One Cut in the Life
Täglich werden wir in den Medien mit Gewalttaten konfrontiert. Diese sorgen für Schlagzeilen und öffentliche Diskussionen. Welche Auswirkungen sie auf die Psyche der Opfer haben, bleibt ein Blindspot. Regisseur Shintaro Hotchi lebt und arbeitet in Tokio und konnte als Regieassistent bei Filmen wie Shin Godzilla erste Erfahrungen sammeln. Mit One Cut in the Life lieferte er sein Langfilmdebut ab. Mit seinem ambitionierten Erstling versucht er dabei zu ergründen, welche Verletzungen eine Gewalttat bei den Überlebenden hinterlässt, Narben auf Körper und Seele, die auch die Zeit nicht zu heilen vermag. Der Film war Teil des Programms des Japan Filmfests 2021.
Eben war es ein ganz normaler Unterrichtstag, wenige Minuten später gleicht die Mensa der Universität einem Blutbad. Die beiden Studentinnen Yuka (Rio Kanno) und Mai (Keika Morikawa) sind wie erstarrt. Vor ihnen steht ein Täter mit Waffe, der die beiden zu einer Entscheidung zwingen will, wer als nächstes von ihnen stirbt. Mai versucht zu entkommen, was mit einem Schuss in den Rücken quittiert wird. Die Mörder ziehen weiter und der Student Rintaro (Yuto Kobayashi) eilt zur Hilfe. Als die Täter zurückkehren, wird er zu einer Verzweiflungstat getrieben …
Die Ereignisse dieses Tages werden sich noch über viele Jahre durch das Leben beider ziehen.
Traumabewältigung für Fortgeschrittene
Originaltitel | One Cut in the Life |
Jahr | 2020 |
Land | Japan |
Genre | Drama |
Regie | Shintaro Hotchi |
Cast | Yuka: Rio Kanno Mai: Keika Morikawa Rintaro: Yuto Kobayashi |
Laufzeit | 77 Minuten |
FSK | unbekannt |
Titel im Programm des Japan Filmfest 2021 |
Mit One Cut in the Life wagt sich Shintaro Hotchi an schwer wiegenden Stoff. Bereits die erste Szene, die einen Amoklauf und Yuka umgeben von Leichen zeigt, ist nicht ohne. Der Eindruck, dass es sich um einen Survival-Thriller handeln könnte, der nun die Flucht aus der Situation zeigt, wird relativ schnell wieder zerschlagen. Denn nach dem Ausgang des Ereignisses wagt das Drehbuch einen Zeitsprung und befasst sich mit dem Leben, das Yuka und Rintaro danach führen. Das geschieht eine angenehm ruhige Weise, die das Schicksal und die seelischen Narben der Figuren behutsam weitererzählt. Hotchi will es aber nicht dabei belassen und mutet seinen Figuren weitere Schicksalsschläge zu: Gewalt, Social Media-Mobbing, Vergewaltigung. Was sich innerhalb von gerade einmal 77 Minuten alles in One Cut in the Life abspielt, ist starker Tobak. Nicht nur für Rintaro und Yuka, sondern auch alle Zuschauer:innen, denen die erste Szene noch in Mark und Bein sitzt.
Kreislauf der Gewalt
Durch die Perspektive der jungen Figuren verfolgt Hotchi einen Blick auf Gewalt im Alltag. Yuka wird durch eine Narbe im Gesicht jeden Tag an ihr Trauma erinnert und erfährt obendrein auch noch soziale Ächtung, wenn sie etwa auf ihrer Arbeitsstätte gemieden wird. Allgemein ist die Welt, in der One Cut in the Life seine Realität ansiedelt, eine düstere voller sozialer Kälte. Auch wenn die Fülle an Vergehen in nur 77 Minuten schon groß ist, wird angedeutet, was offscreen noch alles passiert und wie trist die Welt in diesem Film doch ist. Eingefangen wird das in gräulichen Bildern, denen jegliche Fröhlichkeit entwichen ist. Das macht diese Produktion inhaltlich wie formal zu einer erdrückenden Angelegenheit.
Fazit
One Cut in the Life ist ein eindringliches und nur schwer zu ertragendes Drama. Soviel Respekt man den Figuren für ihre mentale Stärke auch zollt, so übertrieben dramatisch fühlt sich die Verkettung der Ereignisse an. Als Drama wiegt die japanische Produktion viel zu schwer und ist trotz ihrer kurzen Laufzeit vollgestopft mit Schicksalsschlägen, die von den ausdrucksstarken Darsteller:innen authentisch getragen werden. Völlig abfangen können sie die fehlende Glaubwürdigkeit dieses Sturms der Gewalt jeder Art und Schattierung aber nicht. Zurück lässt einen der Film jedenfalls bedrückt und vielleicht auch ratlos, wieviel man fiktiven Figuren eigentlich zumuten darf.
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