Somerville
Obgleich Außerirdische zu einem weit verbreiteten Gegnertypus in Videospielen zählen, erleben wir sie selten aus der Sicht der Ameisen, die wir möglicherweise unter ihren Schuhen darstellen. Häufig übernehmen wir stattdessen die Rolle des Oneliner-affinen Supersoldaten, der den Aliens mit Railguns und Kampfpanzern die Seele aus dem Leib pustet (oder so ähnlich). Mit dem Rätsel-Sidescroller Somerville feierte das junge Studio Jumpship im November 2022 auf dem Markt der Indie-Spiele sein Debüt und beschert uns gleichzeitig ein Game, das zum Großteil genau jenes seltene Gefühl der Ohnmacht gegenüber einer Alien-Invasion vermittelt – wunderschön verpackt, aber auch mit so manchen Story- und Gameplay-Schwächen.
Eine kleine Familie sitzt in ihrem idyllischen Landhaus auf einem gemütlichen Sofa. Der Fernseher läuft leise vor sich hin und belegt die Szenerie mit einer allgemeinen »Dösigkeit«. Dann bricht auf einmal die Hölle los: Riesige Obelisken fahren vom Himmel herab und tauchen die Welt in farbige Flammen. In all dem Chaos wird der Vater von seiner Familie getrennt. Zusammen mit seinem Hund muss er einen langen und beschwerlichen Weg durch unbekannte Gefahren antreten, um zu seiner Familie zurückzugelangen.
Anderer Tonfall als bei Playdead
Originaltitel | Somerville |
Jahr | 2022 |
Plattform | Microsoft Windows, Xbox One, Xbox Series X/S |
Genre | Puzzle, Adventure |
Entwickler | Jumpship |
Publisher | Jumpship |
Spieler | 1 |
USK | |
Veröffentlichung: 14. November 2022 |
Wer Fan von LIMBO und INSIDE ist und verzweifelt auf das neuste Game aus dem Hause Playdead wartet (sieben Jahre schon …, Stand Februar 2023), verspricht sich von Somerville möglicherweise viel. Anlass dazu gibt Dino Piatti, Ex-CEO und Mitbegründer von Playdead, der nun zum Mitbegründer von Jumpship avanciert ist. Tatsächlich weist Somerville viele stilistische Parallelen zu den Arbeiten von Playdead auf: das 3D-Sidescrolling, die ähnlichen Puzzle-Mechaniken, das wunderhübsche Lichtdesign und das minimalistisch gehaltene Ambiente veranlassen einige dazu, Jumpship mit Playdead zu verwechseln. Der Tonfall jedoch ist ein ganz anderer. Das beginnt bei Somervilles Musik, die als solche greifbar vorhanden ist und thematisch auf den konventionellen Pianoklang setzt, und setzt sich fort beim Protagonisten, der ein erwachsener Mann ist. Weiterhin merkt man, dass die Entwickler eher auf dessen Leben denn sein Ableben fokussiert sind. Zwar kann unsere Figur sterben, aber anders als bei Playdead wird kein Spektakel daraus gemacht.
Visuals und Sound: tippitoppy
Namen- und stimmlos steuern wir unsere Vaterfigur durch eine matt-kantig designte Spielwelt, die optisch alle Geschütze ausfährt. So ziemlich jede Bildkomposition könnte man sich ausdrucken und in den Flur hängen. Dabei ist die Farb- und Kontrastgebung solcherart gedämpft, dass die Welt uns nicht dauerhaft erschlägt, sondern nur bei Bedarf Highlights setzt. Die Kamera führt uns wie ein Fluss durch verlassene Zeltstädte, in der Menschen meistens nur als ferne Schatten auftauchen und eine Verheißung bleiben. Damit zählt Somerville sicherlich zu den schönsten Spielen der letzten Jahren. Auch das Sounddesign ist mehr als gelungen. Wenn unsere Figur an einen verwaisten See gelangt und am anderen Ufer plötzlich ein außerirdischer Komplex sein riesiges Strahlenauge öffnet, dann ist es vor allem der rumorende, weltferne Klang, der für den Impact sorgt. Sind wir dem Auge mit knapper Not entkommen, dann hören wir unsere Figur schwer atmen und beginnen mit ihr zu fühlen.
Der wortwörtlich ferne Charakter
Dennoch: Somerville ist weit davon entfernt, einen intensiven Draht zwischen uns und dem Protagonisten aufbauen zu können. Vielleicht, weil die Figur eben ein Erwachsener ist. Vielleicht, weil die versuchte soundtechnische Intimität durch die optische Distanz ausgehebelt wird. Denn Somerville setzt zumeist auf Totalen, in denen sich die Figur immer »entfernt von uns« anfühlt. Somerville spielt sich wie ein 2,5D-Game, bietet auf der Z-Achse aber noch sehr viel mehr Raum zum Erkunden. Wir können uns demnach weit von der Kamera fort bewegen, was es uns aber auch erschwert den Hauptfad zu erkennen und zu routinemäßigen Problemen mit der Tiefenwahrnehmung führt. Heißt, wir laufen gegen Dinge. Dazu kommt die fummelige Steuerung: Wenn wir den Vater vor einem Tor positionieren, um es zu öffnen, wirkt er manchmal wie ein Sim, der spülen will und das Geschirr nicht zu greifen bekommt. Und die Rätsel? Die sind eher von der Sorte »Ach, so funktioniert das also!« anstatt »Klar, logisch – und auch so intuitiv!«. Man muss ihnen aber zugutehalten, dass es keine konstruierten Rätselboxen sind, sondern homogen in die Welt integrierte Hindernisse, die entstanden sind, weil die Umwelt es eben so eingefordert hat.
Die emotional ferne Geschichte
Natürlich kommen viele narrativ geleitete Spiele mit ihrer reduzierten Geschichte zurecht, aber Somerville bleibt diesbezüglich (und im Bezug auf seine Charaktere) sehr blass. Somerville erschwert sich das Leben, indem es versucht, ein Szenario ohne gesprochene oder geschriebene Worte durchzuackern, so, wie es bereits Playdead regelmäßig mit Erfolg geschafft hat. Doch was mit den Augen eines Kindes eine unheimliche, nicht fassbare Jenseitigkeit hervorruft (bei Playdead), erzeugt bei Somerville weniger Eindruck, da es um eine erkennbare Realität mit einer offensichtlichen »Krieg der Welten«-Thematik geht. Darüber hinaus gibt uns das Spiel keinen Grund, sich um den Vater oder seine Familie kümmern zu wollen. Wenn er von seinem Hund getrennt und dann wieder mit ihm vereint ist, nimmt er die Rückkehr des Vierbeiners kaum zur Kenntnis. Die ganze Reise, die eigentlich spannend und rührend sein sollte, besitzt keinen Grip. Erst gegen Ende, wenn sich die Ereignisse überschlagen und eine surreale Wendung mit der Psyche der Hauptfigur spielt, kommt wieder Fahrt auf. Doch entlädt sich all das lediglich in einem kryptischen Ende (eines von vieren), das einen unbefriedigt mit einem »Meh« zurücklässt.
Fazit
Ach, Somerville. Der Funke wollte bei meinem Durchlauf so gar nicht überspringen und das Game zu beenden wurde mehr zur Pflicht denn zur Freude. Der Umfang von vier Stunden Spielzeit bietet zu wenig Platz, als dass Somerville seine Hauptthemen gescheit vermitteln könnte. Die Alien-Invasion-Geschichte kratzt nur oberflächlich an den Beziehungen zwischen den Menschen und erzählt kaum etwas interessantes, sodass sich eine allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber der Suche nach der Wahrheit einstellt. Sehr große Pluspunkte gibt es für die visuelle und auditive Verpackung, aber von den Kamera-Ärgernissen und der mitunter fummeligen Steuerung mal abgesehen, sind die fehlende emotionale Bindung und die blasse Geschichte wohl die größten Fallstricke für Somerville.
© Jumpship