The Avengers
Im Frühjahr 2005 kündigte Marvel erstmals an, über sein Tochterunternehmen Marvel Studios selbst Filme produzieren zu wollen. Nachdem die Helden Iron Man, Hulk, Thor und Captain America bereits mit Solo-Filmen etabliert waren, sollte in The Avengers das ultimative Spektakel stattfinden. 2010 war die Messlatte des Superheldenfilms inzwischen schon ziemlich hoch gesetzt, denn mit Batman Begins (2005) und The Dark Knight (2008) hatten Christopher Nolan und Marvel-Konkurrent DC zwei hochkarätige Publikumslieblinge beim Mainstreamkino etabliert. Für das Superhelden-Kollektiv musste nur noch der richtige Regisseur gefunden werden. Die Wahl fiel auf Joss Whedon, der sich bereits als Autor in Marvels Comic-Universum einen Namen gemacht und mit Buffy – Im Bann der Dämonen oder Firefly beliebte TV-Klassiker auf den Bildschirm gebracht hatte. Erfahrung als Filmregisseur brachte er damals nur durch Serenity – Flucht in neue Welten mit. Doch das war gar kein Vergleich gegen das Blockbuster-Budget von 220 Millionen US-Dollar, das in The Avengers floß. Der Rest ist Geschichte: Der Film war ein Kassenknüller und brachte die Superheldenmaschinerie so richtig ins Rollen.
Thors totgeglaubter Adoptivbruder Loki (Tom Hiddleston, The Deep Blue Sea) entwendet den Tesserakt au seiner unterirdischen S.H.I.E.L.D.-Basis. Mithilfe des Würfels möchte er ein Tor öffnen, durch welches eine Armee außerirdischer Invasoren die Erde erobern will. Angesichts dieser kritischen Situation sieht General Nick Fury (Samuel L Jackson, Snakes on a Plane) keine andere Möglichkeit, als das Geheimprojekt Avengers einzuleiten. Zu diesem Zweck sammelt er die größten Superhelden der Welt zusammen. Das Ziel: Die Kräfte der Superhelden Thor (Chris Hemsworth, Bad Times at the El Royale), Iron Man (Robert Downey Jr., Kiss Kiss Bang Bang), Black Widow (Scarlett Johansson, Lost in Translation), Captain America (Chris Evans, Snowpiercer) und Hawkeye (Jeremy Renner, Wind River) mit denen Hulks (Mark Ruffalo, Vergiftete Wahrheit) zu vereinen und den Aggressoren die Invasionspläne auszutreiben. Die haben allerdings wenig Lust auf Teamwork …
Ein Comic-Fan darf auf den Regiestuhl
Originaltitel | Marvel’s The Avengers |
Jahr | 2012 |
Land | USA |
Genre | Action |
Regie | Joss Whedon |
Cast | Tony Stark/Iron Man: Robert Downey Jr. Steve Rogers/Captain America: Chris Evans Natasha Romanoff/Black Widow: Scarlett Johansson Bruce Banner/Hulk: Mark Ruffalo Thor: Chris Hemsworth Loki: Tom Hiddleston Clint Barton/Hawkeye: Jeremy Renner Nick Fury: Samuel L. Jackson Maria Hill: Cobie Smulders Phil Coulson: Clark Gregg |
Laufzeit | 142 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 29. August 2012 |
Die Comic-Reihe um das Superheldenteam The Avengers erblickte bereits 1963 das Licht der Welt. Seitdem ist das Superheldenkollektiv in unterschiedlichen Comic-Konstellationen und mit unterschiedlichen Namen aktiv. Der Plan der filmischen Umsetzung war genau kalkuliert: Erst die einzelnen Helden mit ein bis zwei Filmen aufbauen, dann das Universum in einem Gemeinschaftsfilm weitererzählen, nebenbei weitere Helden einführen und das Narrativ für weitere Filme vorbereiten. Welch große Rolle der Regisseur in einem solchen Fall spielen kann, zeigt sich hier am Beispiel Joss Whedon. Seines Zeichens selbst Comic-Fan, dem hier die Ehre zuteilwird, zu bebildern, wie aus einer Gruppe von Alphatiere ein echtes Team wird. Zwar verließ er sich auf die Charakterentwürfe, sorgte darüber hinaus aber dafür, dass auch Zuschauer*innen ohne Kenntnisse der Vorgängerfilme einen leichten Einstieg finden können. The Avengers war damals jedenfalls als Marke noch nicht so zugkräftig, dass sich der Name von selbst verkaufen würde – und trotzdem gibt es die Laufkundschaft, die sich ohne jegliche Vorkenntnis in einen Film setzt und unterhalten werden will. Auch wenn er einige Zusammenhänge herstellt, wird aber doch für ein besseres Verständnis vorausgesetzt, den Tesserakt aus Captain America: The First Avenger zu kennen oder Loki schon einmal in Thor erlebt zu haben. Andernfalls bleibt deren Bedeutung einfach unklar. Trotzdem gelingt es Whedon, auch Nicht-Comic-Fans ins Boot zu ziehen, da The Avengers sich in vieler Augen vor allem auch als Actionfilm definiert. Zusammenhänge im Marvel Cinematic Universe? 2012 noch extrem unterschätzt.
Wenn Welten zusammengeführt werden
Die größte Gefahr bei einem solchen Film ist immer, die Geschichten und Welten verschiedener Figuren in einer Handlung zu vereinen. Das funktioniert: Nie entsteht das Gefühl einer zusammengeflickten Welt. Whedon lässt das Gefühl entstehen, dass jeder Charakter nun auch wirklich in diese Welt gehört und passt. Das Zusammenwachsen der Helden funktioniert dank sorgsam ausgewähler Team-Ups, aus denen vor allem das Duo Tony Stark und Bruce Banner herausragt. Zwei Wissenschaftler, die in ihren eigenen Sphären schweben und durch Captain America schließlich geerdete Verstärkung erhalten. Das ist nur eine von vielen funktionalen Figurenkonstellationen. Neben dem obgligatorischen Cameo-Auftritt von Stan Lee nimmt sich Whedon Zeit für viele Details wie etwa Tony Starks Black Sabbath-Shirts oder Hulks Seitenhiebe auf Thor. Vieles, das für Normale-Zuschauer optional gehalten ist, das Comic-Fans aber zu schätzen wissen. Dies betreffend geht The Avengers trotz Nonstop-Action auf den ersten Blick sogar in die Tiefe.
Kostspieliges Action-Spektakel
Der Vergleich ist riesig: In Serenity hantierte Joss Whedon noch mit 39 Millionen US-Dollar Budget. In The Avengers lässt er es so richtig krachen: 220 Millionen US-Dollar Produktionskosten veranschlagte der Film. Dies sind zwar die Gesamtkosten, doch man sieht dem Film trotzdem an, dass er ein beinahe größenwahnsinniges Action-Spektakel ist. In den ersten 90 Minuten warten immer wieder kleinere Action-Highlights auf. Doch der große Trumpf verbirgt sich in den letzten 40 Minuten, die eine gigantische Zerstörungsorgie anbieten. Dieser Teil spielt auf einem fliegenden Flugzeugträger und wenn die außerirdischen Invasoren mitmischen, nimmt die Materialschlacht Dimensionen an, die man sonst eher bei Michael Bay (Transformers) suchen würde. Vielen Actionszenen merkt man allerdings auch an, dass sie um nachträgliche Schnitte für den 3D-Effekt ergänzt wurden. Jene 3D-Effekte gehörten nach dem großen Erfolg von Avatar – Aufbruch nach Pandora (2009) zu dieser Zeit zum guten Ton eines Blockbusters. Aber so richtig greift der Effekt nur im Showdown, wo Zuschauer*innen auch richtig ins Geschehen gezogen werden. Unter der Action rumpelt der gewaltige Score von Alan Silvestri, der die aufregenden Kamerafahrten von Seamus McGarvey trägt. Der Schnitt von Jeffrey Ford und Paul Rubell gehört mitunter zu dem Besten, was die Animationstechnik in den 2010ern zu bieten hatte. Besonders entzückt das Auge dabei die große Schlacht, die so gedreht wurde, als würde sie ein einziges Landschaftsgemälde darstellen: Auf jedem Quadratzentimeter bleibt etwas zum Entdecken. Vom Kampf auf der Straße geht es ohne Schnitt in einer Art Staffellauf von Superheld zu Superheld weiter – zum nächsten Kampf 200 Meter weiter, hinauf zu den Flugmonstern und von dort auf das Dach eines Wolkenkratzers.
Nach außen Action, nach innen Komödie
The Avengers bleibt von seiner Tonalität her trotz der großen Materialschlacht im Showdown in Manhattan angenehm leichtfüßig. Alles geht kaputt, aber niemand kommt wirklich zu Schaden. Der Film bedient altbekannte Handlungsabläufe und bleibt vorhersehbar, ohne dass dies negativ auffällt. Denn trotz bunter Kostüme und des hohen Tempos haben wir es mit keinem der klassischen Superheldenfilme zu tun. Die Geschichte ist Motor der Handlung und die Dialoge sind an jeder Stelle bewusst platziert. Wo andere Filme viel Zeit mit bedeutungslosem Gesäusel vertrödeln, wird jeder Satz genutzt, um die Figuren weiter zu skizzieren. Die Sprüche sind nicht cool, um cool zu sein, sondern um zu zeigen, wer hinter der Fassade steckt. Im Herzen ist The Avengers irgendwo eine Komödie. Den Extralacher für deutsche Zuschauer gibt es für eine Szene, die ausgerechnet in Stuttgart spielt. Der Wiedererkennungswert des Schlossplatzes ist nicht gegeben, dafür zwingt Loki eine ganze Ansammlung schwäbischer Ausstellungsbesucher in die Knie.
Heimlicher Star: Hulk
Änderungen im Cast innerhalb einer Filmreihe oder Serie sind in der Regel immer ein Ärgernis für alle Beteiligten. Die Konsistenz leidet darunter, inhaltliche Erklärungen müssen aus dem Ärmel geschüttelt werden und die Fans toben. The Avengers hatte dahingehend großes Glück: Der Unglaubliche Hulk war nicht die durchschlagende Nummer, die sich alle versprochen hatten, und so war es auch ein Leichtes, den durch kreative Differenzen ausgeschiedenen Edward Norton als Bruce Banner zu ersetzen. Mit Mark Ruffalo wurde eine glaubwürdige Besetzung für die Rolle gefunden. Für manchen Fan ist The Avengers sogar der beste Hulk-Film, denn vor allem im Finale ist zu sehen, was mit der Zerstörungswut der Figur alles entfacht werden kann. Er stiehlt vielen anderen Figuren regelrecht die Show. Ruffalo gelingt es, dem unkontrollierbaren Titanen die nötige Tiefe und Dramatik zu verleihen, die eine Figur wie Hulk so dringend braucht. Selbst als grüner Hüne scheint noch immer genug Persona hindurch. Seine sensible Darstellung des Hulk fasst die Gespaltenheit seines Charakters in eine vielschichtige Figur. Da ist zum einen der menschenfreundliche Wissenschaftler Bruce Banner, zum anderen jenes grünliche Monster mit „breathtaking anger management issues“ (O-Ton Tony Stark).
Niemand kommt zu kurz
Doch nicht nur Hulk, sondern auch die anderen Figuren kommen für einen Team-Film erstaunlich gut weg. Immerhin war die Gefahr groß, die Kontrolle über so dominante Figuren wie Tony Stark und Thor mit ihren großen Egos zu verlieren. Tatsächlich spielt Stark eine tragende Rolle und auch Thor ist für das Verständnis unabdingbar, schon weil der Bösewicht Loki aus jenem Film stammt, doch haben alle anderen Figuren ihre speziellen Momente und bleiben dadurch in Erinnerung. Whedon weiß, worauf es ankommt und findet immer die richtige Balance zwischen Tempo und Fokus. So gelingt ihm auch der Kniff, den bislang gar nicht unterfütterten Hawkeye als Charakter zu etablieren, indem er ihn in den Anfangsminuten umkehrt und als Gegner der Avengers aufbaut. So geht er immerhin nicht unter den etablierten Stars unter, bekommt aber genügend eigene Sendezeit. Auch Black Widow darf sich endlich von der Last freispielen, nur der Sidekick zu sein. Es wird klar, warum sie – trotz der fehlenden offensichtlichen Superkräfte – dennoch ein essenzielles Mitglied der Avengers ist. Zumal der Film mit ihr in der Titelrolle 2012 noch in weiter Ferne lag. Vor allem Samuel L. Jackson darf als Nick Fury endlich etwas mehr reißen und wird erstaunlich ambivalent dargestellt. Bislang war er reiner Stichwortgeber, doch The Avengers etabliert diese für das MCU wichtige Figur vollständig. Das dynamische Zusammenspiel (oder Gegeneinanderspiel) der Protagonisten mit ihren klar definierten Schwächen, Stärken und Eigenheiten ist ein Meisterstück der Charakterführung, und der Humor, der sich aus dem Aufeinanderprallen von Gegensätzen oder gegenseitigen Foppereien ergibt, zum Brüllen komisch. In den 140 Minuten Laufzeit bekommt jeder Charakter den verdienten Raum, was selbst kleinere Kaliber wie den idealistischen Agent Coulson (Clark Gregg, The New Adventures of Old Christine) oder die stoische Agent Maria Hill (Cobie Smulders, How I Met Your Mother). Einzig die konfliktbeladene Romanze zwischen Black Widow und Hawkeye wirkt ein wenig fehl am Platz.
Loki, ein unterschätzter Bösewicht
In Thor gehörte Loki noch zu den schwächsten Gliedern. In The Avengers steigt er nun zum bedrohlichen Bösewicht auf, der vielleicht nicht mit der größten physikalischen Präsenz glänzt, dafür umso mehr mit seiner List. Loki ist anders als die bisherigen Gegner in Iron Man oder Der Unglaubliche Hulk, die überwiegend auf Stärke setzen. Für Tom Hiddleston war die Rolle der große Durchbruch, war er zuvor eher in Theaterstücken und Fernsehfilmen zu sehen. Sein Loki wird schmächtig und blass, ist gerade deswegen aber so unterschätzt, da Hiddleston ihn mit seinem bösen Charme und ätzender Ironie füllt. Verbunden mit dem wahnsinnigen Grinsen ist Loki ein würdiger Gegner der Avengers. Ein schmieriger Megalomane, dessen Motive nachvollziehbar sind.
Fazit
Die Geschichte als solche bringt wenige Überraschungen mit sich. Viel mehr schöpft The Avengers seinen unwiderstehlichen Reiz aus den Meta-Zusammenhängen und Joss Whedons Regie. Schließlich bringt der Film gleich mehrere bekannte Helden und deren Schicksale zusammen, die zuvor noch eigenständig (und unter anderen Regisseuren) auskommen mussten. In dem Sinne brilliert The Avengers als das ultimative Action-Spektakel mit Herz für seine Figuren, das sowohl neue Zuschauer als auch eingeweihte Fans an der richtigen Stelle abholt. Kein bloßes Best of, sondern ein der Höhepunkt von Phase 1 des MCUs.
© Disney
Veröffentlichung: 29. August 2012