Halo: Reach

Das Halo-Franchise und dessen Master Chief sind die kommerziell erfolgreichsten Kinder des US-amerikanischen Entwicklerstudios Bungie. Bungies Reise zu den Ringwelten begann im Jahre 2001 und endete im Jahre 2010, nachdem das Studio sich bereits drei Jahre zuvor von Microsoft getrennt hatte, die Rechte an Halo jedoch beim Mutterkonzern beließ. Freilich verließ Bungie das Spielfeld nicht, ohne ein würdiges »Lebe wohl!« in die Runde zu werfen. Mit dem Ego-Shooter Halo: Reach entwickelte das Studio sein allerletztes Halo-Game, das als Prequel gleichzeitig den Anfang der eigenen Halo-Legende markiert. Halo: Reach ist der Abschieds- und Liebesbrief der Entwickler:innen an die Fans – und sie sind mit einem Knall gegangen.

 

Halo: Reach ist als direktes Prequel zu Halo: Kampf um die Zukunft angelegt und spielt im Jahre 2552. Wir schlüpfen in die Rolle von Noble Sechs, einem Spartan-III, der dem Noble Team zugeteilt wird, nachdem dieses sein vorheriges sechstes Mitglied beim Kampf gegen die Allianz verloren hat. Die Begrüßung fällt recht nüchtern aus, doch es bleibt keine Zeit für das Ausleben von Aversionen, da die Allianz über den Planeten Reach herfällt, die wichtigste menschliche Kolonie fernab der Erde mit bis zu 700 Millionen Einwohnern. Es droht die Verglasung des gesamten Planeten und Noble Team muss ran, um das zu verhindern.

Ich und meine Spartaner, meine Spartaner und ich

Originaltitel Halo: Reach
Jahr 2010
Plattform Microsoft Windows, Xbox One, Xbox 360, Xbox Series
Genre Ego-Shooter
Entwickler Bungie
Publisher Microsoft Game Studios
Spieler 1 (Kampagne)
USK

Reach spielt auf einer menschlichen Welt, die dazu verdammt ist, zerstört zu werden, daher ist es naheliegend, dass Bungie von seinem gewohnten Weg abweicht und einen wesentlich größeren Fokus auf die Charaktere legt. Wo man ansonsten nur einen zumeist stoisch starrenden Master Chief vor seiner Nase hat, gibt es in Reach nun mehr Dialoge, mehr Zwischensequenzen und mehr helmlose Gesichter, mit denen man sympathisieren kann. Reach ist ein Ego-Shooter, der einem das dankbare Gefühl gibt, nicht allein zu sein – ein für das Halo-Milieu ziemlich ungewohntes Gefühl. Sicher, in den Teilen zuvor hat man die KI Cortana an seiner Seite, doch eine Waffe halten kann die nicht. In Reach dagegen leistet einem (meistens) immer mindestens ein Spartaner Gesellschaft: der Chef Carter, die zweite Chefin Cat, Schützenmeister Jun, Sprengstoffmeister Emile und der Tank Jorge. Es ist möglich, Bindungen zu ihnen aufzubauen, doch für manch eine/n mag die Charakterisierung auch zu eindimensional ausfallen, da man mitunter sogar vergisst, dass der immerzu schweigende Emile anwesend ist (was im Grunde auch schon eine Charakterisierung darstellt). Wir selbst haben die Möglichkeit, zwischen einem männlichen und einer weiblichen Noble Sechs auszuwählen, inklusive angepasster Sprachausgabe in den Cut-Scenes.

Die Macht der Verzweiflung und deren Vermarktung

Das besondere Merkmal, welches Reach von anderen Halo-Teilen abhebt, ist die permanent spürbare Verzweiflung. Bei seinem Kampf um Reach erfährt das Noble Team eine Klatsche nach der nächsten und doch gibt es alles, um das Schicksal eben nicht abwenden zu können. Dazu kommt der allzu gefühlvolle Stolz auf die eigene (fiktive) Historie, auf den sich das Game stützt. Die große Werbekampagne lief seinerzeit unter dem Namen »Remember Reach« in Anlehnung an die Propagandaphrase »Remember Pearl Harbor« aus den frühen 1940ern. Microsoft gab damals sein bislang größtes Marketingbudget für Games aus und übertraf damit sogar das Marketing zu Halo 3. Unter anderem ließ der Konzern einen Industrieroboter entwickeln, der Lichtpunkte zeichnete und dieserart ein Lichtdenkmal für das Noble Team schuf. Pathos at it’s finest, der aber nicht von irgendwoher kommt. Denn die Hauptkampagne wiegt schwer und tut alles, um die Verzweiflung der schicksalhaften Niederlage einzufangen. Gleichzeitig trägt sie auch den Ruhm der knappen Flucht in sich. Die Überlebenskomponente ist Hauptsäule des Spiels und erzeugt ein wirkungsvolles Ende.

Neues Design, neue Engine

Auch in Sachen Design hat Bungie eine neue Richtung eingeschlagen, die auf eine düstere Atmosphäre abzielt. Die für Halo typische Farbpalette von grün bis violett wurde eingetauscht gegen einen vielseitigeren, lebendigeren Look. Der ernste Ton schlägt sich auch in den Kameraeinstellungen wieder. Natürlich gibt weiterhin große Totalen von dramatischer Präsentation, doch meisten sind die filmischen Kamerawinkel näher dran, gröber und weit weniger statisch. Auch die Engine wurde komplett erneuert mit neuen Möglichkeiten für Wettereffekte, Beleuchtung, Texturen, Animationen und Locations (es gibt sogar ein Space-Sim-Level). Die größte Änderung im Gameplay ergibt sich durch die neuen Rüstungsfertigkeiten, die zusätzliche Vorteile verschaffen können. Sprint, Unverwundbarkeit, Tarnung, Jetpack, Doppelgänger-Hologramm etc.: Das alles sind Gebrauchsgegenstände, die während der Level an verschiedenen Stellen wie normale Waffen aufgehoben und ausgerüstet werden können. Diese Gimmicks wurden schließlich beibehalten und in nachfolgenden Hauptteilen wie Halo 4 (von Studio 343 Industries) weiter verwendet, so dass auch der Master Chief davon profitiert.

Wie lässt sich Reach in den Kanon einordnen?

Als Reach seinerzeit erschien, führte das zu einigem Unmut bei den Fans, da sich das Game nicht mit dem bisherigen Kanon vertrug, der vor allem durch Eric Nylunds Roman Halo: Die Schlacht um Reach (2001) geprägt wurde. Diverse Punkte wurden angeführt. 1.) Unstimmigkeiten in den Chronologie, 2.) Der Verbleib der Pillar of Autumn, 3.) Cortanas Anwesenheit auf Reach bei gleichzeitiger Abwesenheit des Master Chiefs und 4.) Die Existenz des Spartan-III-Programms. Allerdings wurden so ziemlich alle Ungereimtheiten durch Neuauflagen des Romans (2010) und »Halseys Tagebuch« (Gimmick, das der limitierten Edition von Reach beilag) bereinigt, auch wenn es definitiv einige Zeit gedauert hat, um die Kanten zu glätten. Zumal diverse Bungie-Mitarbeiter keinen Hehl daraus machten, dass die Entwicklung des Spiels eine höhere Priorität besaß als das Festhalten an einer etablierten Hintergrundgeschichte. Daher ist es nicht ganz überraschend, dass das Game an dieser Front Gegenreaktionen erhielt. All das ist aber nun auch schon über eine Dekade her und damit ein vergessenswerter, alter Hut.

Fazit

Halo: Reach versprüht ein eigenartiges Feeling der Wehmut: Es hat die eigene Aufopferung zum Ziel, was man sowohl für das Noble Team als auch für das Studio Bungie sagen kann. Es ist der Schwanengesang der Entwickler:innen und markiert gleichzeitig die Geburt von HaloHalo: Reach ist eine intensive, vielseitige Ego-Shooter-Reise, auf der man immer wieder hofft, dass sich die Dinge anders entwickeln werden, aber natürlich wird das nicht passieren, denn die Ereignisse sind die Prämisse für Halo 1. Um ehrlich zu sein: Während meines ersten Durchgangs hat mich das ganze Spektakel nur mäßig emotional berührt. Es dauerte eine kleine Zeit, bis die Geschichte bei mir Anklang fand, doch mittlerweile ist Reach mein liebster Halo-Teil.

© Microsoft Game Studios

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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