Gibbous – A Cthulhu Adventure
Uraltgottheit Cthulhu hat in letzter Zeit häufiger seine Tentakel wortwörtlich in so manchem Spiel (Call of Cthulhu; The Sinking City), aber all jene Titel – und selbst Wahnsinnsvater Lovecraft selbst – unterschlagen dabei immer wieder ein zentrales Element des glibbrigen Mythos: Sprechende Katzen. Zum Glück zehrt das Entwicklerstudio Stuck in Attic mit seinem im August 2019 veröffentlichten Erstlingswerk Gibbous – A Cthulhu Adventure, das per Kickstarter finanziert wurde, die so oft sträflich vernachlässigte Verknüpfung aus supernatürlichem Chaos mit sprachbegabten Wollknäuelwerfern ins Rampenlicht. Aber kann der den Verstand herumjagende Wahnsinn auch in ein spassig-düsteres Gepointe und Geklicke verwoben werden oder wäre all das besser in den vergessenen Tiefen geblieben?
Buzz Kerwan, Student, Bibliothekar und Spitznamenphobist, hat einen dieser Tage, an dem ihm alles um die Ohren fliegt. Unter anderem eine mit ‘Muhahaha’-Schildchen ausgestattete Paketbombe, die eigentlich an den in Noir-Monologe gewälzten Privatdetektiv Don R. Ketype adressiert war. Don ‘Wenn man deine Augen sieht, guckst du einfach nicht finster genug’ Ketype ist auf der Suche nach dem archaischen alptraumhaften Almanach, dem monströsen Manie auslösenden Manifest, dem chaotischen Codex des Kosmos, dem *Trommelwirbel und Donnerschlag bitte!* NECRONOMICON (nur echt mit grünem Auge und geschmackvollen cordroten Umschlag). Dank der explosiven Aufmerksamkeit mit anschließender Entführung fällt das grimme Grimoir allerdings nicht dem ebenso grimmen Gumshoe in die Hände, sondern landet in den panischen Patschern von Buzz. An dieser Stelle ein allgemeiner Gesundheitshinweis: Sollten Sie zufällig auf das Buchstaben gewordene Böse treffen, das den Verstand von Tausenden zwischen seinen Zeilen zertrümmert hat, nehmen sie es möglichst NICHT mit nach Hause. Und lesen Sie bitte keine der lasterhaften Litaneien in feliner Gesellschaft vor, um jedwede Weltuntergänge, spontanen Tentakelwuchs und plötzlich einsetzende Sprachfähigkeit fellbewehrter Mausfänger zu vermeiden. Dieser Hinweis wurde ihnen präsentiert von ‘Wieso muss DAS auf der Verpackung stehen?!’.
Seltener Rätselgast
Originaltitel | Gibbous – A Cthulhu Adventure |
Jahr | 2019 |
Plattform | PC |
Genre | Point’n’Click-Adventure |
Entwickler | Stuck in Attic |
Publisher | Stuck in Attic |
Spieler | 1 |
Ungewöhnlicher als die Idee von fischigen Chaosgöttern mit lingualer Begabung gesegneter Haarballwürger ist vermutlich nur das gewählte Genre. Klassische Point&Click-Adventure werden eher selten angepflanzt und die Titel der letzten Jahre lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an einer Hand eines Augenbinde tragenden Sägewerkarbeiters abzählen. Um etwaiger Unkenntnis vorzubeugen, seien Genre-Fremde kurz mit einem 101 des Grafikadventures kombiniert. In Point&Clicks schlurft man meist als einziger zur Bewegung fähiger Protagonist durch die Bildschirme, untersucht mit geübtem Auge Objekte, rafft alles, was ansatzweise unnütz aussieht in fragwürdig großen Taschen zusammen und perforiert hilflose NPCs mit allerlei Fragen, bis sie nach der xten wiederholten Aufgabenstellung in Tränen ausbrechen. Haupt-Gameplay-Aspekt ist das Lösen von simplen Aufgaben mittels absurd komplizierter Kombinationsrätsel, um den eingesammelten Krempel wieder loszuwerden, sowie der ein oder anderen Puzzle-Einlage. Gibbous – A Cthulhu Adventure gibt sich dabei ganz traditionsbewusst und nickt respektvoll in Richtung der Titel des Herrn Lucas Arts, der einst die Spielelandschaft mit mächtigen Piraten und herrschsüchtigen Tentakeln terrorisiert hat.
Kombiniere Cthulhu mit Clownsschminke
Wie in den Vorbildern stehen entsprechend die Gefreiten Humor und Witz an vorderster Front, was sich bereits geschickt durch den mit Vokabular bedachten Mausvernichter angedeutet hat. Gibbous’ Geschichte über fischköpfige Kultisten, von Beziehungsberatern empfohlenen Voodoo-Experten und überaus vertrauenswürdigen Gastwirten ohne jedwede kannibalistische Hintergrundgedanken (Ehrenwort!) nimmt sich niemals zu ernst und sich selbst gerne auf den Arm. Der comichafte nie zu grelle Stil sowie die üppige Anzahl irrwitziger Figuren trägt sein übriges dazu bei, um eine angenehm leichtherzige Mär über die Erweckung dunkler Gottheiten und wahnsinniger Kultisten zu erzählen. Der Humor selbst ist Geschmackssache und bewegt sich im Bereich des Schmunzelerregendem mit gelegentlichen Ausrutschern, bei denen der ein oder andere Gag zulange auf der Bühne verweilt, bspw. wenn eine Kunstkritikerin bei jedem Gesprächsthema auf eine Weise antwortet, als würde sie jeden morgen mit dem Feuilleton-Teil der FAZ gurgeln. Allgemein könnte man den Humor mit einem betrunkenen Bogenschützen vergleichen, nicht sturzbesoffen, aber doch zumindest ordentlich beschwipst, mit entsprechender Trefferquote. Nicht alles trifft entsprechend ins Schwarze, aber es besitzt alles seinen ganz eigenen adventurigen Charme.
Zarte Kopfnüsse
Ziehen wir aber jetzt die Samtpfotenhandschuhe aus, lassen die Denkmurmeln rollen, und widmen uns dem Kerngeschäft eines jeden Adventures: den Rätseln. Und um direkt mit der aufgesprengten Tür ins Haus zu fallen; diese sind nicht sonderlich fordernd. Wer gnadenlose Gehirnakrobatik erwartet, sollte eher an bedächtiges Senioren-Yoga denken. Schädeldecken dürften auch kaum rauchen, sondern vielleicht gelegentlich dampfen und die knallharten Kopfnüsse sind aus Marzipan. Kurz und gut: An der Rätselfront kämpft Gibbous nicht besonders vehement. Das liegt zum einen an der stets sehr überschaubaren Ansammlung an Krempel im Inventar und den begrenzten Interaktionspunkten. Es muss nur selten um eine oder gar mehrere Ecken gedacht werden; die Lösung liegt oft direkt auf der Hauptstraße. So ergibt sich der nächste Schritt meist bereits aus dem kurzen Abmarschieren der verfügbaren Bildschirme und dem Aufklauben des verstreuten Klimbims. Dank Hotspotanzeige und den mit Zaunpfählen um sich donnernden Kommentaren der Figuren wird auch bei etwas ungewöhnlicheren Aufgaben kaum Frust aufkommen. Die mangelnden Gehirnmangeln erlauben damit zwar für ein entspanntes Genießen der Geschichte, aber damit fehlen auch diese ‘Oh mein Gott, ich bin sooo schlau’-Momente, die man nach Äonen des Grübelns, ziellosen Herumprobierens und Kopf-auf-die-Tastatur-Hämmerns für sich erreicht. So ist es zwar äußerst spaßig einem Weltuntergangsredner in die Parade zu fahren und ihm alles andere als hilfreiche Stichworte für seine Verdammnisrede vor versammelter Kultistenmannschaft zu soufflieren, aber der mangelnde Anspruch lässt den ausgelösten Hetzmob etwas schal wirken. Betonung liegt auf ‘etwas’; Lynchmob bleibt Lynchmob, egal, wie einfach es war, ihn auszulösen, und entsprechend wird er wärmstens wertgeschätzt. Auf der positiven Kehrseite der Rätselschaft bleiben aber auch die ‘Das ist doch wohl ein schlechter Scherz’-Momente aus, die sich meist nach kurzem und völlig gerechtfertigten, ‘nur mal ganz kurzen’ Schielen in die Komplettlösung ergeben. Ein zweischneidiges Schwert.
Kombiniere ‘Mikrofon’ mit ‘Awesome’
Einschneidend gut ist dagegen die Vertonung der Figuren. Sei es der rauchig-heisere Don Ketype, der ‘Wie tief kannst du noch?!’ brummende Kultistenjäger Barnabas oder die abgeklärte Arroganz atmende Quasi-Dämonenkatze Kitteh (was erwartet man in Punkto Namensgebung auch von jemanden, der Buzz heißt?); in allen Fällen merkt man, dass die Sprecher Spass an ihren Rollen hatten. Persönliche Vorlieben mögen bei der ein oder anderen Stimme dazu führen, dass im Schnellverfahren durch die Antworten gesprungen wird. Sei es, weil die Antworten in einem Tempo herauspurzeln, als hingen an jedem Laut fünf Tonnen Bleigewichte (Kutcher Luca, you know who you are) oder der Sprecher so Ham geht, dass gleich ein ganzes Schwein durch die Lautsprecher purzelt. Alles in allem aber ein großartiges und angenehmes Paket. Ein kleiner Makel, der allerdings unweigerlich auffällt, ist der teilweise Verzicht auf Lippensynchronität, was aufgrund der Sprechanimation anmutet, als würden die Figuren den zarten Einzeiler der Sprecher nachträglich wie den mächtigsten Kaugummi der Welt (mit Grog-Geschmack) zermalmen.
Fazit
Ich war ziemlich gespannt auf Gibbous – A Cthulhu Adventure, auch wenn ich erst vor kurzem davon gehört und nicht bereits seit Kickstarter-Tagen auf die Veröffentlichung gewartet habe. Klassische Grafikadventure der rätseligen Art sind rar gesät und entsprechend war ich ziemlich froh, dass dort draußen in Rumänien ein dreiköpfiges Entwicklerteam auf dem Dachboden festsitzt und an einem neuen Vertreter des alten Genres werkelt. Ich hatte schlicht wieder Lust mich durch eine (gerne vollkommen aberwitzige) Geschichte mit verrückten Figuren zu rätseln. An Atmosphäre, Stil, Witz und diesem ganz eigenen Adventure-Charm mangelt es auch nicht, leider war ich aber von der Rätselfront etwas enttäuscht (man könnte auch sagen….puzzled…haha!…uff). Mir hat schlicht die Herausforderung gefehlt, die ‘AHA!’-Momente und der Kampf mit meiner inneren Stimme, die mich in Richtung Komplettlösung schubsen will. Nichtsdestotrotz ist Gibbous Pflichtprogramm für jeden Adventure-Freund und das nicht nur (aber auch) weil es kaum Alternativen gibt. Die Entwickler haben viel (hoffentlich nicht echtes) Herzblut hineingesteckt, die Sprecher machen einen Superjob und es macht Spass, der Geschichte zu verfolgen, auch wenn ich die Kombination aus ‘Ende’ und ‘Klippenhänger’ mit einem leicht mürrischen ‘Muss das sein?’ kommentieren würde. Nicht aufgrund einer Abneigung gegen etwaige Sequels, vielmehr aus einer Vorliebe für Abgeschlossenheit. Einem Nachfolger wäre ich aber alles andere als abgeneigt. Außerdem verlange ich eine Spin-off-Serie für Don R. Ketype. Ohne Schuhe versteht sich.
© Stuck in Attic
Ich liebäugel’ schon etwas länger mit dem Titel (als alter Adventure-Freund) und was ich so bei dir lese, hört sich für mich auch gut an. Ist denn von den Settings her hier etwas Abwechslung geboten? Die Screenshots ähneln sich alle recht stark, sodass ich mich frage, ob es nicht irgendwann zu einseitig wird, immer im selben Setting unterwegs zu sein.
Nunjaaa…man besucht durchaus noch andere Ortschaften, aber einen wirklich radikalen Wechsel gibt es nicht. Gerade farblich und stimmungstechnisch rührt man meist im selben Topf. Du wirst also nicht spontan in der eisigen Tundra herumstapfen oder in einem exotischen Dschungel von Schlangen heruntergeschluckt, in denen ganze Sirupflaschen auf Entdeckung warten. Die Bereiche wechseln aber trotzdem oft genug, dass man nicht das Gefühl bekommt, ewig an den selben zwei Wänden vorbeizumarschieren.