Code Vein
Spiele sind wie Kuchen. Wann immer es ein neues Rezept gibt, probiert sich ob kurz oder lang jeder einmal daran. Die Souls-Like-Torte (vermutlich ein Schokokuchen, der aus purer Boshaftigkeit etliche Rosinen beherbergt) geht auf die Bäckermeister von From Software zurück, die dereinst mit Demon’s Souls und Dark Souls eine Mischung kreiierten, die bis heute vielen Spielern mundet. Auch wenn die Backerzeugnisse sich selten damit begnügen höflich auf dem Fensterbrett zu sitzen, sondern bei der kleinsten falschen Bewegung versuchen, den Mampfenden selbst zu verkosten. Hält die Analogie noch? Gerade so? Passt schon. im September 2019 hatte es sich Konditor/Publisher/Entwickler Bandai Namco ebenfalls mit Mehl und Zucker zurückgezogen, um letztlich stolz ihre Variante zu präsentieren: Code Vein. Eine Souls-Torte, die sich vor allem mit ihrer üppigen Anime-Glasur abhebt. Und Vampiren. Und Brüsten. Spätestens jetzt bröckelt die Analogie endgültig auseinander, ähnlich wie die Torte, wenn man den Guss wegnimmt. Mal sehen, ob es trotzdem schmeckt.
Woran erkennt man, dass man in einer (post-)apokalyptischen Welt lebt? Sind es die Naturkatastrophen? Feuersbrünste, schmelzende Gletscher, Vögel, die hustend aus dem Himmel fallen? Sind es Atomexplosionen? Oder doch gewaltige schwarz-rote Tentakel, die überall aus dem Boden sprießen, als hätte Cthulhu kürzlich seine Berufung als Landschaftsgärtner entdeckt? Code Vein entscheidet sich firm für den letzteren Ansatz zusammen mit bröckeligen Städten und herumstreunenden Leichen, die durch einen Parasiten im wahrsten Sinne des Wortes zum Weitermarschieren animiert werden. In all dem Chaos erwacht der Spielende pflichtbewusst ohne Erinnerung und nur mit einem tröstenden Anblick: ein Mädchen namens Io. Genauer gesagt: Der Vorbau eines Mädchen namens Io, aber nach kurzem Suchen findet sich auch ein Gesicht. Das friedliche Gewobbel hält aber nicht lange an, denn nicht nur werden sie schnell von Banditen aufgegriffen, es wird auch schnell klar, dass auf der Welt ‚Revenants‘ existieren. ‚Revenants‘ sind quasi Vampire, die sich beharrlich weigern, sich so zu nennen und stets damit leben müssen, sich endgültig im Blutdurst zu verlieren, um den herumziehenden Leichen Gesellschaft zu leisten. ‚Pech für sie‘ könnte man höhnisch denken, aber so leicht kann man sich nicht aus den Problemen herauswinden: Der Spieler gehört nämlich selbst dazu.
Character-Creation Over 9000
Originaltitel | Code Vein |
Jahr | 2019 |
Plattform | PC, PlayStation 4, Xbox One |
Genre | Action-RPG |
Entwickler | Bandai Namco |
Publisher | Bandai Namco |
Spieler | 1 |
USK | |
Veröffentlichung: 27. September 2019 |
Bevor man sich mit Schwert und Blut in die Welt von Code Vein stürzt, wartet zunächst die größte Hürde für alle unentschlossenen, perfektionistisch veranlagten Spieler der Welt: der Charakter-Editor. Und meine Güte, wer keinen Hut hat, kann sich einen aufsetzen und ihn an der Stelle abziehen. Hier wartet das Spiel ordentlich auf und macht sofort eines unmissverständlich klar: Dieses Spiel hat keinen leichten Anime-Style-Teint oder hier und da zarte Tupfer, sondern suhlt sich vollens im Japano-RPG-Anime-Look. Jede Haarfarbe ist erlaubt, monströse Atemmasken, die unpraktischer wirken als ein bleierner Maulkorb, aber schlicht Coolness ausstrahlen wollen sowie Augenklappen, Tattoos und selbstverständlich Kostüme mit viel zu vielen Gürteln warten geduldig auf den sich durchklickenden Gamepadhalter. Dieser Stil ist das hervorstechendste und auffälligste Merkmal von Code Vein und mit der maßgeblichste Unterschied zu ‚herkömmlichen‘ Souls-Varianten. Vermutlich ist das nun keine große Überraschung, aber wer mit besagtem Stil nichts anfangen kann, sollte im respektvollen Abstand daran vorbeijoggen. Wer sich aber selbst als Anime-Fan zählt, wird vermutlich einige Tage im Character-Editor campieren, ehe er/sie selbst mit blutunterlaufeneren Augen als so mancher Vampir in die braun-rote Düsternis tritt.
Streng nach Rezept …
Verständlicherweise dürften dem ein oder anderen bei ewigen Vergleichen zu Dark Souls und Co. die Augen regelrecht zu rotieren beginnen, aber der Titel schreit nun einmal schlicht an allen Ecken und Enden ‚SOULS‘, da wird man quasi gezwungen zu antworten. Das Kampfsystem ist direkt und actionbasiert, eine Ausdauer-Leiste hält die üblichen Standard-Optionen Blocken, Ausweichen, Angreifen im Zaum, Heilinjektionen (die Estus-Flask des Anime-Vampirs) sind begrenzt und der Schwierigkeitsgrad bewegt sich in einem fordernden Bereich. Letzteres ist selbstverständlich stark von der eigenen Erfahrung abhängig und obendrein, ob man sich dazu entscheidet, einen KI-Partner mit zu Blut und Tod zu schleifen oder sie in der Basis friedlich Blutorangentee schlürfen zu lassen. Der Unterschied zwischen Solo und KI-Köderplay ist dabei massiv und kann quasi als Frustrationsregler benutzt werden, da zumeist selbst härtere Schwert-vs. Klaue-Begegnungen mit einem zusätzlichen paar Hammer schwingender Hände maßgeblich simpler ablaufen. Mitunter bekommt man jedoch das Gefühl, dass besagter Unterschied zu groß ist und man sich nach einer gold-blutigen Mitte sehnt.
… mit Innovationsstreuseln
Die ‚Genau/Ähnlich wie in Souls-Titeln‘-Liste könnte mit der Erwähnung von Bonfire-ähnlichen Checkpoints, an denen gerastet wird, die aber ähnlich wie der Tod besiegte Gegner respawnen lassen und die allgegenwärtige Gefahr des Seelenverlust (= Währung für Kauf/Aufleveln) bei zweimaligen Ins-Gras-Beißens (gerade für Vampire sehr peinlich) und vieles mehr erweitert werden. Aber wichtiger sind doch die Unterschiede, die sich maßgeblich im Detail finden lassen, wie in der Waffenwahl und den Ausrüstungsmöglichkeiten. Besonders maßgeblich ist jedoch das ‚Blood Code‘-System, das sich quasi mit einer Art Jobsystem vergleichen lässt. Jeder ‚Revenant‘ hat von Haus aus einen bestimmten Code, was ihm ein bestimmtes Set an Fähigkeiten, Attributen und Knowhow mit Waffen verleiht. Wer den Berserker-Code ausgerüstet hat, kann schlicht besser große Zweihandschwert oder Hämmer durch die Gegend und möglichst in Gesichtsnähe von Gegnern wuchten, während flinkere Gesellen sich lieber auf Bayonette, Einhandschwerter oder auf Fernkampfmagie verlassen. Letztere ist ähnlich wie spezielle Waffenfähigkeiten von einem Punktarsenal abhängig, das sich unter anderem durch regelmäßiges Verprügeln der Gegner auffrischen lässt. Vermutlich ahnt man es bei dem Vergleich zu einem Job-System schon, aber die Anime-Vampirführungskraft/-führungskräftin ist im im Verlauf des Spiels in der Lage sich eine ganze Reihe von Codes anzueignen und munter zwischen ihnen hin und her zu wechseln.
Gemischter Geschmack
Und das war es eigentlich schon mit den Alleinstellungsmerkmalen, womit unweigerlich die Liste an Mäkeleien lautstark hustend ihr Recht verlangt. Dabei ist die relativ dichte Vorlagentreue das geringste aller Probleme, immerhin schadet es nicht, sich an etablierten Konzepten zu bedienen und sie in anderer Form auszuprobieren und sei es nur mit einem anderen Setting. Leider ist Code Vein nicht wirklich einfach ’nur‘ ein Anime-Souls, sondern weniger. Soll heißen: Die Basis, auf der es steht, ist bestenfalls solide. Gerade die Kämpfe fühlen sich selten richtig wuchtig an, da sich das Trefferfeedback in Grenzen hält. Zwar ist es schwierig aus persönlicher Erfahrung einzuschätzen, wie es ist, von einem Schwert getroffen zu werden, das dreimal größer ist als derjenige, der es schwingt. Aber die vage Vermutung besteht, das mehr als nur ein kurzes Zucken darauf folgen würde. Möglicherweise macht das die herumstreunenden Leichen aber auch so gefährlich. Gewissermaßen hat das Kampfsystem, Achtung, zu wenig … Biss. Hoho. Das Wechseln der Codes und das Suchen nach neuen Varianten motivieren zwar, aber die Erkundung der Welt ist ansonsten eher mau, ähnlich wie die Geschichte und die Gegnerauswahl. Mitunter hat man den Verdacht, dass sich besiegte Revenants zwischen den Gebieten, sobald man sich wegdreht, schnell umziehen, vorlaufen und hinter der nächsten Ecke wieder hervorspringen.
Erinnerungsunwürdige Erinnerungen
Eine Ausnahme von Design-Einerlei sind allerdings die Bosse, die sich allesamt deutlich voneinander unterscheiden, vermutlich auf Kosten ihrer Quasi-Gefolgsleute. Schamlose Ausbeuter. ‚Schamlos‘ ist dabei ein gutes Stichwort, denn die Bosse sind das in mehr als einer Hinsicht, zumindest die werte Damen-Dämonen-Vampir-Dingenskirchen-schaft. Wer jetzt fragend die Augenbraue hebt, sei es folgendermaßen veranschaulicht: Haben Sie in der letzten Zeit schon einmal gegen eine blaue Stripper-Wassernymphe mit Augenklappe gekämpft, die ihren Speer als Dance-Pole benutzt? Oder gegen eine Mottendämon, der in einem 95:5 Verhältnis aus geiferndem Monstermaulschwanz und Unterwäschemodel besteht? Falls nicht, bestünde eventuell hier die Gelegenheit. Erneut ist das Design komplette Geschmacksfrage, es muss nicht stören, dass vermutlich ein großer Anteil weiblicher Verbündeter und Gegner auf kurz oder lang schlicht durch Rückenschmerzen qualvoll verenden würden, ohne das man auch nur zum Schwerthieb angesetzt hat, man sollte es schlicht im Hinterkopf behalten. Wem der Hauch bzw. das Luftgebläse an Erotik gefällt, wird sich vermutlich besonders über die heißen Quellen in der Basis freuen. Wenig Grund zur Freude geben dafür die ebenfalls auffindbaren Erinnerungsfragmente, die unter anderem dazu dienen, die Codes aufzuleveln. An und für sich könnten sie einen interessanten Einblick in die Psyche der jeweiligen Figuren bieten, zu denen sie gehören, faktisch präsentieren sie sich als auf Dauer eher öde Marschkorridore, in denen relativ belanglose Szenen aus dem Off zugedröhnt werden.
Fazit
Code Vein ist eine ziemlich durchwachsene Angelegenheit. Es hat die Soul(s) am rechten Fleck, aber es fehlt schlicht das (Herz-)Blut. Das Gameplay ist nicht wirklich schlecht und die Kämpfe zusammen mit dem Code-Wechsel vermutlich das Highlight zusammen mit der Anime-Präsentation, aber es hat sich für mich nie wirklich richtig angefühlt. Eben immer nur solide und nicht wirklich exzellent. Zudem krankt es an den anderen Pfeilern: Die Welt zu erkunden ist selten besonders erfüllend, die Gegner auf Dauer zu ähnlich und die Geschichte eher dahinplätscherndes Klischee als interessantes Worldbuilding. Ich könnte mir vorstellen, dass es als eine Art Einstiegspunkt für Interessierte des Genres herhalten könnte, die sich nicht an die Souls-Titel herantrauen, da gerade über die K.I.-Begleiter zu einem Großteil der Frust in Grenzen gehalten werden kann. Ist man dann noch ein Freund des Anime-Stils wäre es ein Match-made-in-Japan, aber gänzlich überzeugt bin ich nicht. Souls-Veteranen oder Action-RPG-Freunde haben gerade jetzt bspw. mit Nioh 2 oder dem Remake von Demon’s Souls weitaus bessere Alternativen. Da der Titel aber nun sicherlich auch gerne in tieferen Sales dabei ist, kann bei starkem Interesse ein Blick nicht schaden. Es ist quasi ein Zwischendurch-Snack, der nicht besonders nahrhaft ist, aber für den man sich nicht vor einem Ernährungsexperten-Gremium rechtfertigen muss. Nur ein letzter Tipp: Ganz großen Abstand von den DLCs halten, die bieten selbst im niedrigsten Angebot viel zu wenig Inhalt und Bosse mit zuviel HP. Da doch lieber einfach einen herzhaften Apfel.
© Bandai Namco Entertainment
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Ich weiß nicht, ob es nur an mir liegt, aber diese Cell-Shading-Grafik ist echt ein Ding aus der Hölle. Fairy Tail nutzt das aktuell ja auch und ich sehe: man kann damit einen tollen Anime-Look kreieren, aber irgendwie haftet dem immer der Geschmack bei, am Ende nur eine günstigere Alternative gewesen zu sein.