Darkest Dungeon
Games mit dem Wörtchen »Dark« im Titel scheinen sich in der Pflicht zu sehen, es den Spielern besonders schwer machen zu müssen. Paradebeispiel hierfür natürlich: Dark Souls. Der hier vorgestellte Dungeon Crawler Darkest Dungeon aus dem Hause Red Hook Studios schlägt zwar in eine andere Kerbe, ist für die Spieler aber nicht minder folternd. Seine Schwierigkeit besteht weniger in geschickter Slasher-Action, denn vielmehr im geschickten Haushalten. Aus einer absolut miserablen Situation das Beste herauszuholen und dem endgültigen Tod bloß nicht auf den Leim zu gehen – das ist die quälende Crux von Darkest Dungeon.
Weil unser Vorfahre in einem Anfall optimistischen Übermuts zu tief unter seinem Anwesen gegraben hat, wird das Land nun vom vorsintflutlichen Bösen heimgesucht. Überall lauern Skelette, Ghule, schweineköpfige Zentauren und noch viel schlimmere Scheusale. Unser Vorfahre erträgt das Lovecraft’sche Grauen nicht und gibt sich die Kugel. Es ist nun unsere Aufgabe, als Erbe das Land von den Monstrositäten zu befreien. Täglich kommt eine Kutsche mit neuen Abenteurern, die sich für den schnöden Mammon in die Dungeons hineinwagen. Die dabei gefundenen Relikte helfen dabei, das Dorf wieder aufzubauen und die Abenteurer zu stärken. Doch es gibt einen Haken: Jeder kann jederzeit und aus welchem Grund auch immer sterben, denn neben den Monstern muss auch gegen Stress, Krankheit und Hunger angekämpft werden. Begleitet von der Ehrfurcht gebietenden Stimme unseres Vorfahren, der aus dem geisterhaften Off zu uns spricht, übernehmen wir in Darkest Dungeon den wohl höllischsten und deprimierendsten Manager-Job der Welt.
Ein normaler Tag im Darkest Dungeon
Originaltitel | Darkest Dungeon |
Jahr | 2015 |
Plattform | Nintendo Switch, Microsoft Windows, PlayStation 4, Linux, iOS, Xbox One, PlayStation Vita, Mac OS, Mac OS Classic |
Genre | RPG, Dungeon Crawler |
Entwickler | Red Hook Studios |
Publisher | Red Hook Studios |
Spieler | 1 |
USK | |
Im Handel erhältlich |
Manche Aspekte werden in Helden-Geschichten gerne mal ausgelassen, zum Beispiel der Toilettengang. Niemals wird man einen Helden sehen, der aufs Klo geht. Zugegeben: Auch in Darkest Dungeon nicht. Dafür berücksichtigt das Game einen anderen Aspekt, der gerne mal auf der Strecke bleibt: Helden sind nur Menschen, und Menschen sind anfällig. Vor allem für die Schrecken der Dungeons, in die wir unsere Vierer-Teams schicken um Monster zu schlachten. Auf halbem Weg erkrankt unser Kreuzfahrer an einer Krankheit, die seine Angriffe zittrig und unbeholfen macht. Währenddessen beginnt die Heilerin, der Eckpfeiler der Gruppe, vor sich hin zu gackern und weigert sich, zu essen. Mit diesem Team arbeiten wir uns also mehr schlecht als recht zum Boss vor, einer riesigen grotesken Fleischkreatur. Der Unhold, auf dem wir unsere gesamte Kampfstrategie aufgebaut haben, erliegt dem Stress, kriegt einen Herzinfarkt und stirbt uns weg. Der Ritter, durch den Tod seines Kameraden traumatisiert, entwickelt Paranoia und richtet sein Schwert gegen die eigene Heilerin. Dann flieht er zurück ins Dorf und vergräbt sich von Schuld zerfressen im Bordell. Die Fleischkreatur gibt uns unterdessen den Rest, woran höchstens unser masochistischer Flagellant seine Freude hat. Resümee: Auftrag verkackt.
Human Resource Management Simulator
Die meisten team- und rundenbasierten RPGs ziehen kaum bis gar keine Konsequenz aus einer Niederlage. Eventuell verliert man seine bis dahin eifrig gesammelten Seelen, auf jeden Fall aber kann man ab einem früheren Checkpoint wieder neu starten; die Helden sind eine Konstante, auf der man sich ausruhen kann. In Darkest Dungeon ist das anders. Hier bedeutet eine Niederlage den unausweichlichen Tod. »Helden und Heldinnen« sind keine glorifizierten Heilsbringer, sondern schlicht und ergreifend »Ware«. Täglich gelangen neue Wagenladungen mit Helden ins Dorf, und das ist auch bitter nötig, denn man verbrät sie in den Dungeons schneller als Fischstäbchen. Bevor eine Heldin nicht Stufe 3 erreicht hat, sollte man es unterlassen, in sie zu investieren. Fähigkeitenausbau, Stressreduzierung oder die Heilung von Krankheiten kosten Zeit und Geld und vor allem das Geld ist am Anfang knapp. Effizienter als die Helden zu pflegen ist es also, sie zu entlassen (oder über den Jordan zu schicken) und neue zu rekrutieren. Darkest Dungeon propagiert hier quasi erzkapitalistische Effizienzmaximierung. Wenn wir weniger Proviant in die Dungeons mitnehmen, sparen wir Inventarplatz für eventuelle Schätze, müssen aber auch hungerbedingten Stress in Kauf nehmen. Wenn wir dann eine Schatzkiste finden, birgt deren Öffnung Risiken wie z. B. eine Vergiftung. Halten wir uns mit Fackeln zurück, erhöht das die potentielle Beute, aber auch die Gefahr durch Monster. In Darkest Dungeon will alles abgewägt sein.
»Okay, du mit ihm und er mit ihr … das passt scho’«
Auch wenn die Helden Ware sind, handelt es sich bei ihnen um keine gesichtslosen Crash-Dummys. Darkest Dungeon hält (die DLCs berücksichtigt) insgesamt 17 Heldenklassen bereit. Jede Klasse verfügt über eine eigene Background-Lore, hat individuelle Charakterelemente, Eigenarten und Sprechtexte. Dazu kommen die positiven wie negativen Ticks, die man sich in den Dungeons einfängt und die Individualisierung noch einmal vorantreiben. Manche Klassen ergänzen sich auf wunderbare Weise, andere tun rein gar nichts füreinander (früher war es sogar so, dass religiöse Klassen wie der Leprakranke sich weigerten, mit dem gottlosen Unhold im selben Team zu arbeiten. Diese Beschränkung wurde mit der DLC Color of Madness aufgehoben). Auf der Gegenseite steht eine riesige Armee unterschiedlichster Monster, die verschiedener Strategien bedürfen. Der »Rasende Wahnsinnige« macht nicht viel Schaden, erzeugt durch seine »apokalyptischen Predigten« allerdings sehr viel Stress, sollte also stets das erste Ziel sein. Der »Vergiftete Riese« bringt unsere Heldenaufstellung durcheinander und macht die Frontkämpfer nutzlos, indem er sie in die letzte Reihe scheucht. Und sollte der schlimmste aller Alpträume wahr werden und »der Sammler« unverhofft um die Ecke kommen (die Chance dafür soll bei ca. 5% liegen, sofern das eigene Inventar mindestens zu 79% gefüllt ist), dann ist Losheulen, (versuchtes) Betäuben und Beten angesagt. Unnötig zu erwähnen, dass es sich dabei nur um die »On the way«-Gegner handelt, die allesamt zufällig erscheinen und erledigt werden müssen, ehe man zum Boss gelangt. Das kann sich hinziehen und aus Darkest Dungeon die reinste Tortur machen.
Fazit
Darkest Dungeon zeigt das rundenbasierte RPG einmal ganz unromantisch als knallhartes, geradezu unfaires Geschäft. Es ist ein Spiel der harten Kompromisse, das zum Ende hin sackschwer wird. Viele führen das auf RNG zurück, also den Zufallsfaktor bei den Trefferchancen, Schadenswerten, Monstererscheinungen usw.. Sicher, auch das spielt eine Rolle. Meistens aber ist jede dieser scheinbar zufällig aufploppenden, miserablen Situationen nur eine direkte Folge schlechter Vorbereitung. Die Spielmechaniken von Darkest Dungeon verleihen dem Spiel eine ganz besondere Tiefe, vor allem die Crux mit dem Stress. Als Personalmanager einer verdammten Truppe entwickelt man Angst vor bestimmten Gegnern, vor bestimmten Bossen und vor der manchmal unabwendbaren Opferung eines Helden. Ich für meinen Teil breche lieber kreischend eine Quest ab und nehme enormen Stress in Kauf, als meinen geliebten »Seit der ersten Stunde dabei«-Kopfgeldjäger Mando sterben zu sehen. Trotzdem muss man aufpassen, dass das Spiel nicht die eigene Menschlichkeit untergräbt, die Helden zu schlichten Zahlen in einer Tabelle werden und man selbst in einen dumpfen Ackermodus verfällt. Im schlimmsten Fall spürt man nach 150 Stunden im Darkest Dungeon und besiegtem Finalgegner keine Hochgefühle mehr, sondern nur ein dumpfes Pochen – das und die Erleichterung darüber, sich nach dem ganzen kosmischen Lovecraft-Horror endlich zur Ruhe setzen zu können … oder etwa doch nicht?
© Red Hook Studios