The Sadness
Willkommen in der Hölle! Manche Filme kündigen sich bereits vor ihrem Erscheinen an. Und das nicht, weil die Werbetrommel eifrig gerührt wird, sondern weil um sie herum Legenden oder Mythen entstehen. Oder aber ihr Ruf hallt ihnen voraus. Robert Jabbaz’ The Sadness aus Taiwan ist so ein Fall. Zweimal durch die Altersfreigabe der FSK-Prüfung durchgerasselt aufgrund drastischer Gewaltdarstellung. Das triggert alle Fans extremer und brutaler Horror-Titel und in diesem Fall sorgte diese Art der unfreiwilligen Promotion auch dafür, dass der Film nur auf dem Fantasy Filmfest 2021 ungeschnitten gezeigt werden konnte, was dem Veranstalter volle Zuschauersäle bescherte. Der deutsche Start erfolgte nach langem Hin und Her schließlich am 15. April 2022.
In Taiwan breitet sich ein neuartiges Virus aus. Es ist das Alvin-Virus, das dafür sorgt, dass Menschen in Rage verfallen und ihren niedersten Trieben folgen: Gewalt und Sex. Die Regierung spielt den Ernst der Lage herunter, doch als sich die Infizierten in sadistische und sexuell enthemmte Widerlinge verwandeln, eskaliert die Lage und führt zu einem Blutbad. In diesem Chaos versucht Junzhe (Berant Zhu) seine Freundin Kai Ting (Regina Lei) zu finden, die er wenige Stunden zuvor noch am anderen Ende der Stadt abgesetzt hat. Auf der Suche nach seiner Liebsten begegnet er einer Welle aus Folter und Vergewaltigung …
Alles, nur kein Standard-Zombie
Originaltitel | The Sandess |
Jahr | 2021 |
Land | Taiwan |
Genre | Horror, Splatter |
Regie | Robert Jabbaz |
Cast | Junzhe: Berant Zhu Kai Ting: Regina Lei Businessman: Tzu-Chiang Wang Molly: Ying-Ru Chen |
Laufzeit | 99 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 15. April 2022 |
Die wichtigste Info vorweg: Auch wenn The Sadness nach dem nächsten großer Kracher aus Asien aussieht, handelt es sich bei dem Langfilm-Debütant Robert Jabbaz um einen Kanadier, der überwiegend in Taipeh dreht. Seine Ambition als Regisseur war es, einen ernsthaften und bösartigen, nicht aber zynischen oder humorvollen Zombie-Reißer zu drehen. Wobei es sich streng genommen nicht um Zombies handelt, sondern um Menschen, die in Wut verfallen sind. Ihre Mimik haben sie nicht mehr unter Kontrolle, Hass steht ihnen ins Gesicht geschrieben und sie wollen einfach nur vergewaltigen und ihre Opfer zerfleischen. Dieser Sadismus unterscheidet sie vom Standard-Zombie (der fast schon wieder sympathisch wirkt), der einfach nur fressen will. Und: Sie verlieren nicht ihre Fähigkeit zu sprechen, können also untereinander und mit den Opfern kommunizieren. Sie funktionieren wie Menschen, durchschauen Situationen und nutzen Hilfsmittel. Sie erinnern sich. Sie bringen ekelhafte Verhaltensweisen mit: Sensationslust, Hohn und Spott.
Exzesse der Gewalt am Rand der Verträglichkeit
Rein oberflächlich betrachtet lassen sich am ehesten Vergleiche zu Train to Busan und Peninsula ziehen: Alltag in einer asiatischen Metropole, ein schneller und früher Ausbruch, es folgen Anarchie und ein Tritt auf das Gaspedal. The Sadness nimmt ein unfassbares Tempo auf, wenn es darum geht, die Welt ins Chaos zu stürzen. Es schockiert, wie bluthaltig einzelne Szenen ausfallen und welche bestialischen Methoden die Infizierten anwenden, um ihre Opfer zu erniedrigen und ihren Trieb auszuleben: Ob Mann oder Frau, alles und jeder wird vergewaltigt. Die sexualisierte Gewalt ist gewöhnungsbedürftig und bedarf eines dicken Ausrufezeichens als Warnung. Die Vergewaltigungsszenen öffnen so oder so einen Diskussionsraum: Wie weit darf eine Geschichte gehen? Wird es zum Politikum, wenn männliche Drehbuchautoren derartige Darstellungen im wahrsten Sinne des Wortes ausschlachten? Es geschieht aber nicht alles um jeden Preis. Immer dann, wenn eine Szene kurz davor ist, zur puren Exploitation zu werden, blendet die Kamera ab und überlässt auch vieles dem Kopfkino. The Sadness ist nicht nur eine, sondern zwei Stufen brutaler als das, was das Zombie-Genre sonst so hervorbringt. Vorwerfen kann man das einem solchen Film nicht: Splatter-Titel wollen eben genau damit unterhalten. Fragwürdiger ist da schon, ob die Corona-Pandemie unbedingt Einzug ins Geschehen finden musste. Wobei das in einem Orkan aus Hass und Gewalt auch nur noch einen Tropfen auf dem heißen Stein darstellt.
Inszenatorische Wucht
Eines muss man dem Film lassen: Er sieht verdammt gut aus und besitzt starke Effekte. Wenn es splattert, dann so richtig: Fliegende Fleischbrocken, abgebissene Nasen, umherliegende Gedärme. Es wird nicht an Details gespart und manche Bildkomposition ist geradezu blutdurchtrieft. Der brummende Score drückt auf den Magen. Gerade weil The Sadness alles ernst meint und tonal weit von einer Fun-Splatterei à la Yummy entfernt ist (die einzigen Seitenhiebe gibt es auf Chinas Außenpolitik und Sexismus). Viele der ästhetischen Entscheidungen zielen darauf ab, den Look des Films düsterer und rauher werden zu lassen, obwohl sich das gesamte Geschehen bei Tag abspielt. Die Bilder von Lie-Ji Bai sind geprägt von kräftigen Farben, vielen Schatten oder dunklen Bereichen und harten Kontrasten. Von zart bis hart gibt es für alles das richtige Bewegungsspektrum.
Wozu das Ganze?
Als größter Schwachpunkt erweisen sich Junzhe und seine Freundin Kai Ting. Beide verfügen über kaum Charakterisierung. Sie sind zwar nicht unsympathisch, aber so etwas wie Persönlichkeit war offensichtlich nie Absicht des Drehbuchs. Sie dienen einfach nur dazu, an unterschiedlichen Punkten der Stadt zu starten und durch Zombie-Jagden und gewaltvolle Massaker gejagt zu werden. Das macht es schwierig, denn wenn es emotional werden soll, rührt sich nichts. Die Schicksale der Figuren lassen einen kalt, weil man sie nicht kennenlernt. Auch darstellerisch gibt es keine herausragende Besetzung. Alle Darsteller:innen funktionieren in dem, was das Drehbuch ihnen vorgibt, Raum für Überraschungen oder zur Demonstration des eigenen Talents ist so oder so kaum gegeben.
Fazit
Explizit, gnadenlos, abartig. The Sadness ist der Gore-Heuler, als welcher der Film sich anpreist: ultrabrutal und schockierend. Begriffe, die im Marketing eines jeden Films ziehen, in diesem Fall aber ernstgemeinte Prädikate darstellen. Wer auf Blut und Gedärm bei hoher Produktionsqualität steht, ist hier goldrichtig. Wessen Motto “je brutaler, desto besser” ist, macht ebenfalls nichts falsch. Der Film ist drastisch, grenzensprengend und oftmals an der Grenze des Skandals. Erzählerisch köchelt die Produktion derweil auf Sparflamme. Die Handlung besitzt keine Antriebsfeder, die Figuren eine simple, aber immerhin nachvollziehbare Motivation, sonst bleibt narrativ alles dünn. Nicht jeder Zombie-Titel muss der Prämisse folgen, Charakterisierung à la The Walking Dead in den Fokus zu rücken. In diesem Fall ist das aber zu wenig, um als Dienst nach Vorschrift durchzugehen. Nichtsdestotrotz: The Sadness hat das Zeug dazu, dass noch lange darüber gesprochen wird. Und den Werdegang von Robert Jabbaz wird man weiterhin beachten.
© Capelight Pictures