Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings
Mit Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings startet das Marvel Cinematic Universe in seine vierte Phase (lässt man einmal das in der Vergangenheit spielende Black Widow außen vor) und präsentiert die Origin-Geschichte eines neuen Superhelden: Shang-Chi. Shang-wer? Neben Iron Fist ist Shang-Chi wohl der bekannteste Marvel-Vertreter kunstvoller Action. Seine eigene Comic-Serie entwickelte sich allerdings nie zu einem großen Hit, weshalb die Figur einem breiten Publikum auch erst einmal unerschlossen blieb. Mit einer zunehmend den asiatischen Markt anvisierten Strategie schickt Disney nach Mulan und Raya und der letzte Drache also auch einen Marvel-Vertreter los. Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings kam am 2. September 2021 in die Kinos und entpuppte sich binnen kürzester Zeit als Kassenschlager.
Shaun (Simu Liu) und Katy (Awkwafina) sind beste Freunde und arbeiten als Pagen eines Nobelhotels. Regelmäßig streiten sie darum, wer die Luxusautos der Gäste in die Garage fahren darf. Eines Tages wird Shaun bei einer Busfahrt von unbekannten Kämpfern angegriffen, die es auf das Pendel seiner Kette abgesehen haben. Shaun und Katy bleibt nur eines: Die wahren Gründe hinter Shauns Identität herauszufinden. Denn Shaun ist Shang-Chi und wurde von seinem Vater zu einem Profikiller ausgebildet, ehe er aus dessen Obhut floh, um ein ganz normales Leben zu führen. Doch die geheimnisvolle Organisation “Zehn Ringe” sorgt dafür, dass seine Vergangenheit ihn einholt …
Die MCU-Karte expandiert
Originaltitel | Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings |
Jahr | 2021 |
Land | USA |
Genre | Action |
Regie | Destin Daniel Cretton |
Cast |
Shang-Chi / Shaun: Simu Liu
Xu Wenwu / Der Mandarin: Tony Leung Chiu Wai Ruiwen / Katy Chen: Awkwafina Xu Xialing: Meng’er Zhang Ying Li: Fala Chen Ying Nan: Michelle Yeoh Razor Fist: Florian Munteanu Death Dealer: Andy Le Trevor Slattery: Ben Kingsley Guang Bo: Yuen Wah |
Laufzeit | 132 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 12. November |
Die Pläne, einen asiatischen Superhelden in das MCU einzuführen und damit einen Schritt mehr in Richtung Diversität und Inklusion zu gehen, existieren bereits seit 2018. Doch das großangelegte Marvel-Universum befand sich damals auf dem Weg zum Höhepunkt von Phase 3 (Avengers: Endgame), sodass erst einmal Zeit verstreichen musste, um den richtigen Platz in der Timeline zu finden. Das Ziel, den asiatischen Markt zu erschließen, steht dem Film auf die Brust geschrieben. Möglichst unpolitisch, dafür mit viel Fantasy angereichert und traditionellem Flair plus fernöstlicher Kampfkunst. Ob das geglückt ist oder am Ende doch zu viele China-Klischees bedient werden, das kann man wohl nur in China so wirklich beurteilen. Was für den Rest der Welt zählt, ist vor allem, dass Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings auch für Fans im Westen verständlich, ansehnlich und spaßig ist. Black Panther bildet gewissermaßen das große Vorbild: Mit dem Film wird eine neue Welt eingeführt, die es ganz langsam zu erschließen gilt und auf der (gedanklichen) Landkarte des MCU damit einen neuen Abschnitt freizuschalten.
Unbekannter Held trifft auf bekannte Elemente
Was die Figur Shang-Chi von anderen MCU-Recken unterscheidet, ist seine völlige Unabhängigkeit gegenüber vorausgegangenen Filmen: Während Figuren wie Spider-Man, Black Panther oder selbst Captain Marvel (im Abspann von Avengers: Infinity War) in anderen Filmen eingeführt wurden, beginnt sein Solo-Debüt mit seinem eigenen Film. Völlig aus dem Nichts kommt die Geschichte von Shang-Chi dann aber doch nicht. Bereits seit Iron Man gibt es Andeutungen auf die Zehn Ringe und den Mandarin. Die Gruppierung hatte ihren ersten Auftritt als Entführer von Tony Stark, weitere Andeutungen folgten in Iron Man 2 und Ben Kingsley als Mandarin in Iron Man 3 blieb ebenso in Erinnerung. Insofern hat man bei Marvel wieder einmal den Gesamtbogen gespannt und es gibt nun endlich eine zufriedenstellende Erklärung, wer der Mandarin ist, wie er zu den Zehn Ringen kam und was es damit auf sich hat, womit hoffentlich diejenigen ihren Frieden finden, die bis heute wütend auf den Twist in Iron Man 3 sind. Davon einmal abgesehen schaut und fühlt sich Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings äußerst losgelöst vom Marvel Cinematic Universe an, sieht man einmal von einer Verzahnung mit Der Unglaubliche Hulk ab. Bis eine Mid-Credit-Scene dann die Brücke schlägt.
Casting-Formel: Seriendarsteller als Protagonist, Superstar als Antagonist
Die Rollen seines Films besetzte Cretton bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich mit asiatischen Schauspieler:innen. Dabei konnte er den Hongkong-Superstar Tony Leung (In the Mood for Love) gewinnen, was schon für genug Aufsehen sorgte. Mit Michelle Yeoh (Tiger and Dragon) und Awkwafina (Ocean’s 8) gelang es ihm, zwei weitere Namen unter Vertrag nehmen, die für hohe Popularität in den USA stehen. Das Geschwister-Duo Shang-Chi und Xianling besteht aus Leinwand-Newcomern. Simu Liu ist ein noch wenig beschriebenes Blatt und war hier und dort in diversen Serien (wie Kim’s Convenience) zu sehen. Kritisieren kann man, dass sein Shang-Chi selbst, ähnlich wie Captain Marvel in ihrem Film, vergleichsweise wenig profiliert wird. Das geschieht wohl, um genug Projektionsfläche für die Zuschauer:innen zu bieten. Simu Liu ist dahingehend jedenfalls die Blaupause. Worin er punktet, sind die Actionszenen, in denen seine Vergangenheit als Stuntman einen großen Unterschied zu anderen Darstellern in solchen Produktionen bildet. Nicht ohne Zufall erinnern viele Bewegungszeichnungen an Jackie Chan. Meng’er Zhang spielt Xialing, Shang-Chis entfremdete Schwester, die im weiteren Verlauf des MCU äußerst interessant zu beobachten sein dürfte, in diesem Film aber erst einmal Interesse durch Distanz erzeugt. Vor allem aber Tony Leungs Präsenz überschattet das Geschehen immer wieder, denn sein Wenwu ist eine außergewöhnliche Figur.
Wenwu – ein ungewöhnlicher Bösewicht
Der Bösewicht Wenwu ist ein zweischneidiges Schwert: Dass die Figur vergleichsweise viel Tiefe bekommt, liegt vor allem an der ruhigen Ausstrahlung Tony Leungs, eines Veterans des Hong Kong-Kinos. Schwieriger ist seine Aufgabe als Fiesling und gleichzeitig fehlgeleitete Vaterfigur, dessen (durch seine Terrororganisation ausgeübten) Taten nur angedeutet werden. Ihm selbst fehlt es an Glaubwürdigkeit, sich auch wirklich moralisch falsch zu verhalten. Regisseur Destin Daniel Cretton (Short Term 12) beschreibt den Film im Kern als Wenwus Geschichte. Das ist nur halb geglückt, denn trotz der fantastischen Besetzung der Figur fehlt es ihm an wichtigen Seiten, die ihn zu dem Schreckensherrscher machen, den er auch verkörpern soll. Der in Würzburg geborene Florian Munteanu (Creed II – Rocky’s Legacy) als Razor Fist gibt einen soliden Handlanger ab. Beiden Figuren muss man lassen, dass sie nahbare Charaktere sind und menschlicher daherkommen als viele ihrer Vorgänger:innen.
Kein Familiendrama ohne Sidekick
Die Handlung wird vor allem durch Rückblicke aus verschiedenen Blickwinkel getragen, sodass die Familiengeschichte abwechselnd durch Shang-Chi, seine Schwester Xialing und Wenwu erzählt wird und wie es zum Zerfall nach dem Tod der Mutter kam. Die Figuren und ihre komplexen Beziehungen zueinander verständlich zu etablieren, gelingt Cretton jedenfalls. Damit das nicht zu dramatisch wird, ist Awkwafina an Bord. Ihre Katy ist der lustige Sidekick, den sie mit Bravour verkörpert. Die Bindung zwischen Shang-Chi und Katy trägt den Film auch zu weiten Stücken, denn sie ist mehr als eine klassische Freundschaft, aber auch keine beidseitige Romanze. Ansonsten ist Katy das typische Marvel-Humor-Ventil, auch wenn es dieses Mal ohne hohe Schlagzahl an Onelinern geht. Das komödiantische Timing funktioniert, die Szenen wirken selten platt und so funktioniert das Wechselspiel zwischen modernen und traditionellen Elementen sehr gut. Bis zu einem überladenen Finale, das nicht ganz rund ist. Angesichts des hohen Detailreichtums ist es schade, dass der Film am Ende eben doch wieder in das übliche Das-Schicksal-der-Welt-Szenario abdriftet. Es muss nicht immer dick aufgetragen werden; das Publikum kann auch mit Filmen umgehen, die eine geringere Fallhöhe besitzen.
Marvel umarmt die Vielfalt des Action-Kinos
Was Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings hinsichtlich seiner Action abfeiert, ist meisterhaft: Elegant choreografiert, tänzerisch umgesetzt und von Leichtigkeit gezeichnet. Insbesondere die ersten beiden großen Actionszenen bleiben hängen: Eine brenzlige Speed-Hommage mit einem Kampf auf engstem Raume und Nervenkitzel in der Höhe eines Baugerüsts mit erstaunlichen Akrobatik-Einlagen. Die Inspirationen stammen aus dem asiatischen Actionkino: Filme wie Kung Fu Hustle und The Warriors standen augenscheinliche Pate. Wer das MCU als generisches Action-Kino mit CGI-Overkill abgestempelt hat, bekommt mit diesem Film einen Grund, genauer hinzuschauen. Im Grunde unterscheiden sich auch die bisherigen Filme (mal verspielt, mal grob-martialisch, mal zauberhaft und fantastisch) bereits. Shang-Chi bringt aber gleich eine gänzlich neue Couleur mit. Es bleibt erstaunlich, was Marvel für den 25. Film aus dem Hut zaubert.
Zwischen Mythologie und China-Kitsch
Dass Cretton viele Abschnitte im chinesischen Original belässt und mit Untertiteln versieht, kommt der Authentizität ungemein zu Gute. Mythologie ist ein wichtiges Schlagwort – mehr denn je kommt es nämlich darauf an. Denn anders als in den sonstigen Marvel-Titeln geht es um keine Quantentechnologie, keine Varianten und keine außerirdischen Kree. Shang-Chi ist tatsächlich pures Cinema Asia mit Mythologie, Monstern und verborgenen Reichen. Selbst ein Vergleich mit dem mystisch-fantastischen Asgard wird schwierig. Wie gut die chinesischen Wesen insgesamt in ein MCU passen, in dem gleichzeitig auch Hexen, Magier und Vampire vertreten sind – darüber kann man weitläufig streiten. Kultur ist niemals verkehrt, doch vor allem das Finale schrammt haarscharf am Asia-Kitsch aus der Klischeeschublade vorbei. Das wird zwar gerade noch so in die Gesamtwelt gebettet, wird insgesamt aber zu dick aufgetragen, wenn man sich einmal das gesamte MCU ansieht. Wobei: In einer Schlacht, wie man sie aus Avengers: Endgame kennt, machen ein paar Drachen den Braten auch nicht mehr fett. Bei all dem CGI-Gewimmel stößt der Film aber auch an seine Grenzen und seit Die Unendliche Geschichte hat sich nicht viel Weltbewegendes getan, wenn es darum geht, Menschen auf einem Fantasiewesen in der Luft fliegend zu zeigen.
Fazit
Destin Daniel Cretton legt eine inszenatorische Raffinesse und Energie an den Tag, die man in solcher Form bislang im MCU nicht erlebt hat. Mitreißend und dynamisch erzählt er die Geschichte von Shang-Chi und hebt sich dabei von anderen Origin-Stories ab. Tatsächlich handelt es sich sogar um einen der besten Ursprungsfilme. Würde sich das Ergebnis nur nicht so lang anfühlen, zumal auch die Qualitätskurve im letzten Drittel abflacht. Es wäre wünschenswert, dass man bei Marvel den Mut finden würde, auch mal kleine Brötchen zu backen. Es muss nicht immer die ganze Welt in Gefahr sein. Somit ist Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings am Ende doch wieder zuviel Schema F, obwohl sich der Weg bis zum Finale dynamisch, erfrischend und originell anfühlt. Denn trotz kleinerer Schwächen steht der Film für ein diverses MCU, das bereit ist, aus dem bekannten Rahmen auszubrechen und Neues auszuprobieren.
© Disney
Veröffentlichung: 19. November 2021
Lang angefühlt hat sich Shang-Chi tatsächlich, vor allem im Vergleich zu Black Widow (obwohl Letzterer deutlich mehr Schwächen hat), der ja auch keine kürzere Laufzeit aufwies. Das ist gar nicht unbedingt negativ, ich hab mich zu keiner Sekunde gelangweilt, aber ich glaube gerade durch die ausschweifende Geschichte und die verschiedenen Handlungsorte fühlt sich der Film recht langatmig an.
Auf jeden Fall bin ich von Shang-Chi sehr begeistert, insbesondere von den tollen Kämpfen. Als jemand, der schon als Kind großer Fan des Action-Kinos á la Jackie Chan war, hatte ich mich genau deshalb besonders auf den Film gefreut und wurde nicht enttäuscht! Die vielen Rückblicke haben mir auch gefallen und die Authentizität war durch die Abschnitte in chinesischer Sprache definitiv sehr hoch. Shang-Chi als Charakter finde ich auch schon ziemlich cool, vor allem in Kombination mit Katy. Ich mochte die Bindung zwischen den beiden, die eindeutig sehr tief geht, aber eben nicht unbedingt romantischer Natur ist.
Sehr positiv überrascht bin ich auch von dem Umgang mit der Mandarin-Thematik. Da war ich im Vorfeld etwas skeptisch, weil man den Charakter/Namen ja eigentlich schon auf ziemlich blöde Weise in Iron Man 3 verpulvert hatte. Aber die Bezüge sind richtig gut gelungen, das alles hat sich sehr organisch angefühlt und nicht nach dem Motto “Bitte vergesst den Mandarin-Verschnitt von 2013, jetzt machen wir es richtig”.
Das Finale war ein fantastisches und actionreiches Fest, bei dem aber auch so viel passiert, dass man gar nicht weiß, wo man hinschauen soll. Also ich fand es recht cool und vor allem unerwartet, ich hatte da einen klassischen Kampf Vater gegen Sohn erwartet und kein Kaiju-Gefecht. Stimme auch zu, dass man da gerne mal alles eine Nummer kleiner gestalten könnte, es hätte nicht um das Ende der Welt gehen müssen. Immerhin ist die Geschichte/Bedrohung ja für Shang-Chi und seine Schwester trotzdem sehr persönlich und wichtig. Nach der Mid-Credit-Scene bin ich jedenfalls sehr neugierig, wie es demnächst im MCU weitergeht.