Peter & Wendy

Die Geschichte von Peter Pan, dem Jungen, der nicht erwachsen werden will, und seinem Widersacher, dem fiesen Piraten Captain Hook, dürfte wohl jedem ein Begriff sein. Das Märchen von J. M. Barrie bis heute bereits Gegenstand zahlreicher Verfilmungen. Die berühmteste Umsetzung dürfte dabei nach wie vor der Disney-Zeichentrickfilm Peter Pan von 1953 sein. Bei dieser Flut an Filmen ist es natürlich schwer für neue Verfilmungen, mit neuen Ansätzen aus der Masse hervorzustechen. Aber genau dies gelingt ausgerechnet der britischen TV-Produktion Peter & Wendy aus dem Jahr 2015 seit der Disney-Verfilmung 1953 mit am besten.

    

Die zwölfjährige Lucy muss aufgrund eines Herzfehlers im Londoner Great Ormond Street Hospital operiert werden. Zwar geht mit der Operation laut ihres behandelnden Arztes Dr. Wylie nur ein geringes Risiko einher, doch trotzdem ist Lucys Mutter schwer besorgt um das Leben ihrer Tochter. Lucy versucht im Vorfeld der Operation stark zu bleiben und mit den Risiken, die mit der Operation einhergehen, umzugehen. Dabei helfen ihr nicht nur die freundlichen Angestellten des Krankenhauses, sondern auch die Geschichte von Peter Pan. Die berühmte literarische Figur hat zu dem Krankenhaus eine ganz besondere Beziehung, und nach und nach beginnen für Lucy die Grenzen zwischen ihrem bangen Krankenhausalltag und den Abenteuern, die Wendy und die anderen Kinder im fernen Nimmerland in J. M. Barries Roman erleben, zu verschwimmen.

Bemerkenswerter Ansatz mit schöner Botschaft…

Was Peter & Wendy aus der großen Masse an Peter Pan-Verfilmungen hervorhebt, ist das Setting. Zwar haben auch schon andere Verfilmungen, wie beispielsweise Hook, versucht, den klassischen Romanstoff von einer anderen Seite her anzupacken. Jedoch bewies wohl keiner dieser Versuche so viel Mut wie Diarmuid Lawrences (Emma) Fernsehfilm. Als Ausgangspunkt nutzt er nämlich den Umstand, dass J. M. Barrie die Urheberrechte an Peter Pan dem Great Ormond Street Hospital überschrieben hat. Dieses Krankenhaus und die Geschichte um die herzkranke Lucy bilden somit den Rahmen für den altbekannten Erzählstoff. Wobei es sich hierbei eigentlich um vielmehr als nur ein Rahmen handelt, spielt doch der Schwerpunkt der Handlung im Krankenhaus. Die Ausflüge nach Nimmerland sind vielmehr sporadische Fantasieprodukte Lucys, um die Belastung der bevorstehenden Operation zu verarbeiten. Dieser ganz neue Ansatz macht den Film zwar sehr interessant, jedoch sollte man wohl besser mit den Grundzügen der Geschichte um Peter Pan vertraut sein, um bei den Ausflügen nach Nimmerland nicht den Überblick zu verlieren. Das Ergebnis der Verbindung dieser beiden Erzählebenen ist ein ernster und zugleich bewegender Film über die hoffnungsgebende Kraft der Fantasie.

…und Abstimmungsproblemen

Originaltitel Peter and Wendy
Jahr 2015
Land Großbritannien
Genre Drama, Fantasy
Regisseur Diarmuid Lawrence
Cast Peter Pan: Zak Sutcliffe
Captain Hook/Dr. Wylie/Mr. Darling: Stanley Tucci
Julie Rose/Mrs. Darling: Laura Fraser
Tinkerbell: Paloma Faith
Jaya/Tiger Lily: Natifa Mai
Laufzeit 115 Minuten
FSK

Sind die beiden Erzählebenen auf der einen Seite das große Plus von Peter & Wendy, so bereiten sie dem Film auf der anderen Seite aber auch Probleme. Denn das A und O der Verknüpfung der Fantasiewelt mit den realen Ereignissen im Krankenhaus ist deren dramaturgische Abstimmung. Zu Beginn gelingt dies noch ganz ordentlich. So geht der Pfeilschuss auf Wendy, mit der sich Lucy identifiziert, in Nimmerland mit einem Herzflimmern bei Lucy im Krankenhaus einher. Und auch als Lucy entkräftet im Schwimmbecken paddelt, ist dies ganz gut mit den Schwimmszenen in Nimmerland abgestimmt.  Aber gegen Ende geht dem Film leider die Verknüpfung zwischen Lucy und Wendy ein bisschen verloren.  So läuft Lucys Operation, inklusive Herzstillstand, parallel zur Vergiftung Tinkerbells, während bei Wendys dramaturgischem Höhepunkt in Nimmerland – dem Kampf gegen Hook – die Operation bereits vorbei ist und man als Zuschauer nicht mehr das Gefühl hat, dass Lucy zu diesem Zeitpunkt unmittelbar an der Schwelle des Todes steht.  Auch am Ende trifft der Film leider nicht alle erzähltechnisch wünschenswerten Töne. Das Happy End ist zwar folgerichtig, aber leider hängt der Tod des Jungen im Rollstuhl am Ende ein bisschen in der Luft. Hier hätten Tiger Lily und ihr Bruder in Nimmerland noch ein bisschen mehr in Szene gesetzt werden müssen, so dass man als Zuschauer noch einen engeren Bezug zu den beiden Figuren herstellen kann.

Von Piraten und Verfremdungseffekten

Eine der schillerndsten Figuren des Peter Pan-Kosmos ist zweifellos die des Captain Hook. Folglich kommt auch zwangsläufig der Besetzung und Ausgestaltung dieser Figur eine besondere Bedeutung zu. Mit Stanley Tucci (Caesar Flickerman in Die Tribute von Panem) wurde der exzentrische Piratenkapitän gut besetzt. Zwar hat Hook nur wenige Auftritte, jedoch spielt ihn Tucci herrlich schräg und er liefert auch ein paar witzige Seitenhiebe auf die gehobene britische Gesellschaft ab. Was die ganze Sache jedoch so richtig abrundet ist, dass Tucci parallel auch Dr. Wylie verkörpert. Diese Doppelbesetzungen auf den beiden Erzählebenen ziehen sich durch den Film – unter anderem auch Wendy und Lucy –, wodurch die Vermengung von der Realität und Lucys Traumwelt zusätzlich verstärkt wird. Dabei ist es dann auch zu verschmerzen, dass die Piraten in dieser Verfilmung insgesamt eher etwas kurz kommen. Der Fokus liegt eben einfach auf Lucy/Wendy. Problematischer ist daher eher, dass auch Peter Pan blass bleibt. Das liegt unter anderem daran, dass Zak Sutcliffe (Der Spion und sein Bruder) recht farblos agiert. Dafür weiß Hazel Doupe (Jack Taylor: Das schweigende Kind) in ihrer ersten bedeutenden TV-Rolle ganz gut gefallen. Auch nett ist die Besetzung von Paloma Faith (Das Kabinett des Dr. Parnassus) als mittels Xylophonklängen kommunizierende Fee Tinkerbell.

Um die Verbindung von Fantasie und Wirklichkeit zu verstärken, werden bisweilen auch räumliche Elemente aus dem Krankenhaus in Lucys Fantasiewelt eingewoben. So bilden beispielswiese übereinandergestapelte Krankenhausbetten eine Insel, auf der Peter Pan mit Hook kämpft. Die Idee ist zwar nett, aber durch diesen Verfremdungseffekt besteht auch die Gefahr der emotionalen Entfremdung zwischen Zuschauer und Film.

Ich bin eher zufällig über Peter & Wendy gestolpert und hatte eigentlich keine großen Erwartungen an dem Film. Was gibt es denn noch groß über den Stoff zu erzählen, dass nicht in den diversen anderen Verfilmungen bereits ausgiebig abgearbeitet wurde? Jedoch hat Peter & Wendy eindrucksvoll bewiesen, dass die Geschichte um Peter Pan noch einiges hergibt. Die Geschichte um Lucy hat mich sofort in ihren Bann gezogen und man kann schön mit der Figur mitfühlen. So kommt dann auch in die altbekannten Elemente der Geschichte wieder Spannung. Da konnte ich es dann auch verkraften, dass Lucys Fantasiewelt nicht immer ganz passgenau mit den realen Ereignissen verläuft. Auch die Verfremdungselemente fand ich an der einen oder anderen Stelle eher etwas störend. Dafür sind die Effekte ganz okay für einen TV-Film. Insgesamt kann Peter & Wendy somit mit seiner emotionalen Wärme punkten und ist ein echter Geheimtipp, wenn man die Geschichte um Peter Pan einmal aus einem ganz neuen Blickwinkel erleben möchte.

Atticus

Atticus ist Jura-Student. Er verbringt seine Freizeit am liebsten zusammen mit Freunden oder draußen in der Natur. Darüber hinaus ist Atticus ein großer Filmfan, jedoch nicht allzu wählerisch, so dass es kaum ein Genre gibt, dem er nicht zugeneigt wäre. Auch macht es ihm nichts aus, wenn ein Film ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Außerdem liest Atticus gerne Romane. Wenn möglich Krimis, Thriller, Horror- oder Abenteuerliteratur. Aber zwischendurch darf es auch gerne einmal etwas ausgefalleneres sein.

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