Werewolf by Night
Die vierte Phase des Marvel Cinematic Universe besitzt nur lose einen roten Faden und macht es sich zur Aufgabe, zahlreiche neue Figuren einzuführen und Handlungsstränge zu eröffnen. Regelmäßig erscheinende Disney+-Serien tragen einen gewaltigen Teil dazu bei, dass der Erzählkosmos kontinuierlich wächst. An allen Ecken und Enden wird verbunden, verknüpft, verzahnt. Da ist es beinahe eine erschreckende und vielleicht auch erfrischende Ausnahme, wenn ein Format erscheint, das ganz für sich steht: Werewolf by Night spielt zwar im MCU, weist aber keine Verbindungen zu vorherigen Werken oder Figuren auf. Der fast einstündige Film erschien am 7. Oktober 2022 als Halloween-Special auf Disney+. Fest steht allerdings schon, dass wir einige Figuren auch zukünftig wiedersehen werden. Nach Göttern, Hexen und (angekündigten) Vampiren, sind nun auch die Monster los.
Nachdem der legendäre Monsterjäger Ulysses Bloodstone verstorben ist, verlangt der Bloodstone, sein mächtiges Artefakt, nach einem neuen Besitzer. Ulysses’ Tochter Elsa (Laura Donnelly, The Nevers) erhebt Anspruch, doch ihr Vater hat vor seinem Tod andere Pläne veranlasst. Da Elsa ihm zu Lebzeiten den Rücken kehrte, ist sein letzter Wunsch, dass nur der fähigste Jäger in den Besitz des Steins kommen dürfe. In einem Wettbewerb sollen mehrere eingeladene Monsterjäger ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen, indem sie einem finsteren Wesen den Garaus machen. Wer gewinnt, soll den Stein erhalten. Jack Russell (Gael García Bernal, Mozart in the Jungle) ist einer von ihnen. Mit mehr als 100 Opfern liegt er an erster Stelle und gilt damit als heißester Anwärter. Doch er schmiegt andere Pläne als Monster zu jagen …
Bereits 2001 wurde mit ihm geplant
Originaltitel | Werewolf by Night |
Jahr | 2022 |
Land | USA |
Genre | Horror, Action |
Regie | Michael Giacchino |
Cast | Jack Russell / Werewolf by Night: Gael Garcia Bernal Elsa Bloodstone: Laura Donnelly Verussa Bloodstone: Harriet Sansom Harris Jovan: Kirk R. Thatcher Azrael: Eugenie Bondurant Liorn: Leonardo Nam Ted / Man-Thing: Carey Jones |
Laufzeit | 55 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 7. Oktober 2022 auf Disney+ |
Die erste Comic-Inkarnation des Charakters Werewolf by Night (alias Jack Russell) erschien 1972 in Ausgabe #2 von Marvel Spotlight. Nach einem ersten Test stellte sich die Figur als interessant genug heraus, um weiter mit ihr zu arbeiten, sodass sie ein halbes Jahr später schließlich ihre eigene gleichnamige Heftserie erhielt. Fünf Jahre und 43 Ausgaben stark war das Erscheinen von Werewolf by Night. Anschließend tauchte die Figur vor allem in Verbindung mit Moon Knight auf, war aber auch in anderen Marvel Comics ein gerne gesehener Gast. 2020 erschien Werewolf by Night in einer neuen Serie mit einer zweiten Inkarnation namens Jack Gomez. Schon lange bevor die Figur ins Marvel Cinematic Universe eingeführt wurde, gab es Pläne für eine filmische Adaption. Die Spur führt zurück bis ins Jahr 2001, als sich die Produktionsgesellschaft Dimension Films die Lizenz an der Figur sicherte und nach dem Erfolg von Spider-Man und X-Men Blut geleckt hatte. Diese Marvel Comics schienen also doch als Spielfilme zu funktionieren, wenn man sie nur richtig aufzog. Danach ging es nur noch schleppend voran: 2003 wurden Drehbücher geschrieben, 2004 sollte die Produktion vorbereitet werden. Zeit zog ins Land. 2006 sollten Regie und Cast bekanntgegeben werden, doch schließlich fand sich das Projekt in der Entwicklungshölle wieder und wurde schlussendlich nicht realisiert. Danach sprach man nicht mehr darüber und großartig bekannt wurden die Pläne ebenfalls nicht. Bis Marvel Studios-Chef Kevin Feige 2021 bekannt wurde, dass der Stoff in Form eines Halloween-Specials erscheinen sollte.
Liebesbrief an das klassische Horrorkino
Halloween-Special im MCU? Seltsam, aber so steht es geschrieben. Das “Cinematic” ist schon längst ein sehr dehnbarer Begriff, haben wir neben den regulären Filmen des MCU schließlich seit 2020 auch Serien, diverse One-Shots, eine Kurzfilm-Serie (Ich bin Groot) und nun auch noch Special Features. Dem Überblick alles andere als bekömmlich, aber als Marvel-Fan kann man über den immensen Output im Grunde nur dankbar sein. Bereits der Blick auf die Namen hinter den Kulissen gestaltet sich spannend: Michael Giacchino ist eine Score-Legende Hollywoods. Diverse Ableger von Star Trek, Star Wars, Jurassic Park und natürlich des MCUs gehen auf sein musikalisches Konto. Als Regisseur sammelte er bis dahin nur bei Kurzfilmen Erfahrung, doch es handelte sich hierbei um sein Wunschprojekt, das er an Kevin Feige herantrug und er ging dieses an, als handle es sich um eine Folge von Twilight Zone. Inspiriert wurde sein Langfilm-Debüt von Horrorfilmen der 1930er und 1940er wie The Wolf Man (1941), sowie generell allen Monsterfilmen von Universal Pictures aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa Die Mumie (1932), Der Unsichtbare (1933) oder Frankenstein (1931). Überdeutlich wird das daran, dass der Film vollständig in schwarz-weiß gehalten ist. Plus den fast nicht vorhanden Effekten: Statt Transformationen von Monstern zu zeigen, schwenkt die Kamera weg und wir sehen die sich verändernden Schatten. Ansonsten wecken vor allem die Kamerawinkel nostalgische Gefühle, welche sich immens von heutigen Produktionen unterscheiden.
Das MCU ab 16 Jahren
Auf erzählerischer Ebene kränkelt Werewolf by Night daran, dass die Handlung rein actionorientiert ist. Die Einführung fällt knapp aus, die Figuren werden dem Publikum nicht an die Hand gereicht. In nur 50 Minuten bleibt nicht viel Zeit, um die Charaktere mit vielen Details zum Leben erwecken. Was sehr schade ist, denn vor allem die beiden Hauptrollen sind erstklassig besetzt. Gael García Bernal und Laura Donnelly gilt es in ihren Rollen kein einziges Mal zu hinterfragen. Zwei charismatische Figuren, die aber auch die einzig sympathischen sind. Alle anderen trumpfen überwiegend durch ihr Erscheinungsbild auf, wie etwa die markante Eugenie Bondurant (Tigris in Hunger Games) als Azrael. Inhaltlich werden keine Bäume ausgerissen: Das Motiv Kampf als Wettbewerb liefert vor allem dynamische Bilder, die wie immer stylisch durchchoreografiert sind. Erst zum Ende hin wird deutlich, dass dies die Einführung von Jack und Elsa ist, die schließlich in der Gegenwart ankommen, in der es farbig wird. WandaVision lässt grüßen! Für Marvel-Verhältnisse ist viel explizite Gewalt zu sehen, hartgesottene Horror-Fans werden davon maximal Notiz nehmen. Je nach Sehgewohnheiten kann die Wahrnehmung hier sehr auseinanderdriften. Dennoch handelt es sich um das erste Projekt des MCUs, das eine Altersfreigabe von 16 Jahren erhalten hat.
Fazit
Viel Süßes, wenig Saures – und trotzdem nicht für jeden leicht bekömmlich. Der Rahmen des “Halloween-Specials” hätte nicht zwingend sein müssen und wirft die Frage auf, warum das MCU an Feierlichkeiten gebunden sein sollte und ob das nur geschieht, da Disney+-Strategie diesen Kurs bereits mit Die Simpsons und Star Wars fährt. Trotzdem mag das Format vielen entgegenkommen, die sich hinter keine Serie klemmen möchten und einfach mal wieder eine Stunde Unterhaltung aus dem Haus Marvel erleben möchten. Nicht zu langatmig, dynamisch und aufwendig produziert. Anzumerken ist vor allem, dass Werewwolf by Night von allen Filmen der letzten Jahrzehnte, die versucht haben den Geist der Universal-Monster-Filme aus den Dreißigern wiederzubeleben, auf überwältigende Weise am meisten überzeugt. Als Eintrag im MCU steht der Film (zunächst) für sich und kann daher ebenso übersprungen werden, wenn man beispielsweise mit der Schwarzweiß-Aufmachung Probleme hat. Denn machen wir uns nicht vor: Soviel Nostalgie kann nicht jede Generation erreichen und derart weit zurückliegende filmische Epochen sind eher etwas für Filmenthusiasten als das breite Publikum.
© Disney