Raya und der letzte Drache
Streamingzeitalter hin oder her – manche Filme sind eigentlich für die altehrwürdige Kinoleinwand gemacht. So auch Disneys neuster Animationsfilm Raya und der letzte Drache, in welchem Zuschauer*innen die namensgebende einsame Schwertkämpferin durch die Fantasiewelt Kumandra begleiten. Wie zuvor schon die Realverfilmung von Mulan muss der Film von Don Hall (Baymax: Riesiges Robowabohu) und Carlos López Estrada (Blindspotting) sein Publikum ab dem 5. März 2021 zunächst vornehmlich über ein VIP-Ticket auf Disney+ finden, ehe der Film drei Monate später allen Abonnenten der Plattform freisteht.
Kumandra war eigentlich mal eine fast schon paradiesische Region, in der Menschen friedlich zusammen mit Drachen in einer blühenden Landschaft lebten. Zumindest bis die Druun auftauchten, eine monsterhafte Plage, welche das Land unfruchtbar und ihre Opfer als versteinerte Statuen zurückließ. Zwar haben sich die Drachen diesem Feind entgegengestellt und konnten sie mithilfe des Drachenjuwels besiegen, jedoch haben sie sich dabei selbst geopfert. Lediglich Sisu – der letzte verbliebene Drache, der die Magie des Juwels ausgelöst hat, soll der Sage nach noch irgendwo versteckt schlummern. 500 Jahre später ist von dem friedlichen Zusammensein in Kumandra nicht mehr viel übrig und die Region hat sich in fünf miteinander verfeindete Länder gespalten, die allesamt nach Teilen des Drachen benannt sind: Zahn, Klaue, Kamm, Schwall und Herz. Besonders Herz wird von seinen Nachbarländern neidisch beäugt, da es den Drachenjuwel beherbergt und der Irrglaube herrscht, dass von der Magie des Juwels der Wohlstand des Landes herrührt. Dort kommt nun auch die junge Raya in das Alter, den Drachenjuwel zu beschützen und wird von Benja, ihrem Vater und Anführer von Herz, mit den notwendigen schlagfertigen Argumenten ausgestattet, das Heiligtum vor seinen Feinden zu beschützen. Benja hat jedoch auch die hoffnungsvolle Vision, dem ewigen Kämpfen ein Ende zu bereiten und das vergangene harmonische Kumandra wiederaufleben zu lassen. Dafür hat er Delegationen aus den anderen vier Ländern eingeladen, auf dass diese wieder miteinander reden und Vertrauen zueinander fassen können. Das ist ein ehrenwertes Ziel, doch der Frieden hält nicht lange, ehe jemand versucht den Drachenjuwel zu stehlen. Dieser zerbricht infolgedessen nicht nur, sondern der Konflikt um den Juwel führt auch zur Wiedererweckung der Druun.
Nur ein Dragonball, aber fünf Splitter
Originaltitel | Raya and the Last Dragon |
Jahr | 2021 |
Land | USA |
Genre | Fantasy, Abenteuer |
Regie | Don Hall, Carlos López Estrada, Paul Briggs (Co-Regie), John Ripa (Co-Regie) |
Cast | Raya: Kelly Marie Tran Sisu: Awkwafina Namaari: Gemma Chan Boun: Izaac Wang Tong: Benedict Wong Noi: Thalia Tran Benja: Daniel Dae Kim Virana: Sandra Oh Tuk Tuk: Alan Tudyk |
Laufzeit | 117 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 5. März 2021 auf Disney+, 27. Mai 2021 im Handel |
Sechs Jahre nach diesen Ereignissen ist Kumandra – eine vom fernöstlichen Kulturraum inspirierte Fantasiewelt, ähnlich wie etwa auch die aus Avatar: Der Herr der Elemente – in einem noch chaotischeren Zustand als zuvor und Raya bereist mit ihrem Reittier Tuk Tuk (irgendwo zwischen Gürteltier und Assel) die verwüsteten Länder. Ihr Ziel ist es Sisu zu finden, in der Hoffnung, dass diese die Druun erneut stoppen kann. Raya erreicht den letzten Drachen auch tatsächlich und kann sie wiedererwecken, doch so legendär wie die Mythen sie dargestellt haben, ist Sisu keinesfalls. Eher war diese das etwas unbeholfene Nesthäkchen ihrer Drachenfamilie und ihr Haupttalent ist es, na ja, zu schwimmen … sie kann wirklich gut schwimmen, weil sie ein Wasserdrache ist. Gegen eine Horde versteinernder Monster ist das jedoch nur bedingt hilfreich. Raya, die im Chaos vor sechs Jahren zumindest einen von fünf Splittern des zerbrochen Drachenjuwels retten konnte, macht allerdings die Entdeckung, dass Sisu nach wie vor eine Verbindung zum Juwel hat und dessen Magie wirken kann. Sollte man den Juwel also wieder zusammenfügen können, lässt sich damit vielleicht auch erneut die Druun-Plage besiegen. Das Problem ist nur, dass die anderen Splitter über alle vier verbliebenen Länder verteilt sind.
I’m on a Boat
Von da an beginnt nun also der Roadtrip (bzw. Boattrip) durch Kumandra, um den Juwel wieder zusammenzufügen. Dabei stimmt besonders die Dynamik zwischen Raya und Sisu: Die eine inzwischen eine abgehärtete Einzelkämpferin, die jedem grundsätzlich misstraut. Die andere mit ihrer fünfhundert Jahre alten, naiven Weltsicht aus dem paradiesischen Kumandra, als sich jeder noch vertraut hat und man gegenseitige Hilfe ganz leicht mit großzügigen Freundschaftsgeschenken regeln konnte. Daraus ergibt sich natürlich einerseits ein komischer Kontrast, andererseits führt Sisu damit auch den versöhnlichen Einfluss von Benja auf Raya fort. Trotz ihres Misstrauens gegenüber anderen wächst Rayas Reisegesellschaft mit jedem Länderbesuch an und bald findet sie sich neben Sisu in der Begleitung von Bootsrestaurant-Unternehmer Boun, Säuglings-Diebin Noi (mitsamt Affenbande) und dem explizit furchterregenden Krieger Tong wieder. Neben den Druun – Lost-artige Nebelmonster, in denen purpurne Blitze pulsieren – muss sich Raya und ihre Drachengefolgschaft auch mit ihrer Gegenspielerin Namaari duellieren. Die kampfkünstlerischen Auseinandersetzungen der beiden Gegenspielerinnen sind dabei mit jedem Zusammentreffen spektakulärer anzusehen und werden zudem von einer zunehmenden Feindschaft auf einer persönlichen Ebene auch emotional getragen.
Klare Botschaft
Disney präsentiert mit Raya und der letzte Drache eine gewohnt überzeugende Mischung aus unterhaltsamer Komik, Action und auch rührenden Momenten. Prägendes Thema des Films, das von Anfang an durchscheint, ist dabei der Wert von gegenseitigem Vertrauen, mit dem man Konflikte lösen und sich untereinander stützen und stärken kann. Das ist ein Gedanke, der (wie auch die ihn repräsentierende Figur Sisu) sehr naiv wirkt und bei dem man sich fragen mag, ob es denn wirklich so einfach ist. Sich gegenseitig vertrauen und alles wird gut? Wahrscheinlich nicht, denn gegenseitiges Vertrauen kostet Überwindung und ist umso schwieriger, wenn es zuvor schon enttäuscht wurde. Der Film macht daraus aber auch keinen Hehl und thematisiert eben diese Schwierigkeit. Dass mit dieser Überwindung gegenseitigen Misstrauens Konfliktlösung und ein versöhnliches Zusammensein möglich ist, ist natürlich eine zeitlose Moral, wie sie für Disney-Produktionen nicht untypisch ist. In Zeiten sich immer stärker herauskristallisierenden Nationaldenkens und Menschen, die während einer Pandemie eher ihre eigensüchtig hässliche Seite zeigen, ist es jedoch eine Nachricht, eine wichtige Nachricht, die auch aktuell einen Nerv trifft.
Licht und Klang
Optisch präsentiert sich der Film mit einem überwältigenden Detailreichtum, den man bei so einer Produktion natürlich erwarten kann. Bemerkenswert ist er jedoch trotzdem, da der Streifen durch die Pandemie, deren Namen nicht genannt werden soll, ungewohnt dezentralisiert entstanden ist, mit zahlreichen Abteilungen, die vornehmlich von zu Hause aus daran gearbeitet haben. Positiv auffällig sind dabei besonders die Lichteffekte zum Beispiel in Form der wabernden Lichtmassen der Druun, aber auch im Film insgesamt. Der Schein der Sonne, Lichtquellen und ihr Schattenwurf sind – durch die animierte Künstlichkeit hervorgehoben – bewusster wahrnehmbar als in einem Realfilm und verleihen dem Film ohne 3D-Brille eine ungewohnte dreidimensionale Tiefe. Auch ohne Gesangseinlagen glänzt der Film zudem musikalisch durch einen facettenreichen Soundtrack von Komponist James Newton Howard (Der Schatzplanet) und der Voicecast ist ebenfalls hochwertig bestückt. Fast konsequent mit Darstellern mit asiatischen Wurzeln besetzt, finden sich hier beispielseise Kelly Marie Tran (Star Wars: Episode VIII – Die letzten Jedi) als Raya, Awkwafina (Jumanji: The Next Level) als Sisu oder Gemma Chan (Humans) als Namaari wie auch Daniel Dae Kim (Lost), Sandra Oh (Killing Eve) oder Benedict Wong (Doctor Strange). Weniger namhaft, aber dafür nah an den Originalstimmen gehalten und im Wortwitz gut übersetzt, ist die deutsche Synchronisation rund um Christina Ann Zalamea, welche ebenfalls durchweg überzeugen kann.
Fazit
Die erzählte Geschichte hätte wahrscheinlich auch locker für eine Serie gereicht. Trotz einer Laufzeit von (nur) etwas unter zwei Stunden fühlt sich der Raya und der letzte Drache jedoch nicht überfrachtet an und besonders die Dynamik zwischen Raya, Sisu und Namaari sorgt dafür, dass auch figurentechnisch nicht nur an der Oberfläche gekratzt wird. Die Geschichte weiß zu unterhalten, Raya ist eine sehr coole Protagonistin und optisch wie auch von der Vertonung her hat mich der Film, an dem ich nichts Negatives finden kann, vollauf überzeugt, sodass es bei mir über kurz oder lang bestimmt nicht beim einmaligen Ansehen bleibt. Ob sich das VIP-Ticket lohnt oder man lieber noch wartet, wird wohl jedem selbst überlassen sein, aber einen Kinobesuch wäre der Film in jedem Fall wert gewesen.
© Disney
Im Handel erhältlich:
Der Dragonball-Vergleich ist gut. Ich habe die Handlung schon als dezent überfrachtet wahrgenommen und irgendwie sollte das auch kein großes Ganzes ergeben. Irgendetwas fühlte sich beim Schauen einfach komisch an und dann sah ich die Credits. Acht Drehbuchautoren. Acht! Und genau so fühlt sich Raya und der letzte Drache auch an: Wie eine große Gruppenarbeit, in der viele Ideen zusammenkommen. Insgesamt aber dann mit erstaunlich profillosen Figuren, vor allem auf der bösen Seite. Im Grunde finde ich die erste Viertelstunde am stärksten, danach wird es dann ziemlich vorhersehbar und auch überraschungsarm. Immerhin fehlt ein Prince Charming.
Am besten gefällt mir eigentlich das Baby. Wieso das so ist, weiß ich auch nicht, denn die Figur bleibt ja komplett farblos. Aber in manchen Szenen ist die Kleine so trollig, dass sie schon wieder als Comic Relief Spaß macht. Raya selbst tut nicht weh, ist aber auch so typisch für eine Protagonistin der Post-2000er: Heldenhaft, leicht sarkastisch und neugierig. Aber eben ohne etwas Eigenes. Sisu nervte mich, wann immer sie im Bild war. Egal ob in Drachenform oder menschlich, eine totale Chaostante, aber immerhin passend besetzt mit Awkwafina.
Visuell ist der Film erwartungsgemäß über allen Zweifeln erhalten, da gibt es nichts zu motzen.
Wirklich kein schlechter Film, aber insgesamt wird mir die Disney-Schablone zu stark bedient und inhaltlich geht man viel zu stark auf Nummer Sicher. Es ist schon wieder zwei Wochen her, dass ich den Film gesehen habe, aber die (gedankliche) Haltbarkeit finde ich bei anderen Disney-Titeln erschreckend höher.
Mir hat der Film ausgesprochen gut gefallen. Ich finde zwar, dass die Handlung zu großen Teilen vorhersehbar ist, aber das tut dem Spaß keinen Abbruch. Raya ist natürlich cool und Sisu ist als naive Chaotin recht witzig. Es ist auch spannend, dass Raya und Sisu damit quasi gegensätzliche Extreme voneinander sind: Raya als jemand, der Menschen einfach nicht (mehr) richtig vertrauen kann und Sisu als diejenige, die blauäugig einfach jedem vertraut. Das Baby hab ich ja irgendwie auch sehr ins Herz geschlossen, einfach richtig süß die Kleine. Das Finale mit Raya und Namaari hat mir auch extrem gut gefallen, allgemein hat mich der letzte Part doch stark zum Weinen gebracht, obwohl man bei Disney ja eigentlich weiß, dass am Ende alles gut wird. Aber das spricht zumindest für den Film.
Besonders toll finde ich auch den Soundtrack, da sind super Stücke dabei. Und optisch lässt sich ohnehin nicht meckern, auch wenn ich mich an die Optik komischerweise erst einmal gewöhnen musste.