Lost Ruins

Goldene Regel für alle Anime-Schulmädchen dort draußen: Vertraue niemals einem zwielichtigen Oktopus mit offensichtlich falschem Schnurrbart und/oder Spieleentwicklern. Letzteres hat die namenlose Protagonistin (nennen wir sie Heldinchen) von Lost Ruins, das im Mai 2021 erschienen ist, gekonnt ignoriert und wurde prompt von Indie-Entwickler Altari Games unter beifälligen Nicken von Publisher DANGEN Entertainment in einen dunklen Dungeon geworfen. Das kommt davon. Fortan muss sie sich gegen allerlei Schleim-, Krabbel- und Zombiezeug zur Wehr setzen, ansonsten wird es nichts mit dem Schulabschluss oder generell Aktivitäten, die ein möglichst intaktes und an Ort und Stelle verbleibendes Organsystem voraussetzen. Fragt sich nur, ob man der frechen Regelbrecherin eine helfende Hand reichen oder den Kerkerschlüssel lieber gleich wegwerfen sollte.

 

Heldinchen hatte vermutlich schon einmal bessere Tage, denn anstatt im heimischen Himmelbettchen zu Weckertröten und Marmeladentoast aufzuwachen, landet sie unverhofft in den Tiefen eines Verlieses. Obendrein leidet sie an protagonistischer Amnesie und einem offensichtlich schweren Fall von Hüftschüttelritis. Eventuell hat sie auch einen steten Dungeon-Groove im Ohr oder kann schlicht nicht stillhalten. Wie dem auch sei: Es dauert nicht lange, bis Hexe, Kapuzenthusiastin und Goblin-Exterminationskommando Beatrix ihr eröffnet, dass sie in diese Schlossruinen beschworen wurde, da einige Anhänger der dunklen Lady eine ordentliche Revival-Party steigen lassen wollen. Obendrein haben sie Heldinchens Erinnerungen versiegelt, was sich aber leicht mittels einer simplen Amnesie-Kur beheben lässt, die sich maßgeblich um das fachgerechte Zurechtrücken von Schädeln mit obszön scharfen Instrumentarium dreht. Daran werden sich die Anhänger vermutlich wiederum nicht erinnern wollen.

Schwert, Axt oder Schweinshaxe?

Originaltitel Lost Ruins
Jahr 2021
Plattform PC
Genre Survival-Adenture
Entwickler Altari Games
Publisher DANGEN Entertainment
Spieler 1
Veröffentlichung: 13. Mai 2021

Die Geschichte von Lost Ruins ist nichts, über das man begeistert am heimischen Küchentisch wild gestikulierend erzählt, sondern mehr eine nette anime-bepinselte Rahmung für das Gameplay mit einem kleinen Twist am Ende, der sich vermutlich für die meisten bereits laut hupend auf der Plotspur ankündigt. Das Spiel selbst könnte dem geneigten 2D-Pixel-Anime-Action-Begeisterten von Titeln wie der Momodora-Reihe oder auch Minoria bekannt vorkommen. Quasi metroidvania’isch, aber mit weniger Fokus auf Erkundung und das Abstapfen und Erkunden bekannter Bereiche, dafür aber stärker konzentriert auf die Konfrontationen mit etwaigem Gezücht, das der heldenhaften Gangbeschreitung mit einem Morgenstern und einem gerufenen ‘Nicht rennen!’ ein Ende bereiten will. Und für den Umgang mit den unfreundlichen Ungeheuern hat Heldinchen Unmengen an Utensilien (Alliteration, ho!) zur Verfügung. Scharfkantige Schwerter, giftige Dolche, dämonische Größer-als-Protagonistin-Äxte sowie eine ganze Bibliothek an Zaubern, um etwaige Grünhäute auf unterschiedlichste Arten des ‘Höllisch Heiß bis Schockfrost Kalt’-Spektrums zuzubereiten. Wer sie obendrein mental brechen will, vermöbelt sie mit einem Pömpel, erschlägt sie mit einer Schweinshaxe oder quietscht sie mit einem Plüschhäschen zu Tode.

Kampfgarderobe

Die Waffenauswahl wird zusätzlich von einem Arsenal an Ausrüstungsgegenständen ergänzt, von denen man letztlich bis zu drei gleichzeitig Heldinchen überstülpen kann, um ihr verschiedene Boni zu verleihen. Neben einem Sammelsurium an Amuletten und Umhängen, die ein vehementes Veto gegen verschiedene Schadensarten einlegen, gibt es auch die obligatorische Maid-Uniform, die den Schaden durch männliche Gegner drastisch verringert. Interessanterweise sind die allerdings in der Unterzahl, wie ein Blick auf die frauhohen Bosse verrät, die meist in mehr als einer Hinsicht beträchtlichen Umfang besitzen. Die großzügige Auswahl an Gegenständen und Waffen sowie die Option sie jederzeit wechseln zu können, bietet definitiv genügend Möglichkeiten den eigenen Spielstil anzupassen. Den regelmäßigen Sprung ins Item-Tausch-Menü sollte man auch wagen, denn Lost Ruins hält einem nicht die Hand, sondern ohrfeigt lieber mit einem Paar giftgetränkter Fäuste.

Schwächelnder Waffenarm

Das Problem ist nur, dass gerade aufgrund des hohen Bestrafungsfaktors durch solche Zustände wie eben Gift, Blutung usw., die selbst die altersschwächste Fledermaus auslösen kann, die Kämpfe im Nahkampf eher zum hektischen und gleichzeitig seltsam steifen Hechtgerolle verkommen. Besagte ‘Steifheit’ kommt maßgeblich davon, dass Heldinchen offensichtlich am Waffenarm-Tag im Fitness-Studio mehr an ihrem beständigen Hüftschwung gearbeitet hat. Denn jede Waffe besitzt genau einen und nur einen Standard-Schlag mit variierender Angriffsgeschwindigkeit je nach gewähltem Schädeltrümmer-Eisen. Der Mangel an Variation und der Umstand, dass sich keine Schläge an ihre Kampfgymnastikrollen anschließen lassen, macht gerade den Nahkampf zu einem zu oft gleichbleibenden Hit&Run-Herumtaumeln. Der Fokus auf Magie bringt aufgrund der Vielfalt der magischen Mordworte etwas mehr Abwechslung hinein, auch wenn der Hit&Run-Ansatz noch immer die Methode der Wahl ist. Aber selbst die Zauberstabfuchtelei hat einen Wermutstropfen: Da sich ähnlich wie die Lebenspunkte auch das Mana nicht regeniert, braucht es erst entsprechende Ausrüstungsgegenstände zur MP-Auffrischung, um es effizient benutzen können, ohne Heldinchen in die Mana-Trank Abhängigkeit zu treiben.

Neue Modi, neues Glück

Dafür sorgt die Begrenztheit der Ressourcen und die mehr als bissige Gegenwehr etwaiger Kontrahenten für einen gewissen Survival-Aspekt sowie einen ordentlichen Grundrespekt vor jedwedem Getier und sei es ein kohleäugiger Schneemann im Samurai-Cosplay. Die Einschränkungen machen es jedoch schwerer sich von Anfang an einem gewissen Spielstil zu verschreiben, wie eben Gegner mit knisternden Eiszapfen zu perforieren. Abhilfe und (nötige) Abwechslung bringen die zusätzlichen Spielmodi, die man nach erstmaligen Durchspielen freischaltet. Neben Herausforderungen, die einen erneut durch die Schlossruinen jagen, aber mit bestimmten Restriktionen und Vorteilen versehen (Du regenierst Mana, aber dafür leidest du an waffenuntauglichen Nudelarmen), gibt es bspw. noch einen Boss-Mode, der einen in die Häute von drei besiegten Feindinnen steckt, jeweils mit eigenem Skillset, und ihr Treiben in den Mittelpunkt legt. Weiterer Vorteil der Zusatz-Varianten: Sie plustern die etwas dünne Spielzeit von 6 bis 7 Spielsunden (je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad, Frustresistenz und Fähigkeit zielgerecht mit Langschwertern in der Luft herumzustochern) etwas auf.

Fazit

Lost Ruins ist ein netter Titel für zwischendurch, wenn einem die knuffige Anime-Ästhetik zusagt und nicht automatisch zum Zuschlagen etwaiger Dungeon-Türen verführt. Mit den zusätzlichen Modi kann es für ein paar Abende unterhalten, insofern man eine gewisse Frustresistenz sein eigen nennt und nicht zwanghaft darauf aus ist, rein mit Tastatur zu spielen. Es ist machbar, ein Controller dürfte sich aber deutlich besser anfühlen. Ich würde gerne eine deutlichere Empfehlung geben, aber dafür bringt Lost Ruins nicht genügend Interessantes zur Dungeon-Party mit, sondern bleibt bei Häppchen und Kartoffelsalat. Die große Mordinstrumentenwahl hat definitiv Charm, aber fühlt sich in der Ausführung zu unbeholfen an, um wirklich interessante, sich unterscheidende Kerkerwanderungen zu fördern. Die kämpferische Unbeholfenheit ist mir vor allem deshalb eine Schweinshaxe im Auge, da Titel wie die Momodora-Reihe, Minoria hier eine deutlich bessere (wenn auch weniger hüftschwingende) Figur machen. Und wer sich nicht zu sehr am Anime-Stil festbeißt, findet im Bereich 2D-Pixel-Metroidvania bzw. Action-RPG viele starke Alternativen zum ähnlichen Preis. Wer sich aber bereits durch all die Titel gehackt und gestückelt hat, unbedingt für die nächsten Tage in ein Verlies heruntersteigen will, um Zombie-Idol-Fans die Leuchtstäbe aus den Händen zu prügeln, der könnte in Lost Ruins eine knuffige, manchmal etwas biestige und mit üppigen Bossen gesprenkelte Dungeon-Hatz finden. Oder man wartet doch bei Interesse lieber für den nächsten Ausbruch auf einen Sale.

© DANGEN Entertainment

Mort

Mort hat 'Wie? Nicht auf Lehramt!?' studiert und wühlt sich mit trüffelschweiniger Begeisterung durch alle Arten von Geschichten. Animes, Mangas, Bücher, Filme, Serien, nichts wird verschmäht und zu allem Überfluss schreibt er auch noch gerne selbst. Meist zuviel. Er findet es außerdem seltsam von sich in der dritten Person zu reden und hat die Neigung, vollkommen überflüssige Informationen in sein Profil zu schreiben. Mag keine Oliven.

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