Roar
“Roar” – ein Titel, der im wahrsten Sinne des Wortes nach Ausspruch schreit, aber mit Blick auf den Inhalt des Films so clever benannt wurde, wie wenn jemand seine Schimmelstute ‘Blacki’ nennt. Denn in augenrollender ironischer Gegenteiligkeit ist das Debüt von Regisseur Ryô Katayama traniger erzählt als ein Poetry-Slam einer Faultier-Kolonie. Ursprünglich im Februar 2020 in Japan erschienen, wurde im Zuge der Online-Ausgabe des Japan Filmfest 2020 die Geschichte mehrer irrig durch die Stadt wankender Charaktere zur Schau gestellt, die am Ende auch tatsächlich kurz ihre Ohnmacht herausbrüllen dürfen. Der einzige, der aber wirklich wütend aufschreien darf, ist der Zuschauer, der sich durch den Erzählsumpf zehren muss.
Makoto (Ryô Anraku), jüngerer Sohn einer Durchschnittsfamilie, angesiedelt in Fukui, an der Westküste Japans, hat im Tragödien-Lotto den Hauptgewinn gezogen. Krimineller älterer Bruder, der die Familie entehrt, mürrischer Vater, der der Entehrung mit einem Hanfseil entgeht und eine achselzuckende Mutter, die sich vermutlich schon einmal vorsorglich den Seilhersteller notiert. Der von den Ereignissen überforderte Jüngling nimmt sogleich die Beine in die Hand und landet auf kurz oder lang in der Abstellkammer eines Vagabunden (Ryô Katayama), der gegen Geld Fausttänze aufführt und schweigsamer ist als ein vegetarischer Gummibärchen-Liebhaber, dem man gerade die Herkunft von Gelatine erklärt hat. Der andere Geschichtsfaden, dem man folgt, und sich hinterher behelfsmäßig mit Makotos Familienglück verknotet, handelt von Hiromi (Mie Ohta). Sie leiht einer Radioshow ihre Stimme und ihrem Chef ihren Körper, wobei die Affäre ihr langsam lästig wird, da ihr Turteltäuberich sich eher als aufdringliche Möwe entpuppt, die ein Fischbrötchen erspäht hat.
Do something. Please.
Originaltitel | Roar |
Jahr | 2020 |
Land | Japan |
Genre | Drama |
Regie | Ryô Katayama |
Cast | Makoto: Ryô Anraku Vagabund: Ryô Katayama Hiromi: Mie Ohta Mayuko: Mari Kishi Kimura: Shinji Matsubayashi |
Laufzeit | 100 Minuten |
Optimistisch gesprochen könnte man sagen, dass der Film von ihren Umgang mit ihren Problemen handelt. Dummerweise liegt da allein schon die maßgebliche Krux des Ganzen, denn der Film weigert sich schlicht beharrlich, irgendeine Form von Handlung zu entwickeln, außer vielleicht der generellen ‘Und jetzt?’-Frage mit Blick auf die Situation der Figuren, die aber vehement mit einem achselzuckenden ‘Nix’ beantwortet wird. Makoto vegetiert in der Abstellkammer vor sich hin und mümmelt ab und zu ein Teilchen, das nach den ausgiebigen Nicht-Gesprächen mit seinem Retter für ihn abfällt. Hiromi wiederum darf dank Freundin mit einem neuen Männlein anbandeln, was in etwa den Effekt auf ihren stets rolligen Kollegen hat, als würde man genüsslich der zuvor erwähnten Möwe das Fischtbrötchen vorkauen und ihr die Serviette in den Schnabel stopfen. Die Zuspitzung der Eifersüchtelei und der sich ankündigende Raubvogelrachefeldzug könnten interessant sein, wenn man irgendetwas über die Charaktere, ihre Geschichte, ihre Hintergründe, ihre Hobbys oder wenigstens über ihre verflixte Lieblingsfarbe erfahren würde. Warum hat sie die Affäre begonnen? Mochte sie ihn irgendwann mal? War es für die Karriere? Hat sie bei der letzten Firmenfeier einfach den kürzesten Strohhalm gezogen? Der Film antwortet stets mit einem Achselzucken und irgendwann tut man es ihm gleich.
Eine Einstellung, sie alle zu knechten
Nach einer frenetischen Anfangssequenz würde man vermutlich bei der Verwendung der Worte ‘rasant’, ‘hastig’, ‘schnell’, ‘gemütlich’, ‘schleichend’ mit Bezug auf das Erzähltempo von der Ironie wegen Überbeanspruchung bewusstlos geohrfeigt. Die Geschichte schreitet in einem Maße voran, wie es Faultiere tun, die in Götterspeise eingeschlossen, Tai Chi-Übungen absolvieren. Besonders markant ist dabei eine Inszenierungstechnik, die man als ‘Einfach draufhalten bis einer weint’ bezeichnen könnte, in der mit meist starrer Kamera oft die generischsten Handlungen wie das Kauen eines Brots, das Abknipsen von Fingernägeln oder das langsame Herabsinken eines Garagentores in folterischer Gänze eingefangen werden. Ein bis zwei mal gelingt (um der Wahrheit die Ehre zu geben) eine solche Einstellung tatsächlich, passenderweise bei einem Charakter, der mitsamt Familie mittendrin mit einem ‘ich bin übrigens auch wichtig!’ noch dazwischen geworfen wird, damit sie für ein paar Szenen nichts machen darf, und fängt einen schönen Emotionswechsel ein. Aber da auch eine kaputte Kuckkucksuhr manchmal ein Korn findet, hält sich da die Begeisterung in Grenzen.
Finster mit Ausblick auf wenig Hoffnung
Dass sich irgendeine Anteilnahme an den Charakteren als schwierig herausstellt, wenn mitunter ihr einziger Beitrag aus stoisch albernen Schweigen besteht, sollte aber nicht zu sehr auf Kosten der Schauspieler gehen. Es gibt nur so viel, dass man machen kann, wenn die Anweisung zu lauten schien, mit hängenden Schultern durch die Straßen zu schlurfen. Bemerkenswert ist, dass selbst unter den Gegebenheiten eines Nicht-Plots noch immer der Zufall kräftig heben muss, um die Begegnungen zu tragen. Wie beispielsweise der besagte Vagabund seine Prügelopfer nur per simplem Bild in einer Stadt findet und ihnen perfekt auflauern kann, um sie dann monoton bewusstlos zu patschen, ist eine Fähigkeit für sich, die man ihm dann doch wiederum gerne zugesteht, damit er irgendwie Farbe bekommt. Nicht, dass irgendetwas an dem gekritzelten Bild des Films bunt oder fröhlich wäre, die Charaktere landen im Treibsand, gucken mit starrer Kamera dem sinkenden Treiben bewundernd zu und schreien dann kurz vor Ende ihres Kapitels nochmal kurz in die Kamera. Den Titel hat man sich ja nicht umsonst gegeben.
Fazit
Roar ist bestenfalls belanglos und zieht seine Handlung in die Länge wie ein Zwölfjähriger seinen bratschigen Kaugummi und ist dabei in etwa so ästhetisch. Die Inszenierung ist wie ein Hund, der nur einen einzigen Trick vollführen kann, egal welchen Befehl man ihm zuruft und mit der Zeit erlöscht jedes Interesse daran, sich weiter mit ihm auseinanderzusetzen. Wohlgemerkt, ich habe absolut nichts gegen ruhige Erzählweisen, aber es besteht ein gewichtiger Unterschied zwischen ruhig und öde. Wie soll ich ein Interesse an Figuren entwickeln, die weniger Persönlichkeit besitzen als meine Stehlampe, wobei ich der zumindest einen lustigeren Schirm aufziehen kann. Makoto und sein Retter sind dabei das beste Beispiel. Bis zum bitteren Ende haben sie keinen Dialog und die wenigen Sätze, mit denen sie sich bewerfen, kann man einer Hand abzählen, die ein Fischbrötchen in einem Möwenschwarm gehalten hat. Es gibt nonverbales Erzählen, selbstverständlich, aber wie man hier eine Bindung aus einem drögen Nebeneinanderhersitzen und gemeinsam eine Wand anstarren, herausziehen kann, erschließt sich mir nicht. Das andauernde Schweigen wirkt peinlich deplatziert und wenn ich noch einmal zwei oder drei Minuten lang jemanden dabei zugucken muss, wie er sich die Fingernägel knippst, ersticke ich mich an einem Teilchen. “Roar” ist kein wütender Schrei, sondern ein ohnmächtiges Gurgeln, was ganz gut zudem passt, was ich nach dem Abspann von mir gegeben habe.
© Ryo Katayama
Zitat:
Wie soll ich ein Interesse an Figuren entwickeln, die weniger Persönlichkeit besitzen als meine Stehlampe, wobei ich der zumindest einen lustigeren Schirm aufziehen kann.
Geiler Vergleich 😀