Life is Strange: True Colors

2015 verzauberte ganz unerwartet das im Episodenformat erschienene und von Dontnod Entertainment entwickelte Life is Strange die Spielerinnen und Spieler. Kein Wunder also, dass mit Life is Strange: Before the Storm und Life is Strange 2 noch ein Prequel und ein unabhängiger Nachfolger erschienen. Dem zweiten Teil blieb der Erfolg des Prequels und des ersten Teils jedoch verwehrt. Dennoch dürfen sich Fans mit Life is Strange: True Colors über den bereits dritten (bzw. inklusive des Prequels vierten) Teil der Adventure-Reihe freuen. Wie schon der Vorgänger wurde aber auch dieses Game nicht von Dontnod Entertainment, sondern von Deck Nine Games entwickelt. Zudem wurde diesmal auf ein Episodenformat verzichtet. Doch erneut geht es um einen mit besonderen Kräften ausgestatteten Menschen: Diesmal eine junge Frau, die ihren Bruder verliert und daraufhin die Wahrheit hinter dessen Tod sucht. Am 10. September 2021 veröffentlichte Publisher Square Enix das auf Entscheidungen fokussierte Game für PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series X/S, PC und Stadia. Eine Nintendo Switch-Fassung soll zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls folgen.

 

Die 21-jährige Alex Chen besitzt eine besondere Gabe: Sie kann die Emotionen von Menschen als eine Aura wahrnehmen und selbst fühlen. Allerdings führt das dazu, dass sie nicht nur mit ihren eigenen, sondern eben auch mit fremden Gefühlen umgehen muss, sodass sie ihr bisheriges Leben als emotional unstabil galt. Nachdem sie durch das Pflegesystem vor acht Jahren von ihrem älteren Bruder Gabe getrennt wurde, treffen sie sich nun in der Kleinstadt Haven Springs wieder. Gabe hat sich dort ein Leben aufgebaut und möchte, dass Alex ein Teil davon wird und endlich ihren eigenen Weg finden kann. Doch ein tragischer Unfall reißt Gabe aus dem Leben und die Menschen um ihn herum in große Trauer. Alex ist sich jedoch sicher: Das war kein Unfall. Die Minengesellschaft Typhon scheint nicht nur die ganze Stadt zu kontrollieren, sondern auch mit dem Tod von Gabe zutun zu haben. Alex beschließt, zusammen mit Gabes besten Freunden Ryan und Steph die Wahrheit hinter dem Tod ihres Bruders aufzudecken …

Protagonistin Alex: eine Empathin

Originaltitel Life is Strange: True Colors
Jahr 2021
Plattform PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series S/X, Nintendo Switch, PC, Stadia
Genre Adventure
Entwickler Deck Nine Games
Publisher Square Enix
Spieler 1
USK
Veröffentlichung: 10. September 2021

Alex’ Kraft, die Emotionen anderer Menschen lesen und beeinflussen zu können, scheint zunächst recht unspektakulär, ist aber interessant umgesetzt. Denn Alex wird von diesen Gefühlen selbst so stark beeinflusst, dass sie durch die Wut eines anderen Menschen selbst so sauer werden kann, dass sie jemanden verprügelt – selbst wenn es sich dabei um ihren Bruder handelt. Aber ihre Kräfte können richtig eingesetzt eben auch zur Hilfe eingesetzt werden. Abseits von Menschen kann Alex ihre Kraft ebenso auf bestimmte Gegenstände anwenden, die mit einer intensiven Erinnerung verknüpft sind. Daraufhin kann man eine Erinnerung sehen und die Erinnerung im Menü ausführlich nachlesen. Auch optisch macht die empathische Superkraft durch die unterschiedlich gefärbte Aura und die surrealen Sequenzen viel her. Deck Nine Games hat mit Alex zudem eine sympathische Protagonistin, in die man sich leicht hineinversetzen kann, erschaffen. Interessant ist, dass ihr familiärer Hintergrund – vor allem warum sie überhaupt in ein Heim kam – erst spät genauer beleuchtet wird. Ihre furchtbaren Erfahrungen mit verschiedenen Pflegefamilien, Heimen und auch Psychologen werden eher subtil angedeutet. Einen weiteren klugen Schachzug macht das Entwicklerstudio mit der Rückkehr einer beliebten Figur: Die in Haven Springs in einem Plattenladen beschäftigte Steph kennen Fans bereits aus Life is Strange: Before the Storm, in dem sie als Nebenfigur mit nur kleiner Rolle schnell die Herzen der Fans erobern konnte. Damit nicht genug, erscheint am 30. September 2021 noch die separate Episode “Wavelengths” als DLC, in welchem Steph gesteuert wird und der zeitlich etwa ein Jahr vor Alex’ Ankunft in Haven Springs spielt.

Fokus auf die Charaktere

Das Herz von True Colors sind die wunderbar ausgearbeiteten Charaktere. Das bezieht sich natürlich insbesondere auf die tragenden Figuren, was neben Alex vor allem der schüchterne Naturbursche Ryan sowie Steph sind, die innerhalb der Geschichte eine coole freundschaftliche Team-Dynamik entwickeln. Alex kann zudem wahlweise für Ryan oder Steph romantische Gefühle entwickeln, was zu einer schön inszenierten Romanze führt. Selbst Gabe, dessen Tod bereits aus den Trailern ersichtlich ist, wird genug Raum zur Entfaltung gegeben, sodass er sehr menschlich wirkt und sein Ableben wirklich schmerzt. Aber auch die anderen Figuren sind sehr vielseitig gestaltet und wachsen Spieler*innen schnell ans Herz, da sie eigene Sorgen, Hoffnungen und Geschichten mitbringen. So hat die nette Blumenladen-Besitzerin Eleanor Alzheimer, möchte dies jedoch vor ihrer Enkelin Riley geheim halten, damit diese sorgenfrei das College besucht. Als Alex liegt es an uns, zu entscheiden, ob Riley von der Erkrankung ihrer Großmutter erfährt oder nicht. Eine Besonderheit, die die Liebe zu den Charakteren und Details besonders unterstreicht, ist, dass auch namenlose Nebenfiguren mehrfach auftauchen und ihre Emotionen gelesen werden können. Da wären zum Beispiel zwei beste Freunde, die zwar ineinander verliebt sind, aber keiner sich traut, den ersten Schritt zu machen. Die Beziehung der Figure untereinander wie auch die Dialoge, die in einem auf Entscheidungen und Geschichte fokussierten Game besonders wichtig sind, präsentieren sich ebenso als gelungen und vor allem authentisch. Man hat tatsächlich den Eindruck, mit Alex langsam Teil einer festen Gemeinschaft zu werden.

Bodenständige, doch nur bedingt packende Geschichte

Während die Charaktere und die Welt also absolut gelungen sind, ist die Handlung selbst zwar spannend und emotional, doch nur bedingt packend. Zum Einen liegt das daran, dass die etlichen Details und Figuren so schön sind, dass die eigentliche Handlung um die Suche nach Gabes Mörder eher in den Hintergrund rückt. Zum Anderen ist es aber auch so, dass die Geschichte zwar spannend, aber insgesamt doch weniger intensiv als in den Vorgängertiteln wirkt. Anstatt immer wieder den Tod eines geliebten Menschen zu verhindern (Teil 1) oder vor der Polizei zu fliehen (Teil 2) geht es hier schlicht um die Wahrheit hinter einem vermeintlichen Unfall. Lobenswert ist, dass die Geschichte aber ausgesprochen schlüssig und bodenständig erzählt wird, was ungemein zur Authentizität beiträgt und aus True Colors wohl das Game macht, das sich noch am meisten wie aus dem Leben gegriffen anfühlt. Auch die Wendungen sind gut gemacht, da sie anstatt auf einen Schock-Effekt zu setzen schlicht nachvollziehbar sind. Das ist gerade im Vergleich zu Life is Strange: Before the Storm, das auf teils künstlich aufgebauschtes Drama setzt, eine starke Entwicklung. Lediglich gegen Ende müssen Spieler*innen dem Game die ein oder andere eher abenteuerliche Note verzeihen. Tatsächlich wirkt es so, als habe man hiermit anstatt einer packenden Verbrecherjagd eine charakterstarke Geschichte über den Umgang mit Gefühlen und besonders Trauer schaffen wollen, was keinesfalls schlecht ist. Denn das Ergebnis kann sich sehen lassen: Man fühlt absolut mit den Charakteren mit und verfolgt gespannt ihre Entwicklung.

Viel Liebe zum Detail, wenig Gameplay

Life is Strange: True Colors bietet mit einem Tagebuch, einem Smartphone mit Blogposts sowie Nachrichten und sammelbaren Erinnerungen viele Möglichkeiten, mehr über die Welt und die Charaktere zu erfahren. Das ist ausgesprochen intuitiv und verleiht der Welt eine gewisse Organik. Durch alte Textnachrichten vor ihrem Umzug nach Haven kann auch mehr über Alex’ vergangenes Leben gelernt werden. In dem Tagebuch schreibt Alex ihre Erfahrungen mit verschiedenen Emotionen bestimmter Menschen nieder, also wie sich zum Beispiel die Depression einer Bekannten äußert und wie sich das für Alex angefühlt hat. Im Game selbst gibt es hingegen nur wenig zu tun: Man läuft herum, sieht sich die Umgebung an, redet mit umgebenden Personen und trifft Entscheidungen. Immerhin gestaltet sich das Gebiet Haven Springs recht offen und bietet viel Raum zum Entdecken. Selten gibt es jedoch innerhalb der Geschichte kleine Spiele wie ein Tischkicker-Match, ebenso cool sind die zwei Arcade-Automaten. Auf Rätsel-Passagen wie etwa in Life is Strange wird verzichtet. Eine Entscheidung, die sicherlich nicht allen gefällt, aber auch dafür sorgt, dass es zu keinen künstlich erscheinenden Passagen kommt. Zwiespältig erscheint ebenso ein langer Abschnitt, in dem man in einem Live-Action Role Play mitmacht. Dieses ist sehr cool inszeniert und sorgt für tolle Abwechslung, hat aber gleichzeitig den leichten Anschein von wenig Handlungsrelevanz. Insgesamt ist True Colors aber erneut einfach ein storyfokussiertes Adventure, das keine spielerische Herausforderung bieten möchte, sondern seinen Fokus auf eine bewegende Geschichte um ganz verschiedene Menschen legt.

Augen- und Ohrenschmaus

Das etwa zwölf Stunden umfassende Game sieht ohne Frage so gut aus, wie noch kein Life is Strange-Teil zuvor: Haven Springs sieht wunderschön farbenfroh und detailreich aus, die Gesichter umfassen eine ganze Palette an Mimik und der an Comics angelehnte Grafikstil präsentiert sich knackscharf. Insbesondere die Spiegelung von Wasser oder Alex’ Brille wissen als kleine Grafik-Highlights zu beeindrucken, handelt es sich doch um einen deutlichen Sprung von den vorherigen Spielen. Zwar ist die Grafik sicherlich weiterhin nicht auf dem Niveau eines Blockbuster-Titels, aber das muss sie gar nicht. Das große Plus von Life is Strange: True Colors ist jedoch ähnlich wie im ersten Teil die Musik. So spielt Alex zum Beispiel selbst Gitarre und Steph ist eine DJane. Der originale Soundtrack stammt von der preisgekrönten Indie-Pop-Gruppe Angus & Julia Stone und umfasst zwölf Songs, aber auch zahlreiche andere Songs wie etwa ein Cover von “Creep” finden in der akustischen Kulisse Verwendung. Die musikalische Untermalung unterstützt die Atmosphäre ungemein, sodass es sogar Spaß macht, Alex einfach nur mit Kopfhörern entspannen zu lassen. Zusätzlich besitzt das Game zum ersten Mal in der Life is Strange-Geschichte eine deutsche Synchronisation, die zwar grundsolide klingt, aber doch nicht mit der außerordentlich hohen Qualität der englischen Vertonung mithalten kann.

Fazit

Life is Strange: True Colors ist ein sehr gelungenes und emotional bewegendes Game um den Umgang mit Emotionen und Trauer, das aber kleine Schwächen aufweist. Es entzückt mit toll geschriebenen Charakteren, dem sensiblen Umgang mit diesen und Authentizität. Die Handlung selbst wirkt dadurch allerdings fast mehr als sei sie nur ein Rahmen für die Entwicklung der Charaktere und ihrer Beziehungen, dafür überzeugt sie aber mit Bodenständigkeit und weiß dennoch eine gewisse Spannung aufzubauen. Die musikalische Untermalung sorgt weiterhin für eine tolle Atmosphäre und stellt ein wahres Highlight des Titels dar. Das Game schafft es dadurch, auf emotionaler Ebene absolut zu punkten und Spieler*innen schnell zu involvieren. Persönlich konnte ich den Controller kaum weglegen, weil mich die Welt und ihre Figuren so sehr in ihren Bann gezogen hatten, dass ich gar nicht aufhören wollte. Für Fans der Vorgängertitel ist True Colors ohnehin Pflicht, aber auch Anhänger anderer Games, die besonders auf ihre Figuren wertlegen und nicht unbedingt aufregendes Gameplay brauchen, sollten zugreifen.

© Square Enix


Veröffentlichung: 10. September 2021

Ayla

Ayla ist Schülerin und beschäftigt sich hobbymäßig mit allen möglichen Medien, ohne dabei Beschränkungen zu kennen. Dennoch ist sie vor allem ein Serien- & Game-Junkie und liebt besonders actionreiche und dramatische Inhalte, wobei sie gleichzeitig für viele kindliche Themen zu haben ist, weshalb sie weiterhin großer Disney-Fan ist. Abseits ihrer Leidenschaft des Sammelns ihrer Lieblingsmedien schreibt Ayla gerne selbst Geschichten oder zeichnet Bilder, um sich so zu entspannen.

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