenfalls lobenswert. Wäre da nicht das wenig spannende Drehbuch, das sich voller Elan in einen wilden Mix aus Vorhersehbarkeiten und Unglaubwürdigkeit stürzt. Es gibt so einiges grundliegend zu hinterfragen, etwa auch, warum Felix in seiner Rolle so passiv bleibt und kaum etwas hinterfragt, obwohl offensichtlich ein paar Dinge schieflaufen. Das Finale will viel, wird bei einigen Zuschauer:innen aber auch das Gegenteil erreichen, nämlich dass soviel Moral aufgesetzt erscheint. Unterm Strich eine grundsolide Produktion mit Abstrichen in Sachen Story, die trotz Vorhersebarkeit gut unterhält.
© Universal Pictures