Seaspiracy
Ein vom Meer und seinen Bewohnern begeisterter junger Mann, Ali Tabrizi, entdeckt bei seinen Nachforschungen was man für die Meere machen kann, eine anscheinend globale Verschwörung. Die Netflix-Dokumentation Seaspiracy deckt die industrielle Begünstigung der Wildfischerei und das damit verbundene Aussterben der Fische auf. Regisseur Tabrizi macht es zu seiner Aufgabe, diese Umstände und Ungerechtigkeit publik zu machen. Denn um nichts anderes als um den Erhalt der Menschheit geht es. “Wenn Delfine und Wale sterben, stirbt der Ozean. Und: “Wenn der Ozean stirbt, sterben wir”.
Ohne Vorbereitung – voll ins Thema und blutigen Alltag der Fischerei-Industrie
Originaltitel | Seaspiracy |
Jahr | 2021 |
Land | USA |
Laufzeit | 89 Minuten |
Genre | Dokumentation |
Regie | Ali Tabrizi |
Veröffentlichung: 24. März 2021 auf Netflix |
Die Themen Nachhaltigkeit, Überfischung und Meeresschutz sind ein schwieriges Pflaster. 2017 fing Trabizi an sich mit der Thematik zu beschäftigen und wühlte sich an der Industrie ab. So suggeriert nach nicht einmal 70 Sekunden Laufzeit eine unkenntlich gemachte Person mit den bedrohlichen Worten: „Wenn ihr Angst habt zu sterben, solltet ihr heimfliegen“. Und dieses Szenario wird konsequent beibehalten. Das von Tabrizi angeprangerte System ist der Umstand, dass es keine Garantie für delfinfreundlichen Fischerfang gibt. Der sogenannte Beifang mit Tieren, die bei uns Gefühle und Beschützerinstinkte hervorrufen: Wale, Delfine, Schildkröten. Und die Krux ist, dass dieser Umstand einem jeden klar ist. Menschen können bestochen werden, Menschen zeigen für Profit und noch mehr Profit herzlich wenig Seele und setzen auf billige Effekthascherei. In kurzen Abschnitten und Schnitten setzt das Team von Seaspiracy den Zuschauern viele Informationshappen vor, die teilweise sehr schwer zu verdauen sind.
Die richtigen Fragen unterlegt mit brutalen Bildern als Antwort
Es bedarf keiner wissenschaftlichen Studie und Untersuchung, damit die avisierte Zielgruppe versteht, dass die Meere und das damit verbundene Habitat in Not sind. Tabrizi legt den Finger tief in die Wunde der Wale und Fische und zeigt auf, wie die Industrie scheinbar bewusst und gezielt Straftaten begeht und das Tierreich förmlich mit Fischereimethoden abschlachtet. Die führenden Nationen, Norwegen und allen voran Japan, werden von Tabrizi bloßgestellt. Sehr schnell wird dem Zuschauer aufgezeigt, wie brutal Fischer, insbesondere in Taiji, vorgehen. Während der Fischerei-Saison hat sich das Filmteam dorthin begeben und dokumentiert, wie und was, gefangen, getötet und tatsächlich verwertet wird. Zartbesaitete werden Tränen in den Augen haben, denn ja, der Mensch und die Industrie gehen methodisch, klinisch vor. Das wirkt nicht nur brutal, es sieht genau so aus. Es ist nicht „human“. Seaspiracy geht konsequent der Frage nach: Warum gibt es so wenig nachhaltige Fischerei? Warum sind internationale Fangflotten so weit in den Küsten unterwegs und dürfen Fischen, obwohl deren Quote bereits erreicht wurde?
Es gibt keine (reine) Objektivität
Welche Bereiche benötigen besonderen und gesonderten Schutz? Was ist tatsächlich die Hauptbedrohung des Meeresvegetation? Ist „nachhaltige Fischerei“ nur ein Märchen, was Menschheit und Konsument aufgetischt wird? Diese Frage stellt sich vielleicht der eine oder andere Zuschauer, denn leider verpasst es Seaspiracy, seine Zuschauer aufzuklären und zwingt sie förmlich, die Bildflut (mit klarerer Aussage: Fischerei und Fischessen sind böse) zu verinnerlichen. Das ist völlig legitim, denn das kann eine Antwort sein. Die Videoclipästhetik, vor allem aber die kurzen, prägnanten und einfachen Sätze sind ein beliebtes rhetorisches Stilmittel, viele Stimmen und das Publikum einzufangen. Die Ästhetik sowie Schnitte sind wuchtig und erdrücken den Zuschauer. Das Resultat wirkt weniger wie eine Doku, sondern mehr als ein Spielfilm. Die Musik drückt einem die Emotionen förmlich auf. Dadurch entstehen Zweifel an der Glaubwürdigkeit. Viel schlimmer als diese leisen Zweifel, ist die Selbstinszenierung Tabrizis. Wo man am Anfang als Zuschauer sehr mit dem jungen Meeresenthusiasten sympathisiert, dürfte spätestens gen Ende Ernüchterung eintreten. Tatsächlich wird, trotz allen widrigen Umständen, die Nachhaltigkeit nicht in per se in Frage gestellt. Was schlicht absurd ist, wenn man die erste Hälfte des Filmes in Erinnerung ruft. Es sei eine ethische Frage – darf man Fisch überhaupt essen? Denn Fische haben Gefühle und ein Nervensystem. Das wird als eine unglaubliche Erkenntnis präsentiert – mit einem Verweis, auf der Homepage von Seaspiracy vegane Lebensmittel im hauseigenen Shop zu erwerben.
Es fehlt an Substanz und Abstand
Die immerwährend kruden wilden Schnitte, peitschende Musik und arge Selbstdarstellung von Tabrizi nagen arg an Seaspiracys Glaubwürdigkeit. So viele Fragen in der Doku vollkommen richtig und scharf gestellt werden, bleibt den (durch die Gewalt an Delfinen erschlagenen) Zuschauern eine weitere: Ist das jetzt „alles“ real? Ein Versuch, eine Realität abzubilden, ist nicht gleich Realität. Es sollte und darf niemanden verwundern, dass Firmen einem Kamerateam unangekündigt und ohne Genehmigung keinen Zutritt gewähren. Filmen auf Marktplätzen? Selbst auf der Garten-Expo wird das nicht gestattet. Hier wird plakativ Dokutainment betrieben. Dass MSC, Mitsubishi etc. die Interview-Anfrage verneinten, muss auch nüchtern betrachtet werden. Die Meinung und Weltanschauen Andersens ist bekannt und dass nicht erst seit „Cowspiracy“. Ob eine faire und ausbalancierte Darstellung in die Dokumentation es geschafft hätte, kann bezweifelt werden. Die Informationsdarstellung gerät zu einem Thriller nach Schema F.
Fazit
Seaspiracy hat auch in der Redaktion hohe Wellen geschlagen: Das Thema berührt und geht einem sehr nah. Tabrizi schafft es ungeachtet und losgelöst von persönlichen Meinungen und Auffassungen, dass sich Zuschauer mit dem Thema beschäftigen, sich Gedanken machen und Etikette nicht einfach hinnehmen ohne sie zu hinterfragen. Der Film schafft eine Grundlage, sich mit den Themen industrielle Fischerei und Überfischung auseinanderzusetzen. Es steht außer Frage, dass ein Wandel dringend notwendig ist und die Menschheit als Konsument nicht einfach so weitermachen kann. Hierbei können keine „alternativen Fakten“ geschaffen werden. Doch es ist, wie es immer ist. Es ist nicht so einfach, wie es einige gerne hätten, u.a. die Macher von Seaspiracy. Es wird sehr plump ein moralische Zeigefinger erhoben und der komplette Verzicht auf Fisch/Fleisch als Lösung dargestellt. Es gibt keine einfache Lösung und schon gar nicht bei einer lockeren Recherche via Google. Die Erkenntnis, dass Mitsubishi einer der größten „Fische“ in der industriellen Fischerei hat, wird in der Doku als ein unglaubliches Aha-Erlebnis präsentiert und suggeriert eine bahnbrechende Entdeckung. Jedoch wurde dieses Thema bereits filmisch aufgegriffen; Parallelen mögen zufällig sein. Weiter unterschlägt der Film die Tatsache, dass fernab der „westlichen/reichen Staaten“ einige an den Pranger gestellte Länder wie Thailand, Bangladesch sowie andere „dritte Weltstaaten“ nicht die Wahl haben, sich vegan zu ernähren. Fische und Meeresfrüchte sind teilweise die einzige (sich zu leistende) (Protein-)Quelle. Dass die Fischerei auch das einzige Einkommen dieser Menschen ist, diese schiere Angst um ihre Existenz und Überlegen haben – rechtfertigt keinen Überfall. Erklärt aber die Feindseligkeit gegenüber Kameras. Hierin versagt Seaspiracy komplett und kratzt nur profan bei einigen wenigen Themen zu reißerisch an der Oberfläche. Des Weiteren fällt insbesondere während der ersten Hälfte der Doku die Selbstdarstellung Tabrizis als „Superspion“ sehr grenzwertig auf. Es entsteht der Eindruck, dass die Inszenierung und letztendlich Veganismus wichtiger als umfassende Fakten sind. Die Kernaussage “Rettet die Meere” ist wichtiger denn je, daher muss jeder Zuschauer für sich selbst, entscheiden welche Erkenntnis und Handlung von Seaspiracy abgleitet werden.
© Netflix