(Pri)Sons
Wann immer ein Film mit dem Superlativ ‘brutalster Film aller Zeiten’ ausgestattet wird, bedarf es im Grunde keines weiteren Marketings mehr. Und viellleicht auch einer kritischen Haltung. (Pri)Sons von Esa Jussila (Parasite Quarantine) eilt der Ruf voraus, der brutalste Film aus Finnland zu sein. Im Internet findet man Vergleiche zum südkoreanischen Gore-Heuler Project Wolf Hunting, der ein Jahr zuvor mit ähnlichen Attributen belegt wurde. Wieviel steckt unter der Haube? (Pri)Sons erscheint ungeschnitten am 28. November 2024 wahlweise auf DVD oder im 4k-Mediabook bei Busch Media. Wir haben zuvor die internationale Premiere auf dem Obscura Filmfest in Berlin besucht.
Der stille Juha (Jere Saarela, Red Static) wurde frisch aus dem Knast entlassen. Er tritt eine Stelle als Sicherheitsmann an. Sein erster Job führt in ein zwielichtiges Etablissement, in dem geheime Dinge abzulaufen scheinen. Er bemerkt, dass hier etwas nicht zu stimmen scheint. Niemand will ihm so recht sagen, was hinter verschlossenen Türen passiert, er soll einfach seinen Job machen und auf dem Wachposten bleiben. Doch nur wenig später steht eine professionelle Killertruppe vor der Türe und ist bereit, jedes Leben innerhalb des Gebäudes auszulöschen.
Sag mir (nicht), wer du bist
Originaltitel | (Pri)Sons |
Jahr | 2024 |
Land | Finnland |
Genre | Action, Horror |
Regie | Esa Jussila |
Cast |
Juha Kaivola: Jere Saarela
Jessica: Katriina Rajaniemi Koch: Veera W. Vilo Mikael Lind: Ari Savonen Nico Lind: Jarmo Pukkila Barrett: Gareth Lawrence Jon Lind: Ilkka Koivula |
Laufzeit | 100 Minuten |
FSK | Keine Freigabe |
Veröffentlichung: 28. November 2024 |
Widmen wir uns erst einmal den Kritikpunkten an (Pri)Sons: Dass der Plot auf einen Bierdeckel passt – gekauft. Dass die Figuren über nahezu keinerlei Charakterisierung verfügen – kann man zähneknirschend akzeptieren. Über Juha erfahren wir nicht viel. Er ist der stille Protagonist, auf dessen Seite wir an sich nur stehen, weil alle anderen unsympathisch oder noch weniger charakterisiert sind. Und weil das Drehbuch möchte, dass wir die Handlung durch seine Augen erleben. Am Ende wissen wir nicht sonderlich mehr über ihn als am Anfang. Alle anderen fallen in die Kategorie Freund oder Feind. Persönlichkeitsmerkmale sind dabei stets der Situation angepasst: mutig, hilfsbereit, hinterhältig. Wie diese Menschen sonst sind? Keine Ahnung. Die unausgegorene Charakterisierung ist ärgerlich und sorgt dafür, dass einem das Überleben der einzelnen Charaktere egaler ist, als es eigentlich sein könnte. Dabei wäre es doch schön, mit irgendjemandem mitfiebern zu können. Auf jede Seite wird beispielsweise eine Frau gestellt. Jessica (Katriina Rajaniemi) gehört zu den Guten, Koch (Veera W. Vilo) zu den Bösen. Wesentlich mehr werden wir über sie nicht in Erfahrung bringen, denn die Narrative sieht nicht mehr, dass irgendeine Auseinandersetzung mit irgendeiner Persönlichkeit geschehen wird. Aber wir können schonmal die Hand dafür ins Feuer legen, dass sie sich aus Gründen der Fairness irgendwann gegenüberstehen werden. Nicht falsch verstehen: Es ist völlig in Ordnung, dass die Action im Vordergrund steht. Man darf aber nicht vergessen, dass auch erzählerisch etwas stattfinden muss, dass die Zuschauer:innen mitnimmt.
Handwerklich eine sichere Bank
Lässt man diesen – nicht gerade kleinen – Kritikpunkt bei Seite, kann (Pri)Sons auf technischer Ebene mehr als nur glänzen. Esa Jussila ist ein visueller Regisseur mit einem Händchen (und Auge!) für Ästhetik. Jede Einstellung sitzt, jeder Lichteinfall ist wohlüberlegt, jeder Filter mit Bedacht gewählt. Wenn die Kamera den Figuren über die Schulter schaut, dann ist das nicht einfach ein Akt der Willkür, sondern ein Shot, der gemacht wurde, um abgedruckt zu werden. Poster-Qualität. Esa Jussila führt sein Projekt mit einer solchen Sicherheit, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Dabei handelt es sich gemäß Filmographie erst um seinen zweiten Langfilm. Sein Fokus liegt ganz klar auf der Inszenierung, zu der auch der elektrisierende Score zählt. Zunächst einmal ist dieser für sich stehend fantastisch: Jedes Stück transportiert die richtige Stimmung, mal mehr Spannung, mal mehr Coolness. Es wird überdeutlich: Hier ist jemand daran interessiert, seine Bilder mit Musik zum Leben zu erwecken. Nur: Weniger ist mehr. Schon zu Beginn ist der Score überpräsent. Bereits die ersten Dialoge sind mit spannungserzeugenden Klängen untermalt, wo noch gar nichts dergleichen notwendig ist. Das wäre dann passend, wenn es zwischendurch auch mal ruhige Passagen gäbe. Im Gegenteil: Die Musik spielt beinahe permanent, sodass man sich nach etwas Verschnaufpause sehnt. Dauerhafte Spannung auf 120 Prozent sorgt schließlich dafür, dass es mangels Kontrast irgendwann eintönig wird – so atmosphärisch das alles auch klingen mag. Angesichts der Tatsache, dass wir es den gesamten Film über mit actionreichen Szenen zu tun haben, ist das eine verpasste Chance, um ein Gegengewicht zu setzen.
Posen für Profis
Die Actionszenen punkten mit ihren Choreografien, während die Kamera auch hier eine tolle Arbeit leistet, um die Kämpfe noch knackiger zu gestalten. Allerdings schimmert auch hier wieder durch, dass es dem Regisseur vor allem um coole Einstellungen geht: Die Bewegungsabläufe sind zum Teil extrem entschleunigt, um die Charakter besonders cool in Pose zu setzen. Wenn in Zeitlupe die Schönheit des Moments eingefangen wird, kann das toll aussehen, trägt nicht aber unbedingt dazu bei, dass der Kampf dynamischer wird. Das ist zu Beginn noch nett anzusehen, wird auf die Dauer furchtbar ermüdend, wenn man verinnerlicht, dass hier das Konzept die Idee beherrscht. Die Brutalität kann sich ohne Frage sehen lassen und jeden, der auf Gore-Effekte steht, glücklich machen. Wie sich das für einen Film gehört, der in Exploitation-Gefilde hervorrückt, sind die Figuren natürlich ziemlich widerstandsfähig, um das zu überleben, was unserem Auge zugemutet wird. Warum ist es wichtig, das zu betonen? Es handelt sich um das Verkaufsargument schlechthin. (Pri)Sons kennt seine Zielgruppe und was hier mit geringem Budget auf die Beine gestellt wurde, ist beeindruckend. Bei einem Film, der auch unter dem Titel “Carnage” (= Gemetzel) läuft, will der Name Programm sein.
Fazit
In jedem Fall schafft (Pri)Sons es, einen bleiben Eindruck zu hinterlassen. Wie der ausfällt, hängt davon ab, an welcher Stelle man Abstriche machen kann: Die Präsentation ist tadellos und sogar überdurchschnittlich. Wie hier aus wenigen Mitteln viel gemacht wird, verdient Respekt. Die Over-the-top-Action reißt dabei einiges heraus. Als audio-visueller Trip ist (Pri)Sons eine Wucht. Mit dem starken Soundtrack könnte es auch ein überlanges Musikvideo sein, an dem man sich kaum sattsehen kann. Inhaltlich darf man allerdings gar keine Ansprüche stellen, denn der Schwerpunkt liegt einzig auf dem blutigen Gefecht der beiden Parteien, über die wir nicht viel erfahren. Narrativ gibt es ein großes Defizit, weil wir einer linearen Szene-an-Szene-Handlung folgen.
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