Piercing
Ein von Leidenschaft getriebener Mord möchte im Vorfeld sauber geplant werden und bis ins Detail einem Ablauf folgen. So stellt sich Reed (Christopher Abbott, It comes at Night) genaustens vor, wie er ein Callgirl erst betäubt und dann zerstückelt. Doch es wäre ja langweilig, wenn ein Plan exakt so aufginge wie vorab festgelegt. In seiner abgedrehten S&M-Komödie Piercing setzt Nicolas Pesce (The Eyes of my Mother) auf Machtspiele, Erotik und vor allem Blut. Und auch der Name des Films ist Programm.
Reed hat augenscheinlich alles erreicht, was man braucht um glücklich zu sein. Frau, Kind, guter Job. Doch ein innerer Drang bleibt einfach unerfüllt. Er möchte einen Mord begehen. Damit dies nicht an seinem Kind geschieht, benötigt er einen Alternativplan. Reeds Plan ist perfide: Erst betritt ein Callgirl sein Hotelzimmer, dessen Türe er bereits so öffnet, dass er keine Spuren hinterlässt. Dann führt er die Dame in Richtung Schlafzimmer, betäubt sie auf dem Bett mit Chloroform und schleppt sie anschließend in das Badezimmer. Dort werden die Gliedmaßen dann mit einer Säge säuberlich durchtrennt. Als es schließlich zum Rendezvous mit der blonden Jackie (Mia Wasikowska, Alice in Alice im Wunderland) kommt, ändern sich die Spielregeln rasch….
Erotisches Kammerspiel
Originaltitel | Piercing |
Jahr | 2018 |
Land | USA |
Genre | Drama, Erotik, Horror |
Regisseur | Nicolas Pesce |
Cast | Reed: Christopher Abbott Jackie: Mia Wasikowska Mona: Laia Costa |
Laufzeit | 81 Minuten |
Das Drehbuch adaptiert den gleichnamigen Roman des japanischen Schriftstellers Ryū Murakami (Audition) und sorgt für einen groben Orientierungspunkt. Denn wirklich viel Handlung verbirgt sich hinter dem Titel nicht und das augenscheinlich einzige Ziel für den Zuschauer ist es, herauszufinden, welche der beiden Figuren sich über die andere erhebt. Beschränkt wird die Handlung eben auf zwei Einrichtungen. Nämlich jenes als Mordschauplatz angelegte Hotelzimmer und Jackies Apartment. Außenaufnahmen sind rar und stattdessen gibt es ein Lurken nach außen oder kilometerlange Häuserfassaden (insbesondere im Abspann).
Verbeugung vor der 70er Giallo-Ästhetik
Besprochen werden will vor allem die visuelle Ader von Piercing. Das beginnt mit Jackies Apartment, welches in schweren Rottönen liegt und mit Plastiktelefon ausgestattet ist. Das Hotelzimmer bietet Mobiliar eines 70er Jahre-Katalogs und Jackies Pelz ist so dick, dass man ihn heute kaum tragen könnte, ohne den Tierschutz an den Fersen zu haben. Der Geist Piercings schwebt in den 70ern und darauf zahlen alle audio-visuellen Mittel ein. Musikalisch dominieren die Giallo-Großmeister Bruno Nicolai und Goblin. Und damit dem Zuschauer auch kein Detail verborgen bleibt, darf er sowohl Reed als auch Jackie per Splitscreen bewundern.
Die Chemie zweiter Extreme
Sie lieben sich, sie wollen sich an die Gurgel. Das Hin und Her zwischen dem ungleichen Duo wiederholt sich mehr als einmal. Macht, Kontrolle, Gewalt und Sex sind die Treiber und jeder überdenkt zumindest einmal seinen Standpunkt dazu. Das macht Reed und Jackie nicht zu völligen Psychopathen (obwohl…), aber Sympathieträger sind beide nicht. Mitunter geht es sehr blutig zu und der Zuschauer muss mit Verstümmelung im weitesten Sinne (auch eine tatsächliche Piercing-Szene ist zu sehen) leben können, um Piercing unbeschadet zu überstehen. In eine allzu schwere Richtung rutscht die Geschichte jedoch nicht ab. Der Subtext ist humoristisch pointiert und da keine der beiden Figuren das Herz des Zuschauers erobern wird, kann man sich am Versagen beider ergötzen.
Von Alice im Wunderland zum blutrünstigen Callgirl
Christopher Abbott als schüchterner Reed fällt bis zum Auftritt von Mia Wasikowska noch positiv auf, danach ist er quasi Luft. Dafür ist Jackie eine viel zu präsente Figur. Während man das Gefühl hat, Reed recht früh schon zu kennen, bleibt Jackie bis zum Schluss interessanter als er. Mia Wasikowska verkörpert diese untypische Schönheit mit dem richtigen Maß an Wahnsinn. Das macht sie zum Star des Films, insbesondere wenn man ihre Rolle in Disneys Alice im Wunderland dagegenhält. Ihre Rolle erfordert schauspielerisch Wandelbarkeit, da sie nicht nur viele Emotionen zeigen muss, sondern sich auch auf Selbstgeißelung und Verstümmlung einlässt. Diese Performance erbringt sie souverän.
Fazit
Piercing ist ein Film, den man sich ausschließlich gewollt ansehen sollte. Kein Titel, den man sich zwischendurch reinzieht, da die Art des Tabubruchs schwer wiegt und auch nicht so leicht verdaulich ist. Nicolas Pesce legt Wert auf eine artifizielle Inszenierung und sorgt dafür, dass sein Erotikdrama nie in Gore-Spielereien mündet, sondern immer Haltung bewahrt. Viel Handlung gibt es nicht, sodass sich hinter der stilsicheren Inszenierung wenig verbirgt, das nicht auf die künstlerisch-blutrünstige Darstellung abzielt.
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