Borderlands 3

Hand auf die herzförmige Kettensägenaxt. Wie lange ist es her, dass Sie mit einem gegurgelten ‘MEATBICYCLE’-Ruf auf den Lippen lootend und levelnd durch die Lande gezogen sind? Fünf oder gar volle sieben Jahre? Ganz egal wie lange, das Warten hat ein Ende. Das (Nicht Pre-)Sequel Borderlands 3 zum Loot-Shooter-Schwergewicht ist im September 2019 erschienen und von Gearbox sowie Publisher 2K Games erwartungsvoll zu Fan und Neuling zugleich geschickt worden, um ihnen freudig die angestaubte Axt zu reichen. Stellt sich die Frage: Zugreifen? Ruhe bewahren? Oder Feuerwerksgranaten werfend und ekstatisch schreiend gleich den ganzen Arm abreißen? Es gibt nur eine Antwort.

Pandora. Ein Planet so friedlich wie eine Veganer-Party, nachdem der örtliche Schlachthof fürs Catering an die Tür klopft. In dieser unwirtlichen Welt Banditen, Verrückter, verrückter Banditen und derart vielen tödlichen Kreaturen, das die australische Tierwelt wie der reinste Streichelzoo wirkt, herrscht immer Chaos. Hier ist nicht die Frage, ob die Hütte brennt, sondern nur wie viele Leute mit Benzinkanistern davorstehen. In diesem Fall die vier Billionen (weiter steigend!) Anhänger des Mörderkults rundum die Calypso-Zwillinge, die sich von ihren Followern als killstreamende let’s slayende Gott-Influencer verehren lassen. Jeder einzelne von ihnen bereit sich ein Bein für sie auszureißen. Oder zwei. Oder 15, insofern genug Beine anwesend sind. Die ‘Children of the Vault’ wollen die Tür zur großen Schatzkammer, der ‘Great Vault’, eintreten, um das ‘gleich’ in ‘gottgleicher’ Status wegzuradieren. Sie fallen über Welt her wie eine Bande Halbstarker über eine Sandburg und lassen die Förmchenhalter a.k.a.die Crimson Raider hilflos zurück. Die rötlichen Recken haben vor einigen Jahren über Handsome Jack triumphiert und seitdem für Frieden (= geordnete Schießereien und Massaker) und Ordnung (= man sieht die Axt meist kommen) unter ihrer Anführerin Lilith, Heldin des ersten Teils und Heldenquestgeberin des zweiten, gesorgt. Nun liefern sie sich mit Unterstützung neuer Todesmutiger ein Wettrennen mit der supertrendigen Sekte, um Pandora, nein die ganze Galaxis zu retten. Alles steht auf dem Spiel. Aber sie werden kämpfen. Für Ehre! Ruhm! Gerechtigkeit! Frieden und…JEDE MENGE LOOT. OH MY GAAAAWD. SO. VIEL. LOOT.

Der einfache Vierschritt

Originaltitel Borderlands 3
Jahr 2019
Plattform PC, Playstation 4, Xbox One
Genre Loot’n’Shoot-Action-RPG
Entwickler Gearbox Software
Publisher 2K Games
Spieler 1 – 4
USK

Nach einem Ohren zertrümmernden Logo-Intro-Riff und der tatsächlichen Intro-Sequenz, für die man die Ohren schnell wieder zusammenpuzzled, ist es soweit: Nach vorheriger Charakterwahl stampft man mit seiner Figur aus dem scheppernden Schrottbus und trottet seine ersten Schritte auf Pandora, einem Drecksloch über das der Teufel einst sagte: Uff, das geht mir jetzt doch zu weit. Sekunden darauf surrt Claptrap auf den hilflos auf das kommende Unheil starrenden Spieler zu. Was will Fan mehr? Außer einem Knebel, einer Explosion und einer Waffe. In dieser Reihenfolge.
Aber halt. Bevor die Püsteriche geschultert werden, was genau ist Borderlands überhaupt? Worum geht es? Die kurze Antwort: EXPLOSIONS! Die Lange: Borderlands 3 ist genau wie seine Vorgänger ein Action-RPG, konkret ein Loot-Shooter, dessen komplexe Grundmechaniken in einem intensiven Vierschritt-Programm zusammengefasst werden können. Die Auflistung wird dabei aus dem zu empfehlenden Einführungsbuch ‘Wenn’s nicht kracht, hast du’s nicht richtig gemacht’ zitiert:
Schritt 1: Nimm Wumme (Fachsprache für: Feuerwaffe)
Schritt 2: Benutze Wumme an Feind.
Schritt 3: Nimm neue Wumme von Feind.
Schritt 4: Alles von vorn.
Wer dieses schwierige Konzept verinnerlicht, wird sich schnell in den Borderlands zurechtfinden. Selbstverständlich ist das noch nicht alles, immerhin ist man nicht nur eine von zwei Armen gehaltene schwebende Waffe.

Treffen sich ein Bär, ein Clon, ein Skag und eine Faust

Bevor man den erwähnten Bus verlässt, kann sich der Spieler entscheiden, welche virtuellen Hände seine virtuellen Wummen halten dürfen. Zur Auswahl stehen: Die Sirene Amra, die mit Spektralfäusten um sich wirbelt und lieber erst zuschlägt und danach noch die Fragen verprügelt. Dann wäre da Roboter und Tierfreund FL4K, der die Frage danach, welches seiner Tierchen am tödlichsten ist mit einem schlichten ‘Ja’ beantwortet. Weiter geht es mit Schützin Moze, die ähnlich wie Roland und Axton in den Vorgängern einen Geschützturm platzieren kann, mit dem winzigen Bonus, das an besagtem Turm ein vollständiger mechanischer Ironbear-Kampfanzug dranhängt. Last but most definitely not least wäre da Zane, der 007s Gadgetschrank auf dem Weg nach Pandora geplündert hat. Jeder Charakter hat jeweils drei Action-Skills, die demonstrieren, dass Waffengewalt nicht immer die Antwort sein muss. Manchmal tut es auch ein Wahrmammer-Fans stolz machender Flammenwerfer-Mech, Granaten jonglierende Drohnen, irische Klone oder eine explodierende Fledermausechse. An jedem Action-Skill baumelt zudem ein Fähigkeitsbäumchen mit etlichen passiven Eigenschaften (soll mein Mech nach Verlassen als wandelnde Bombe hinter Gegnern herstapfen? Aber gerne!) sowie Modifikationen für die Spezialkräfte. So hat Haustierenthusiast FL4K immer üblere, scharfzähnigere und generell mies gelauntere Varianten seiner Kreaturen zur Verfügung. Quasi wie Pokémon-Entwicklungen, nur mit weniger furchteinflößenden Hintergrundgeschichten. Jeder Charakter verhält sich zu seinen Action-Skills etwas anders als noch in den Vorgängern. So ruft Moze immer ihren treuen stählernen Begleiter Winnie Pow (vom Schreiber gesicherter Markenname) herbei, aber sie kann lustig an seiner Bewaffnung herumschrauben. Zaine kann dagegen seinen Granatenwurfarm schonen und stattdessen gleich zwei seiner drei Skills mitnehmen.
Die große Auswahl, freie Punktevergabe sowie die Rücksetz- und zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten bieten jeder Figur einen abwechslungsreichen Spielzeugkasten zur Individualisierung. Wenn Spielzeugkästen weniger mit Puppen und dafür mit mehr Blitzwerfern, Granaten und Flammenfäusten gefühlt wären.

E-Explosions?!

Aber kann dieses simple Konzept denn wirklich soviel Spaß machen, den eigenen Weg mit Blei zu ebnen, selbiges Blei in die Luft zu sprengen und Gewehr knatternd durch die Trümmer zu schliddern, nur um an neue Riesenwummen zu kommen? Nun. Fachlich fundiert ausgedrückt: HELL YEAH! Borderlands 3 trumpft an dieser Front ähnlich auf wie sein großer Vorgänger und macht alles richtig, ja, sogar richtiger. Alles geht besser und leichter von der Hand, Bewegungen sind flüssiger, die Steuerung präzise und die Explosionen ganze Kilotonnen schöner. Es kracht und rummst dröhnend aus allen Richtungen. Die Beutehatz bleibt dabei zudem immer motivierend. Aus allen Ecken springen einem freudig Gewehre, Schrottflinten und (nicht aktive) Granaten in den Schoss. Und wirklich: AUS. ALLEN. ECKEN. Egal ob Waschmaschine, Kühlschrank, Klohäuschen, Porzellanthron, Spielzeug-in-Kugel-Automat oder – und hier wird es komplett verrückt – gar aus Waffenkisten (!!!), wie kommt man auf sowas?! Es ist wahrlich selten, dass man ein Gebiet mit derselben Feuerkugelraketenpistole verlässt, mit der man es betreten hat. Entweder purzelt ein neuer Püsterich aus den Reihen der unglückseligen Kultistenhorden oder man bedient sich an den Hinterlassenschaften einer der zahlreichen Bosse, die nach einem teils sehr wirren Effektgewitterkampf Lootfontänen sprühend zu Boden gehen. Die Waffen selbst sind dabei definitiv der Star der Stunde, wenn auch mit mehr Blei statt Funkelei. Ob Hamburger-Bazooka oder (halb-)schlauen Lenkraketen, In-Spinnen-verwandel-und-explodier-Gewehre oder treudoofe Kugelspritze; irgendetwas findet man immer. Und allein die Tatsache, dass es zwar keine Kanone gibt, die explodierende Pinguine mit Cowboyhut und kleinen Pistölchen schießt, aber man zumindest für eine Sekunde ernsthaft darüber nachdenkt und stets ein Hauch Restzweifel bleibt, spricht für sich.

Stimmige Stimmung durch stimmige Stimmen

Es ist aber nicht alleine das Gameplay und das Finden besserer Beute, das den Spielspaßberg anhäuft. Vieles kommt auch durch die ganz besondere Stimmung und den Humor der Serie. Wie kann man ihn beschreiben? Er ist wie eine Armee aus Axt schwingenden Psychopathen, die schreiend auf einen Soldaten mit Geschützturm zulaufen. Nicht alles kommt an, aber diejenigen, die es tun, treffen direkt ins Herz. Ergibt der Vergleich Sinn oder ist er einfach nur verstörend? Wer weiß das schon. Fakt ist, dass jede Nebenquest und jede Mission immer in einen mehr oder minder absurden Rahmen gequetscht werden, wobei ein Feuerwerk aus Referenzen und teils derben, teils kindischen, teils tiefschwarz humorigen Gags abgebrannt wird. Borderlands 3 ist genau wie seine Vorgänger dabei so subtil und umsichtig, wie vier auf einem tollwütigen Elefanten tanzende Dynamitstangen-Jongleure, die von einer in Flammen stehenden Blaskapelle begleitet in eine Schwarzpulverfabrik donnern. Und es macht Spaß. (Nahezu) jeder Charakter ist verrückt und die, die es nicht sind, werden es mit der Zeit. Dabei sind es vor allem die durchgängig großartigen Sprecherleistungen, die auch den simpelsten Queststrukturen Leben einhauchen. Hier könnte nun der komplette Cast stehen, aber besonders hervorgehoben werden sollen an dieser Stelle Jim Foronda, der David Eddings als Claptrap ersetzt hat, und Ray Chase, der statt Troy Baker Rhys einspricht. Beide liefern eine tolle Performance, auch wenn man die alten Stimmen etwas vermisst. In jedem Fall lohnt sich aber, den Questtexten seine Ohren zu leihen, insofern sie das gnadenlose Anfangs-Riff überleben.

In den Borderlands nichts Neues

Wollte man Kritik üben, könnte man Finger auf den Tisch tippend darauf hinweisen, dass sich im Vergleich zu dem sieben Jahre alten Vorgänger an den Grundsätzen nicht viel getan hat. Selbstverständlich ist es polierter und hübscher anzusehen, aber im Kern bleibt vieles so, wie man es aus dem Vorgänger kennt. Zwar unterscheiden sich Waffen deutlicher voneinander, bieten alternative Feuermodi und definieren sich weitaus stärker darüber, aus welcher Fabrik das Mordwerkzeug entsprungen ist und auch einzelne Komfortänderungen wie beispielsweise die von jedem Punkt anwählbare Schnellreise oder das Aufladen von Munition und Leben an Ladestationen per simplem Knopfdruck ohne Menü-Tieftauchen sind gern gesehen. Aber wirklich neue Mechaniken bleiben aus. Mit Borderlands 3 bekommt man mehr Borderlands so wie man es kennt. Wer nie mit einem der Teile warm geworden ist, wird vermutlich auch durch den neusten Ableger kein glühender Fan.
Außerdem gibt es die oben erwähnte Pingu-Kanone (PinGu(i)n?) tatsächlich nicht. Unerhört.

Fazit

EXPLOSIONS! Ähem, Verzeihung. Rutscht mir manchmal so raus. Also. Fazit. Borderlands 3 ist großartig geworden. Ich persönlich hatte einen Riesenspass mit Moze und Winnie Pow und gehe schon gedanklich durch, was ich mit den anderen Charakteren anstelle. Zugegeben, es macht nicht wirklich viel neu, aber ehrlich gesagt bin ich nahezu froh darüber. Es ist mehr Borderlands und das ist schlicht und ergreifend, was ich wollte. Mehr verrückte Quests. Mehr absurder Humor. Und mehr wahnsinnige Charaktere. Es gab zahlreiche Lacher und Breit-Grinse-Stellen und unter alldem auch den ein oder anderen ernsten Moment; man hat ja schließlich schon verdammt viel mit dem verrückten Haufen durchgemacht. Die neuen Vault Hunter fügen sich großartig ein, das Gameplay ist wuchtig und ich hatte mit keinerlei Bugs auf der normalen PS4 zu kämpfen. Auch Ruckler habe ich keine zu vermerken, abgesehen von kleineren Rucklern beim Gang in die Menüs. Ich singe hier tatsächlich eine einzige Lobeshymne, unter anderem hat mich auch ein Cameo-Auftritt zweier magischer Entertainer vergnügt ‘Hihihi’ brabbelnd zurückgelassen. Um es eeendlich auf den Punkt zu bringen: Fans der vorherigen Teile sollten auf jeden Fall zugreifen. Action-RPG-Enthusiasten müssen auch nichts befürchten, aber ein kleiner Story-Recap wäre vermutlich nicht schlecht, sonst kann es mit all den Figuren schwierig werden. Oder man nimmt sich einfach vorher Borderlands 2 zur Brust. You won’t regret it. Ich freue mich auf jeden Fall jetzt schon auf die möglichen DLCs und werde bald wieder in die Borderlands marschieren. Kleine Frage noch an Gearbox: Gibt es Balex auch als Navi?

Mort

Mort hat 'Wie? Nicht auf Lehramt!?' studiert und wühlt sich mit trüffelschweiniger Begeisterung durch alle Arten von Geschichten. Animes, Mangas, Bücher, Filme, Serien, nichts wird verschmäht und zu allem Überfluss schreibt er auch noch gerne selbst. Meist zuviel. Er findet es außerdem seltsam von sich in der dritten Person zu reden und hat die Neigung, vollkommen überflüssige Informationen in sein Profil zu schreiben. Mag keine Oliven.

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