The Dark and the Wicked
Der Tod einer nahestehenden Person ist immer eine emotionale Herausforderung. Die Welt wird plötzlich aus einer anderen Perspektive betrachtet, der Alltag gerät aus den Fugen und Prioritäten verschieben sich. Regisseur Bryan Bertino, der mit seinem Home Invasion-Thriller The Strangers (2008) einen formidablen Hit landete, widmet sich der Sterbebegleitung und vereint diese realistische Form des Horrors mit einer modernen Horror-Geschichte. Dabei setzt er wieder auf die völlige Abgeschiedenheit, in der seine Protagonisten leben und in der das Böse leichtes Spiel hat. The Dark and the Wicked ist ein Horror-Geheimtipp des Filmjahres 2022 und feiert seinen Kinostart am 14. April 2022.
Die Geschwister Louise (Marin Ireland, The Empty Man) und Michael (Michael Abbott Jr., In the Radiant City) sind nach Hause gekehrt, um ihre Mutter (Julie Oliver-Touchstone, Dropa) auf der elterlichen Ziegenfarm zu unterstützen. Derweil liegt ihr Vater (Michael Zagst, Fight Club) im Sterben. Während die Geschwister ihre Heimkehr vor allem zum Abschied nutzen wollen, wird ihnen nach und nach klar, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht …
Irgendwo im Nirgendwo hört dich keiner schreien
Originaltitel | The Dark and the Wicked |
Jahr | 2020 |
Land | USA |
Genre | Horror, Drama |
Regie | Bryan Bertino |
Cast | Louise: Marin Ireland Michael: Michael Abbott Jr. Mutter: Julie Oliver-Touchstone Vater: Michael Zagst |
Laufzeit | 95 Minuten |
FSK | |
Kinostart: 14. April 2022 |
Eine ländliche Idylle während der kalten Jahreszeit, weit und breit niemand zu sehen. Nur Ziegen sorgen für ein wenig Leben. Der Schauplatz von The Dark and the Wicked ist derart trostlos, dass man niemandem einen Aufenthalt dort wünscht und am liebsten selbst sofort weg von diesem Ort möchte, an dem jeden Moment die Welt untergehen könnte. Kameramann Tristan Nyby (The Maiden) fängt die dröge Kulisse in fahlen, erdigen Farben ein und verleiht ihr damit genau jene Trostlosigkeit, welche die schwere Thematik erfordert. Denn wie Louise und Michael bald feststellen müssen, steht es um ihre Familie schlechter, als sie es je hätten annehmen können. Die anfängliche Situation ist bereits beklemmend und noch ehe der (eigentliche) Horror loslegen kann, sind die Verhältnisse zwischen den Familienmitgliedern angespannt. Diesen inszenatorischen Kniff nutzte Bryan Bertino bereits in The Strangers, um eine beklemmende Grundsituation zu schaffen.
Finster, verstörend, pessimistisch
Mit der Erzählgeschwindigkeit geht es, gerade im Vergleich zu The Strangers, allerdings deutlich nach unten. Gemächlich schildert er die Lebensumstände der Familie, wälzt sich in der Tristesse der öden Umgebung und malt ein hoffnungsloses Bild. The Dark and the Wicked ist damit nicht nur schwerfällig, sondern halst sich auch noch die unbequeme Thematik der Sterbehilfe auf. Frühzeitig wird klar: Lustig wird es hier nicht mehr. Der Verfall schleicht voran, unaufhaltsam. Für Louise und Michael sind die Umstände schwierig. Mit dem Unterschied, dass beide andere Dinge haben, für die sie einstehen. Konfliktpotenzial: sehr hoch. Sukzessive knallt es hier und wie für alle Beteiligten wird auch für uns die Suche nach Orientierung zur Hauptaufgabe.
Erklärungsarme Reise
Womit man sich zudem anfreunden muss, ist Bertinos Erklärungsscheue: Wie die Killer in The Strangers äußerst nihilistische Motive besitzen, macht er sich auch in seinem 2020er-Film nicht auf die Suche nach ausufernden Erklärungsansätzen. Abgedroschen erscheint allerdings die Bemühung, den Film in Kapitel einzuteilen. Dieses Stilmittel wird mittlerweile in jedem Horrorfilm bedient, tut aber in den wenigsten Fällen etwas Relevantes zur Sache, so auch hier. Die zeitliche Einordnung ist auch der einzige Ansatz zur Annäherung an eine breite Masse. Denn The Dark and the Wicked ist kein Mainstream-Titel, sondern zielt auf ein Publikum ab, das den schleichenden Grusel genießen kann, ohne für alles eine Antwort einzufordern. Sowohl vor als auch hinter der Kamera ist eine Menge Talent versammelt (für Kameramann Tristan Nyby und Hauptdarstellerin Marin Ireland regnete es auf dem Sitges Filmfestival 2020 Auszeichnungen). Die schaurigen Bildkompositionen und der dissonante Score wecken “wohlige” Erinnerungen an Robert Eggers’ The Witch. Bertino inszeniert effizient und bedrohlich ohne Kompromisse. Nebenbei baut er Hommagen an bekannte Horrorklassiker ein. Ein echter Horror-Fan eben.
Fazit
Bryan Bertino bleibt sich nach The Strangers erstaunlich treu: Polternder Terror und wenig Auflösung, giftige Anspannung im eigenen Zuhause. Die wenigsten Szenen sind vorhersehbar und manche offenbaren ihren wahren Charakter erst vergleichsweise spät. The Dark and the Wicked ist ein schweres Drama, dem es gelingt, seinem Publikum an den richtigen Stellen unerwartet die Schuhe auszuziehen. Ein Film, nach dem man unbequem schläft. Der naheliegendste Vergleichstitel ist Ari Asters Hereditary, vielleicht auch Natalie Erika James’ Relic.
© Drop-out Cinema eG