Blind Fate: Edo no Yami

Viele Buben und Bubinnen träumen davon, einmal augmentierter Cyber Ninja zu werden. ‚Aber‘, werden sich viele berechtigt fragen, ‚was ist, wenn ich durch eine Begegnung mit einer rachsüchtigen mehrschwänzigen Gottheit meine Arme, Augen, Beine und quasi alle Haare eingebüßt habe? Kann ich es immer noch werden?‘ In der Tat eine wohl vertraute Sorge, aber Ninja-Metalldämonen-Jäger-Ausbilder / Entwickler Troglobyte Games und K.I.-Implantantlieferant / Publisher 101XP liefern mit dem 2D-Action-Sidescroller Blind Fate: Edo no Yami, das im September 2022 erschien, eine beruhigende Antwort: Der Verlust quasi aller Gliedmaßen und vorteilhaften Haarprachten ist überhaupt kein Problem, im Gegenteil, es ist sozusagen Voraussetzung für das Leben als kanonenarmiger Katana-Schwinger der verschraubten Sorte. Bleibt nur zu überlegen, ob sich in einem solch gut bedachten Genre die Ausbildung zum apathischen Aggro-Apparat-Amputeur wirklich lohnt.

Anm. der Redaktion: Der Playthrough des Reviews basiert auf der 1.01 Version des Spiels. In der Zwischenzeit wurden gerade mit Hinblick auf Balance und die Funktion der Ausdauer, die im Text kritisch angesprochen werden, von den Entwicklern in einem neuen Patch Änderungen vorgenommen, die hier entsprechend nicht berücksichtigt werden konnten.

In einer düster-cyberpunkigen Edo-Periode wimmelt es nur so von metallisch-monströsen Youkai – Dämonen direkt aus der Mythologie entsprungen – und schaffen mit ihrem zerstörerischen Treiben Arbeitsplätze für schwer schwertbewaffnete Jäger, die sie fachgerecht recyclen. Einer von ihnen, faktisch der hochangesehenste Maschinenmassakrier des Shogun, ist Yami. Jedoch hat er bei einem seiner jüngsten Aufträge eine Begegnung der schwarzrittrigen Art und kann sich mit seinem Kontrahenten nicht einmal auf ein Untentschieden einigen, bevor die erboste Youkai-Göttin ihn selbst furios filetiert. Statt mit einem letzten Röcheln den Schwertarm niederzulegen, bekommt er von einer sich erbarmenden anderen Gottheit, Tengu, neben allerlei Implantanten und einer Cyber-Maske einen Kanonenarm obendrauf. Yami mag zwar sein Augenlicht, seine Arme, Beine, Haare und ein Stück Ohr eingebüßt haben, aber seine Aufgabe … sie bleibt weiter bestehen.

Der erste Arbeitstag

Originaltitel Blind Fate: Edo no Yami
Jahr 2022
Plattform PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox X/S, Nintendo Switch
Genre 2D-Action-Sidescroller
Entwickler Troglobyte Games
Publisher 101XP
Spieler 1
USK
Veröffentlichung: 15. September 2022

Wer den Job von Yami in Blind Fate: Edo no Yami übernehmen will, sollte erst einmal die Grundlagen verstehen. Es handelt sich hier um einen 2D-Action-Sidescroller in einer mechanisch-mythologisch gemischten 3D-Umgebung, soll heißen: Gelaufen wird von links nach rechts oder andersrum, keine Zeit für Quereleien. Dein surrendes Cyber-Schwert ist dein bester Freund, dein Kanonenarm wiederum derjenige, dem du sagst, er wäre dein bester Freund, weil du Angst davor hast, wie es deine Beziehung verändern würde, wenn er die Wahrheit herausfindet. Er ist wichtig, aber nicht unersetzlich. Und aufgrund von Munition nur begrenzt einsatzbereit. Wer keine Ausweichrolle vor- und rückwärts und nach Doppelsprung in der Luft kann, muss sich gar nicht erst bewerben. Eine ordentliche Ausdauerleiste ist ebenfalls von Vorteil, denn so eine Jagd kostet Energie und wer zu oft in eine Metallfaust rennt, wird schnell merken, dass die Uniform nur begrenzt Medikits enthält. Daher auch auf das Kleingedruckte achten: Für die eigene Gesundheit ist man selbst verantwortlich, für verlorene Gliedmaßen, wie das Beispiel zeigt, wird definitiv keine Haftung übernommen. Aber keine Sorge, wer sich anstrengt und Erfahrung sammelt, wird mit der Zeit neue Tricks erwerben, als würde er einen waschechten Fähigkeitsbaum erklimmen. Und wer aufpasst, sich in der Welt umschaut, kann sich weitere Upgrades verdienen, die die eigenen Parameter anheben.

Eine Tätigkeit für alle Sinne

‚Aber Moment‘, wird da vermutlich gerufen, ‚Wie soll ich mich denn umschauen, wenn mir eine fangzähnige Füchsin meine Pupillen perforiert hat?‘ Sehr gut aufgepasst. Aber auch gar kein Problem, denn wie es so schön heißt ‚Wem ein Sinn fehlt, der hat hoffentlich eine Cybermaske, die die Umgebung für ihn als Datenkonstrukt darstellt‘. Alte Weisheit, die auch und gerade bei neumodischen Ninjas greift. Nur aufpassen: Die Daten sind nicht immer akkurat und die Feinde nicht automatisch eingespeichert, aber wofür hat man schließlich Ohren, Nase und einen Rundumhitzesensor? Auf all diese Sinne kann sich im Kampf fokusiert werden, um so die erst einmal unsichtbaren Feinde aufzuspüren und anschließend aufzuschlitzen. Jede Interaktion mit dem Feind (angreifen, blocken, schießen) macht sie für gewisse Zeit sichtbar und wer besonders unnachgiebig bleibt, sie mit Hieben eindeckt, kann eine Leiste füllen und einen Schwachpunktangriff aus der Scheide lassen, der in typischer Samurai-‚Wusch‘-‚Zisch‘-‚Wegstecken-der-Klinge‘-Manier massiven Schaden anrichtet. Wobei ‚massiv‘ vielleicht etwas … optimistisch ausgedrückt ist und mehr ‚an der Lebensleiste erkennbar‘ heißen sollte. So ein Jägerleben hat eben seine Mäkel und Macken.

Tückische Arbeitsbedingungen

Blind Fate: Edo no Yami liegt in einem üppig gefüllten Genre, egal ob mehr die Erkundung betonende Metroidvanias, kampflastige Roguelikes- und -lites oder ein Mischmasch aus beiden; es gibt viele offene Stellen zu denen sich der geneigte Haudrauf/Dungeonerkunder/Masochist sich hingezogen fühlen könnte. Und die schnittige Schaltkreisschnetzelei wird von einigen Problemen beschwert. Der maßgeblichste und unmittelbare Kurzschluss besteht in Balance-Schwierigkeiten. Während Yami selbst, je nach ausgewähltem Härtegrad des Abenteuers, schon nach wenigen wuchtigen Schlägen entehrt am Boden kriecht, scheint er selbst, möglicherweise aus vergrabener pazifistischer Überzeugung, nur mit einem Schaumschwert auf die Metallpanzer seiner Kontrahenten einzudonnern. Gerade am Anfang, bevor die ersten Schadensupgrades den Weg ins neuronale Netzwerk finden, kann es gerne mal drei bis vier gestandene Schwachpunktangriffe brauchen, bis ein Standardgegner Fahne wedelnd zum Schrottplatz hinkt. In Kombination mit einer schnell keuchenden Ausdauerleiste entschleunigt es das eigentlich aggressiv gedachte Gameplay ungemein. Da die Gegner obendrein ihre Schwachpunktleiste schneller abbauen als ein Tsunami eine kindliche Sandburgsiedlung, wird es speziell gegen die klopsigeren Bosse mit ‚Cant touch this‘-Attacken-Attitüde herausfordernd, zum kritischen Hieb anzusetzen und man wird daher meist auf Basis-Angriffe reduziert.

Sinn und Unsinn

Die daraus resultierende Langwierigkeit der Kämpfe kratzt gehörig an der Idee des gewandten schwertmeisterlichen Cyber-Ninjas, denn die Angriffsmuster, die die Feinde aufbieten, sind nicht variantenreich genug, um zu verhindern, dass die Kämpfe eher zu einem repetitiv bis frustrierenden Trott verkommen. Mit Anpassung des Schwierigkeitsgrades und wenn die ersten Upgrades hereinrollen, bessert sich die Lage. Zudem handelt es sich hier um ein leicht anpassbares und korrigierbares Problem. Nicht ganz so verhält es sich mit den anderen Mäkeln, die Blind Fate plagen. Wie gesagt, schwimmt es in einem Genre herum, das mit vielen großen Fischen gefüllt ist und die drahtige Dämonendrescherei schafft es nicht ganz sich, abseits von dem coolen Stil aus Mecha und Mythologie, gesondert hervorzutun. Die Kernidee der verschiedenen Sinne, auf die sich Yami verlassen muss, um seine erzwungene Erblindung auszugleichen, ist als Konzept spannend, hapert aber in der Ausführung. Essentiell sind es schlicht unterschiedliche Filter, die über den Bildschirm gelegt werden wie Muffelgrün für den Riechkolben und Sonarblau für die Ohren. Zwar gibt es coole Momente, in denen der Wechsel einige neue Details der Umgebung zeigt, aber meiste Zeit reicht es, im Fledermausmodus unterwegs zu sein, da sich damit Upgrades, Datenpakete und Lore-Textschnipsel finden lassen. Auch die Identifzierung der Gegner erfordert keine geschulte Ohr-Nasen-Hitzesensor-Koordination, sondern kann sich erneut durch aufgestellte Hörmuscheln erledigen lassen. Spätestens wenn man die Daten mancher Gegner gesammelt und sie damit dauerhaft wabernd sichtbar gemacht hat, verliert es gänzlich an Notwendigkeit im Kampf hin- und herzuriechen.

Fazit

Blind Fate: Edo no Yami ist ein netter Action-Titel mit einigen ärgerlichen Macken, wobei es maßgeblich die angesprochene Balance ist, die den Titel zurückhält. Es ist eher erschöpfend als aufregend immer wieder einen Gegner gen Himmel zu treten, um dann wie ein Derwisch auf ihn einzuschlagen, einen wuchtigen Schwachpunkt-*Wusch*-*Zing*-Schlag zu setzen, nur um verblüfft festzustellen, dass der lumpige Schildkrödoid noch Ausdauer für mindestens drei weitere Runden hat. Handlung und Erkundung können da nicht viel entgegen halten. Erstere ist passabel mit leichten (und wörtlich gemeinten) Ton-Schwierigkeiten in den Dialogen und etwas konfuser Hintergrundgeschichte, letzteres ist nur mäßig vorhanden. Zwar ist es für die erwähnten Upgrades definitiv empfehlenswert (und fast schon notwendig) durch bereits durchschrittene Gebiete zu laufen, aber die Augen glänzen lassende Entdeckungen gab es für mich nicht. Insgesamt würde ich dazu raten bei Interesse an dem prinzipiell coolen Stil auf einen Sale zu warten. In dem Titel steckt unverkennbar Mühe, aber momentan würde ich bei offenen Stellen als Cyber-Ninja eher die Erwartungen drosseln und interessierte Zurückhaltung empfehlen.

© 101XP

Mort

Mort hat 'Wie? Nicht auf Lehramt!?' studiert und wühlt sich mit trüffelschweiniger Begeisterung durch alle Arten von Geschichten. Animes, Mangas, Bücher, Filme, Serien, nichts wird verschmäht und zu allem Überfluss schreibt er auch noch gerne selbst. Meist zuviel. Er findet es außerdem seltsam von sich in der dritten Person zu reden und hat die Neigung, vollkommen überflüssige Informationen in sein Profil zu schreiben. Mag keine Oliven.

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